Abendliche Innenstadtausschweifungen mit Freunden und Bekannten, mit Musik und Getränken, beendend wähle ich nicht selten den Fußweg in Richtung heimatlicher Gefilde. Öffentliche Nahverkehrsmittel zu nutzen würde mich nichts kosten, doch fühlte ich mich auf diese Weise nicht flexibel genug, zu sehr abhängig von halbstündigen Abfahrtszeiten, vom Umstieg am Bus- und Bahnsammelpunkt. Hinzu kommt, daß ich dennoch ungefähr sieben Minuten Fußweg zurückzulegen hätte – und trotzdem nicht zeitiger heimgekehrt wäre, als würde ich gleich laufen.
Der Trick ist der Glacis, ein schmales Parkstück inmitten Magdeburgs, dem nachgesagt wird, daß sich in ihm ein Treffpunkt für schnellen Sex suchende Schwule befindet. Zu den üblichen Hinweisen
„Fahr lieber mit der Bahn. Im Park ist es so dunkel…“
gesellt sich also zuweilen ein besorgtes
„Nicht, daß dich die Schwulen wegschnappen…, nicht bedenkend, daß an Sex interessierte Schwule vermutlich nicht automatisch dazu neigen werden, maskuline Passanten vom Wege wegzureißen, in die Büsche zu zerren, um sich dort an ihnen auszuleben.
Ich ignoriere alle Warnungen und laufe dennoch durch den Park. Abgesehen von einer Bahngleisunterführung ist der Park beleuchtet. Obgleich auf dem Magdeburger Ring nachts die Laternen zu Strom- und Geldsparzwecken abgeschaltet werden, leistet es sich die Stadt, diesen winzigen Flecken Grün mit ausreichend Licht zu bestücken, um im Dunkel stets aufwallende Gefährlichkeitsgedanken zu reduzieren.
Ich liebe die Bahngleisunterführung. Wenn ich hier mit meinem Fahrrad durchradle und ausnahmsweise auf eigenes Licht verzichte, klingle ich stets wie wild, um – das Gebaren südländischer Autofahrer nachahmend – durch meinen Lärm ankommenden Gegenverkehr zu warnen. Das mag lächerlich klingen, doch es geschah bereits, daß ich mich im Dunkel befand und ankommende Radfahrer erst bemerkte, als ich ihren Lufthauch in bedrohlicher Nähe an mir vorbeigleiten spürte. Fast hätte es einen Unfall gegeben, und die Vorbeirauschenden hatten mich überhaupt nicht bemerkt.
Ich gebe zu, daß ein Grund, durch diesen Park zu laufen, dessen Ruhe, dessen Abgeschiedenheit ist. Nachdem ich mich ausreichend Innenstadtfreuden gebadet habe, ist es mir ein Wohlgefallen abzuschalten, in meinen Gedanken versunken durch den Park zu schlendern, durch das Halbdunkel, das – befreit von aufdringlichen Menschen und deren Gelärm – für wohlige Ruhe in mir sorgt.
Ich rekapituliere Gesagtes, Gehörtes, finde plötzlich die richtigen Antworten, die mir vorhin noch versagt gewesen waren, interpretiere Zeichen und Symbole des vergangenen Abends, stelle mir Fragen und versuche, deren Lösung zu erheischen. Hin und wieder bleibe ich stehen, um einer Schnecke zuzusehen, wie sie langsam über den Asphalt kriecht und eine glitzernde Spur hinterläßt. Ich hebe sie an, vorsichtig, und setze sie auf der anderen Seite des Weges wieder ab, ins Gras, dorthin, wo sie, hätte sie ihre Richtung beibehalten, ohnehin angekommen wäre.
In diesem Park finde ich mein kleines Lächeln, jenes, dessen Präsentation nach außen hin sich auf ein Minimum beschränkt, das vielleicht einen Mundwinkel hebt oder meine Augen vergnügt aufblitzen läßt. Jenes Lächeln liebe ich; es reicht nach innen, erwärmt sich an Kleinstem, an Wortfetzen, Gedankenskizzen, an raschelnden Blättern und Schneckenspuren auf dunklem Asphalt.
