Klassik gegen Punks

Der Magdeburger Bahnhofsvorplatz, vor gar nicht allzu langer Zeit in „Willi-Brandt-Platz“ umgetauft, wird nicht nur von einer City-Carre-Einkaufspassage, von McDonalds, PizzaHut, Cinemaxx und – natürlich – vom Bahnhofsgebäude umrandet, sondern auch gern von weniger beliebten Teilen der Bevölkerung besucht, welche die vorhandenen Sitzmöglichkeiten und besetzbaren Stufen zu ständigen und stundenlangen Aufenthaltsorten deklarieren.

So trifft man auf dem Bahnhofsvorplatz neben den üblichen Trinkern, die zuweilen schon des Morgens, mit notwendigem Utensiliar ausgestattet, ihre Plätze beziehen auch immer wieder Punks und deren Freunde an, die ihren älteren Vorbildern nachzueifern scheinen, indem auch sie sich mit alkoholhaltigen Getränken den Tag versüßen, zusätzlich aber von vorbeieilende Passanten eine Kleingeld- oder Tabakspende zu erwirken versuchen.

Das City-Carre reagierte längst, ließ eine Tafel anbringen, auf der verkündet wird, daß es nicht gestattet sei, sich in einem der Eingangsbereiche des Einkaufscenters bettelnd oder pöbelnd aufzuhalten. Für Ordnung sorgt auch ein Sicherheitsmann, der die potentiellen Verdächtigen nicht aus den Augen läßt.

Daß der Bahnhofsvorplatz mit Kameras überwacht wird, bedarf wohl keiner Erwähnung.

Was G und mir in der letzten Zeit insbesondere in den Abendstunden aber immer wieder auffiel, war eine Besonderheit des Bahnhofsvorplatzes, die uns staunen machte, ja andächtig lauschen ließ.

Denn aus, an der Außenseite des City-Carre-Gebäudes angebrachten Lautsprecherboxen ertönte jedesmal, wenn wir abends dort vorbeiliefen, laute, klassische Musik.
Wir kannten die Stücke stets, und obgleich wir nicht imstande waren, einen Komponisten zuzuordnen, blieben wir stehen, um uns der Musik zu erfreuen, die uns imposant und ergreifend entgegentönte.

Tatsächlich wäre es wohl keineswegs die schlechteste Vergnügung, sich auf einer der Bänke niederzulassen und den Klängen zu lauschen, die den Bahnhofsvorplatz in eine gediegenere Atmosphäre versetzten.

„Was soll das? Wem nützt das?“, fragten wir uns jedoch und fanden alsbald eine Lösungsmöglichkeit:

Die fortwährende Beschallung mit klassischer Musik dient einzig und allein dazu, alkoholisiertes, sich unsittlich benehmendes Gesindel vom Bahnhofsvorplatz fernzuhalten.
Mit Schönem soll das Unschöne vergrault werden.

Leicht ist es, sich vorzustellen, wie Punks und Trinker auf die klassischen Klänge reagieren, unwillig, nach ein paar Minuten vielleicht genervt, eventuell versuchend, mit eigenen Klängen zu kontern.
Doch irgendwann würde sie vielleicht aufgeben, nachgeben, sich verziehen, andere Orte aufsuchen, die weniger vornehm beschallt werden und – möglicherweise – weniger zentral liegen.

„Clever.“, loben wir diese wahrlich humane, ordnungsschaffende Maßnahme, betrachten die unbesetzten Bänke und Treppenstufen und halten inne, um noch ein paar Minuten lang den musikalischen Freuden zu frönen.

[Im Hintergrund: The Dresden Dolls – „A Is For Accident [live]“]