Volle Kanne Weltruhm

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Weltruhm – das sind anscheinend fünf neue Freundesanfragen auf Facebook.

Ich sitze im Zug und fahre zurück. Nach Hause. Mein Gesicht ist ungeschminkt, und niemand erkennt mich. Oder alle tun so, als wüssten sie nicht, dass ich vor wenigen Augenblicken noch live im ZDF zu sehen war. Für sieben Minuten. Immerhin.

Diesen sieben Minuten gingen Telefonate voraus. Mindestens eine halbe Stunde lang erklärte ich der beeindruckend freundlichen Redakteurin, wer ich bin, was ich tue und warum eigentlich. Diverse Emails flossen, teilweise sogar mit Anhängen. Die Reise wurde gebucht, irgendwo auf der anderen Seite, und plötzlich saß ich in einem ICE nach Düsseldorf. Drei Stunden Fahrt in erster Klasse für das Zweite Deutsche Fernsehen. Es gab Kitkats für alle, die nicht wussten, dass man als ErsteKlasseFahrer auf die Kitkats verzichtet, weil sie beweisen, dass man normalerweise nicht erstklassig fährt. Und ich rannte mit offenem Hosenstall durch die Abteile, als wäre ich die neue Britney Spears.

Dann ein Taxi, in dem ich, ohne irgendeine Ahnung zu haben, mit dem Fahrer über Fußball diskutierte. Kalter Rauch hing in der Luft, und ich fragte mich, ob das der Geruch zukünftigen Ruhms war.

Für die sieben Fernsehstudiominuten war es nötig, dass ich vor Ort übernachtete. „Volle Kanne“ lief schließlich am Morgen, und die Kamera addiert bekanntlich zehn Kilo zu jedem Augenring. Die vorgebuchte Luxussuite sah aus wie ein Hotelzimmer. Doch es hatte Fernsehlautsprecher in Badnähe, und allein das qualifizierte es als gut. Beziehungsweise als angemessen für einen zukünftigen Kurzauftrittsfernsehstar.

Leider schaffte sämtliche Erstklassigkeit und aller Zukunftsruhm es nicht, das Fernsehprogramm zu ästhetisieren. Also besuchte ich das Premium-Internet, das man mir tatsächlich gegeben hatte. Die Wellen, auf denen ich surfte, waren aus digitalem Gold. Glaube ich.

Schlaf mündete in zu viel Schlaf mündete in Zeitknappheit. Ich panikte ein professionell herum, stopfte innerhalb von wenigen Minuten erst den Teller und dann mein Gesicht voll mit Leckerfrühstück und eilte mit divenhafter Verspätung zu meinem Fahrer. Der in der S-Klasse auf mich wartete. Ab hier beginnt wohl der Weltruhm, dachte ich, stieg hinten ein und redete kein einziges Wort mit dem Chauffeur, um das Gefühl der eigenen Wichtigkeit nicht zu verringern.

Studio und sämtliche Hinterräume waren winzig und vollgestopft mit Menschen. Anscheinend verbot es ihnen ihre eigene Beschäftigtheit, mich um Autogramme oder Audienzen zu bitten. Selbst wenn sie einfach nur auf dem schnuckligen Sofa rumsaßen und quatschten.

Die dramatischen Flugzeugabsturzereignisse in Frankreich waren in aller Munde, und der ZDF zeigende Fernseher in der Ecke des Wartezimmerchens trug seinen dramatischen Teil dazu bei. Der Sendungsablauf wurde fleißig umgeworfen, doch noch immer war ich geplant. Der Kommende Weltruhm zitterte kurz, dann lächelte er wieder.

Johannes Oerding, der eigentliche Gast der Sendung, war mit Sympathie um sich und traf auch mich. Danach traf mich ein wenig Schminke mitten ins Gesicht, und jeder einzelne Anwesende lullte mich in Nettigkeit. So wollte ich leben.

Dann wurde ich verkabelt. Ab sofort musste ich auf meine Wörter achten. Dass vielleicht nicht alle Nazis schlecht seien, hatte ich zu verschweigen. Doch auch Schweigen war falsch, war ja mein ganzer Zweck heute ein kleines Interview, etwas, bei dem es schlau wäre, auch zu reden.

Der Volle-Kanne-Gärtner und der Volle-Kanne-Arzt saßen mit uns rum, wenn sie nicht gerade vor Kameras standen, und halfen damit, das Gefühl kuschliger Enge zu vergrößern. Wir sollten alle mehr GEZ bezahlen, legte ich fest. Zukünftige TV-Stars brauchen Paläste! Oder zumindest Palästchen!
Ich nuckelte an meiner Wasserflasche und verzichtete auf den ständig ausgehenden Kaffee. Die Sendung begann, Johannes Oerding und Andrea Ballschuh machten ihr Ding und legten feinsäuberlich den Pfad zu meinem Miniaturauftritt. Natürlich mit holprigen Umwegen über tragische Berichterstattung und oerdingscher Albumserwähnung. Dennoch: mit jedem einzelnen Zittern meiner Finger kroch mein Weltruhm näher.

Die Uhr an der Wand meinte, es sei noch Zeit. Die Redakteurin Eva war bei uns und malte gute Laune in den Raum. Ich nervöste noch ein wenig herum, denn das gehörte sich einfach so. Der Fernseher zeigte, was im Studio entstand, und es war befremdlich, Johannes im ZDF zu erblicken, und wenige Augenblicke neben mir an der fast leeren Kaffeedarreichungsstation. Von wegen volle Kanne.

