Über die Häßlichkeit von Schlafanzügen

Ich bin kein Liebhaber von Schlafanzügen.
Diese Aussage gilt nicht im allgemeinen, sondern richtet sich eher speziell auf mich, auf meine eigenen Schlafanzüge. Denn diese sehen nicht unbedingt begeisternswert aus und lassen auch meinen Adoniskörper in wenig vorteilhaftem Licht dastehen.

Wenn ich es mir genauer überlege, muß ich erstaunt feststellen, daß ich nur zwei Schlafanzüge besitze, einen kurzen und einen langen. Letzteren mag ich sogar, beziehungsweise mochte ich, bevor er sich allmählich aufzulösen begann. Und der kurze ist ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, sieht – weil er früher nie benutzt wurde – zwar akzeptabel aus, wird aber von mir nicht favorisiert, weil er und ich im modischen Sinne keine Einheit bilden können.

Was soll man auch von einem Kleidungsstück erwarten, dessen flächengrößte Farbanteile aus Grau, dreckigem, unschönem Grau bestehen, welches nur durch ein dunkles Rot unzureichend ergänzt und aufgewertet wurde? Und als wäre dies nicht genug der Augenqual, beschloß der offensichtlich blinde und modegeschmacksbefreite Schlafanzugdesigner, eine zerlaufene „53“ auf Ärmel und Hosenbein zu malen, die nicht nur bedeutungslos ist, sondern schlichtweg lächerlich wirkt.

Diese Lächerlichkeit überträgt sich – zumindest in meinen Gedanken – vom Schlafanzug auf meine gesamte Person, weswegen ich es vorziehe, den Schlafanzug nur nachts zu tragen und die Anzahl der Blicke anderer auf dieses keineswegs geschätzte Kleidungsstück zu minimieren.

Früher, als Kind, mußte ich immer Schlafanzüge tragen, die in den meisten Fällen zu klein oder häßlich [oder beides] gewesen waren. Omas schenkten mit Vorliebe Schlafanzüge, die schon vor Jahren zu eng gewesen waren, lernte ich. Irgendwann, als ich mich in eigener Wohnung frei entfalten konnte, übernachtete ich entweder nackt – was ich aus verschiedenen Gründen bald bleiben ließ – oder in extra dafür reservierten Shorts.
Vorzugsweise erwählte ich meine blauen Garfield-Boxershorts. Diese waren zwar an Lächerlichkeit kaum zu überbieten, doch war die Lächerlichkeit bewußt gewählt, gesucht, und daher bedeutungslos.

Dann kam der Winter. Die Shorts reichten nicht länger, um das Frösteln unter meiner zuweilen nicht ausreichend wärmenden Bettdecke zu tilgen. Ich probierte es mit zusätzlichen T-Shirts, fortan als Schlaf-Shirts bezeichnet, kleidete mich also im Bett mit von mir durchaus gemochten Shirts und Shorts.

Irgendwann entdeckte ich die beiden Schlafanzüge in meinem Kleiderschrank und hielt es für eine gute Idee, sie auszuprobieren, anzuziehen. Ich mochte den langen, weiß-karierten, den ich von meinem Vater irgendwann geschenkt bekommen hatte. Er wirkte fast schon festlich, fast, als wäre ich Bestandteil einer Fernsehserie, eines Filmes, in denen nahezu sämtliche Darsteller ihre Nächte in Designer-Schlafkleidung verbringen und auch gleich nach dem Erwachen kunstvoll zurechtgemachten Prinzessinnen gleichen.
Nein, ich fühlte mich nicht wie eine Prinzessin. Aber ich fühlte mich vornehm.

Als es wieder wärmer wurde, entschloß ich mich dazu, den langen gegen den kurzen Schlafanzug einzutauschen, erwartend, das gleiche edle Gefühl geschenkt zu bekommen. Doch ich wurde enttäuscht. Innerhalb weniger Tage verwandelte ich mich vom nächtlichen Lord zu Schlumpi, der grauen Maus.

Und doch behielt ich es bei, trug den Schlafanzug, weil sich in meinem Kopf der Gedanke festgesetzt hatte, daß es richtiger ist, einen Schlafanzug im Bett zu tragen als eine eigenes ausgewählte Short-Shirt-Kombination.

Vorhin klingelte es. Die Postfrau riß mich aus dem Schlaf. Ich verübelte es ihr nicht, erwartete ich doch sehnsüchtig die Ankunft dreier Bücher. Vergnügt sprang ich aus dem Bett, setzte die Brille auf, rannte zur Tür, betätigte den Türöffner und sagte:
„Einen Moment noch. Ich bin sofort unten.“

Das widersprach sich zwar, doch gab mir die Gelegenheit, meinen häßlichen, lächerlichen Schlafanzug gegen annehmbare Normalkleidung auszutauschen, mich selbst in ästhetischere Wohlfühlklamotten zu transferieren. Auf keinen Fall wollte ich durch das Treppenhaus stürmen und der Postfrau in meinem schäbigen Schlafgewand begegnen oder noch schlimmer: einem meiner Nachbarn.

Und eine Frage stellte sich mir, die ich nicht verdrängen konnte: Selbst wenn man von der Häßlichkeit meines eigenen absah – Warum sind Schlafanzüge im allgemeinen nicht die geeigneten Kleidungsstücke, in denen man – natürlich innerhalb der eigenen vier Wände – Fremden oder Freunden begegnet? Warum strahlen diese Zweiteiler, die tatsächlich ja aus Hose und Shirt bestehen, also kaum andere Komponenten verwenden, als es normalerweise zu tragen üblich ist, etwas derart Privates, Intimes aus, das auf keinen Fall anderen unter die Nase gerieben werden sollte?

Liegt es nur an der fehlenden Unterwäsche? Liegt es daran, daß man in dieser Kleidung geschlafen hat und womöglich des Nachts noch mit anderen, anzüglicheren Dingen beschäftigt gewesen sein könnte? Liegt es gar daran, daß es sich nicht gehört, erst halb zehn aufzustehen und den Tag zu beginnen?

Ich weiß es nicht und verschwinde grübelnd unter der Dusche. Ohne Schlafanzug.

2 Gedanken zu „Über die Häßlichkeit von Schlafanzügen“

  1. Ich hasse Schlafanzüge – und zwar ganz im Allgemeinen. Ich stelle mir immer selbst meine nächtlichen Dress zusammen. Dass die extra zum Schlafen konzipierten Anzüge nicht für die Öffentlichkeit taugen, liegt in der Sache an sich. Wenn ich mich auf dem Balkon anständig im Bikini sonne, würde ich auch keinem in diesem Aufzug die Tür öffnen. Und ehrlich gesagt, ich bin bei einigen Mitmenschen sehr froh, dass ich nicht weiss, wie ihre Kuschel-Kombo aussieht…

  2. Da fällt mir die Frage in die Hände, ob nicht für Frauen gedachte Nachthemden bedeutend umgänglicher sein können als die für Männer gedachten. Was aus feministischer Sicht durchaus lobenswert zu sein scheint, aber bei mir doch ein wenig Bedenken auslösst, ob nicht die Männerwelt mit soetwas zu unrecht bestraft wird 😉
    nächtliche Grüße

    PS. Die beschrieben Situation mit dem Postboten ist mir vor ein paar Tagen genau so! wiederfahren, welch schön-schauriges Erlebnis.

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