Hin und wieder steigere ich das Maß der Abgeschiedenheit, indem ich mir Musik in die Ohren stöpsle, sie einen weiteren Sinn blockieren, mich von ihren Emotionen mitreißen lasse. In der halbdunklen Stille des Parks erklingen meine unförmigen Mitsingversuche, nicht selten mit eigenen spontan ersonnenen Texten, die ich im selben Moment vergessen habe, da sie meinen Mund verließen.
Überholt mich ein Fahrradfahrer, so grinse ich kurz verlegen oder tue so, als hätte ich ihn nicht bemerkt, singe weiter, als wäre ich für mich allein, ungestört von der fremden Kurzpräsenz.
Unlängst schlenderte ich heimwärts, als zwei Jugendliche versuchten, gemeinsam auf einem Fahrrad zu sitzen und dennoch voranzukommen. Ihre fehlende Übung in solchen Dingen zeigte sich deutlich und ließ sie immer wieder innehalten und absteigen. Ich überlegte, ob ich stehenbleiben sollte, denn ich wollte meine Abgeschiedenheit nicht mit ihren Anwesenheiten vergällen und zugleich nicht unfreiwilliger Zuschauer sein bei ihrem Mißlingen. Ich lief nun langsamer, doch den beiden war ein stetes Vorankommen noch immer untersagt. Die Bahngleisunterführung trug nun Schuld, mußte doch wegen ihr ein Anstieg überwunden werden, der die beiden straucheln ließ.
Letztlich gelang es. Auf Gepäckträger und Sattel sitzend nahmen sie Geschwindigkeit auf und entradelten langsam meiner Welt. Auf einer Parkbank saß ein alter Mann, der die beiden Vorbeifahrenden vergnügt beobachtete. Als ich ihn erreichte, begann er zu lachen. Ich erschrak, denn was ich vernahm, hätte auch die teuflische Lache eines Horrorfilmdämonen sein können – ein Gedanke, der im parkischen Halbdunkel unangebracht ist, weil mit einem Male plötzlich hinter jedem Baum, in jedem Schatten, Geister und Schreckgestalten hausen.
Der Mann lachte noch, als ich an ihm vorbeigegangen war, und für einen Moment fragte ich mich, ob er vielleicht mich meinen könnte, wissend, daß ich mich auf meinem weiteren Weg durch den Park in gräßliches Unheil stürzen würde. Ich lächelte scheu und versuchte, den albernen Gedanken zu verscheuchen, lauschte der Musik in meinen Ohren, welche die Worte in meinem Kopf, die Bilder, zu dämpfen vermochte.
Mir passierte nichts. Weder Unholde noch Schwule vergingen sich an mir. Nur die Batterie des Musikabspielgerätes verweigerte den weiteren Dienst, so daß ich den letzten Teil des Weges in Stille verbringen mußte. Natürlich herrscht inmitten einer Stadt niemals Stille, und auch hier, in unmittelbarer Nähe des unbeleuchteten Magdeburger Rings, wird die Illusion parkeigener Idylle – himmlische Ruhe durchsetzt mit vereinzeltem Grillenzirpen und Nachtvogelgesang – umgehend zerstört.
Doch was ich suche, ist nicht Stille. Es ist Schweigen. Abgeschiedenheit. Nur einen Moment lang, um zur Ruhe zu kommen, nach dem Trubel mich selbst wiederzufinden, mich der inneren Sehnsucht hinzugeben oder bereits mit dem Träumen zu beginnen.
Auf der Wiese sehe ich eine Silhouette. Zu oft narrt mich das Halbdunkel, läßt in meinen Gedanken aus den Formen gehäufter Blätter winzige Wesen entstehen, denen ich mich neugierig nähere, um dann über meinen Irrtum zu lächeln.
Doch diese Silhouette ist echt: Ein Igel läuft durch das Gras, vermutlich Nahrung suchend, jagend. Ich bleibe nicht stehen, will ihn nicht stören, nicht bei seinen nächtlichen Streifzügen, nicht mit meiner freudig erregten Anwesenheit.
Lächelnd verlasse ich den Park.
[Im Hintergrund:Opeth – „Blackwater Park“]
🙂 die nächtliche Ruhe in der Stadt und in grünen Flächen hat was mysthisches…
REPLY:
Und das besonders nach Regen…
oh wie recht du hast. Es gibt (fast) nichts schöneres als Städte bei nacht. Diese paar Sekunden in denen totenstille herrscht, weil das eine Geräusch schon weiter gezogen ist und das nächste noch nicht da ist…