Meine Gedanken üben Eloquenz. Gleichgleichgleich schreien sie permanent. Dann bewegen sich Evas und meine Füße zum Studio. Es ist wirklich klein, und abgesehen davon, dass tausend Leute hinter Kameras stehen, und ich nicht weiß, wohin ich schauen soll, ist alles super. Immerhin weiß ich, wo ich sitzen soll. Vor mir tauchen Kaffee und Wasser auf. Schließlich ist das ein Frühstückstisch.

Ein Einspieler wird gezeigt, amüsiert alle Anwesenden. Guter Anfang denke ich erfreut und erinnere mich nicht mehr daran, welche der gezeigten Kalendertage von mir erfunden worden waren. Macht ja nichts, denke ich und knirsche nicht mit den Zähnen. Meine Hände, meine Arme, sind im Weg, Andrea und Johannes wirken offen und freundlich, und es gibt keinen Grund, Angst zu haben, und dann sind es nur noch zehn Sekunden, bis die Kamera auf uns zeigt und eine zukünftige Weltberühmtheit, ein Comiczeichner und Kalendertageerfinder, vorgestellt wird. Das bin dann wohl ich.

Ich höre mich Dinge sagen und mich mindestens zwei mal verhaspeln. Denken funktioniert nicht so richtig. Mein Mund arbeitet von alleine, findet irgendwo in mir noch ein paar Kalendertage, die er nennen kann, reagiert auf Johannes, reagiert auf Andrea, pustet sogar das von mir geschätzte Wort Positivität in die Welt, trocknet aus, findet Glaswasserfeuche, antwortet noch, formt vielleicht sogar ein Lächeln, ich weiß es nicht, trägt mich durch sieben Minuten Fernsehaufnahme, und dann ist es vorbei.

Eine Dame mit Mikro weist mich in ungefähre Richtung des Draußen, Eva empfängt mich und freut sich, dass alles super lief. Ich freue mich, dass ich keine Nazis erwähnte, und dann bin ich schon beim Abschminken.
Ob ich weiß, wie man sich eincremt, fragt mich die nette Dame, und ich überlege, ob man als Weltfernsehstar das üblicherweise von jemandem erledigen lässt. Kommt auf jeden Fall auf meine ToDoList. Beziehungsweise auf die ToBeDoneBySomeoneList.

Ich bin noch immer verkabelt, als Johannes Oerding live mit Gitarre einen seiner Songs singt und mich damit beeindruckt, wie er das einfach so kann: charmant und professionell auf alle Fragen antwortend nebenbei noch ein Liedchen trällern und dabei auch noch gut zu klingen.

Abspann. Er kommt rein, alle reden durcheinander, Andrea kommt dazu, irgendwann wird meine Kabelei entfernt, ich danke, freue mich, Johannes singt Andrea noch ein Liedchen, gibt mir eine signierte CD, ich signiere ihm einen Kalender. Allgemeiner Aufbruch, mit Händeschütteln und allem. Der Fahrdienst steht bereit.

Ich smalltalke auf dem Weg zum Bahnhof, diesmal über Comics. Die Schweigeminute erwischt uns mittendrin, und wir schweigen. Gefällt mir auch.
Dann stehe ich am Bahnhof und stelle fest, dass mich niemand erkennt. Wie lange es wohl dauert, bis der Weltruhm einsetzt?

Als der ICE einfährt, steige ich in die 2.Klasse. Meine Bahncard gilt nur für die zweite, mein Ticket für die erste Klasse. Vermutlich sollte ich in der Trenntür stehen.
Ich setze mich. In das gemeine Volk. Will trotz nahendem Weltruhm den Kontakt zum Normalmenschen halten. Allerdings mit Kopfhörern. Selbst die Schaffnerin ist von meiner Bahncard-Ticket-Situation verwirrt. So macht man sich unsterblich, denke ich und grinse wie eine Zelebrität.

Neben mir handyfilmen drei Touristen ihre Urlaubsreise. Es ist unvermeidbar, dass ich ebenfalls im Bild bin. Das kann kein Zufall sein, denke ich und spüre, wie mein Ruhm die Landesgrenzen überquert. Währenddessen lasse ich mich durch Deutschland tragen, höre ich Musik und beantworte das Internet.

Fünf neue Freundschaftsanfragen warten auf Facebook auf mich. So fühlt sich also Weltruhm an, denke ich.
„Muss man die Person neben dir eigentlich kennen?“, fragt Twitter, und ich weiß, ich habe es geschafft.

3 Gedanken zu „Volle Kanne Weltruhm“

  1. Hallo Bastian, habe gerade in der Mediathek deinen Auftritt gesehen und fand ihn echt gut. So viel verhaspelten Unsinn hast du gar nicht geredet. Außer, dass der sensationellste Tag des Teebeutelweitwurfs nicht erwähnt wurde, war alles wuhuu. Dein Mitgast schien auch wirklich nett zu sein. Und es stimmt auf jeden Fall, dass die Kamera, wenn nicht Pfunde hinzufügt dann doch so verändert, dass ich ein paar Sekunden gefremdelt habe mit deiner Erscheinung. Angesichts von Fredkalender und -T-Shirt (alles schön im Bild) war ich dann aber schnell von deiner echten Identität überzeugt. Und sobald der Clip auf Youtube erscheint, ist der Weltruhm im Anmarsch. Fred flattert zu allen Kontinenten! Wuhuu!

    1. Huhu liebe Anja.

      Ich bin meinem Mund dankbar, dass er von selbst einigermaßen Sinnvolles auswarf, obwohl die Verbindung zum Gehirn unterbrochen war. Der Tag des Teebeutelweitwurfs lag auf meiner Zunge, musste aber in der Hast nach hinten weichen. Aber ich kann dir versichern, dass ich ihn ständig überall erwähne.

      Weltruuuuhm!!!!
      Hihi.

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