Defekt

Es liegt nicht unbedingt in meiner Natur, es eilig zu haben oder störrisch-langsamen Automaten meine Ungeduld durch verzweifeltes Stöhnen verständlich zu machen, doch da ich wie immer erst auf den letzten Drücker losgeradelt war und mein Zug in zwei Minuten abfahren würde, raubte mir die provozierende Langsamkeit des Fahrkartenautomaten den letzten Nerv.
Geduldig stand mein Rad neben mir in der Bahnhofshalle, während mir der Tastbildschirm wieder und wieder sich füllende, rote Ladebalken zeigte, die nach Befüllungsvollendung erneut mit ihrem dämlichen Spiel begannen. Und dabei brauchte ich doch nur ein simples Regionalbahnticket, eines, das ich mir vermutlich sogar sparen könnte, wäre ich nicht der Ehrlichkeit anheim gefallen.

Endlich verlangte der Automat meine EC-Karte. Einen Moment lang zögerte ich noch, da auch die Option des Bar-Zahlens bestand, dann schob ich die Karte in den Schlitz – genauso wie ich es bei unzähligen anderen Modellen bereits getan hatte. Eine geraume Weile geschah gar nichts. Dann meldete der Bildschirm einen Fehler. Nun ja, nicht wirklich. Mir wurde nur mitgteilt, dass meine Karte womöglich falsch herum im Schlitz stecke und dass ich entweder abbrechen oder die Karte richtig herum drehen solle. Ebenfalls wurde mir die Bargeld-Option angeboten, was merkwürdig war, weil die beiden Schriftzüge einander partiell überdeckten und zudem der Münzeinwurfschlitz nicht freigegeben worden war.

Eine Abbruchmöglichkeit gab es nicht. Der Tastbildschirm, der sonst die zu drückenden Buttons anzeigte und auf unsensible Berührungen reagierte, bot mir nun nur zwei Schriftzüge [immerhin: passend zur Deutschen Bahn], das Datum und die Uhrzeit an. Mein Zug war bereits abgefahren.

Der Automat weigerte sich beharrlich, meine EC-Karte auszuspucken. Störrisch verwies er auf meinen Fehler und darauf, dass sie vielleicht in anderer Position lesbarer wäre – doch bot er mir keine Möglichkeit, eine andere Posiiton zu erwirken. Wild und wahllos drückte ich auf dem Bildschirm herum. Vielleicht erwischte ich ja tatsächlich irgendeine verborgene Abbruchstaste oder konnte gar den begonnenen Fahrkartenkauf beenden. Doch nichts geschah.

Die einzig sichtbaren Tasten waren die der PIN-Eingabe, und obgleich ich ahnte, dass es nutzlos sein würde, drückte ich jede einzelne Taste – kraftvoll und mehrmals. Nichts geschah.

Der hinter mir Wartende verzog sich, und ich rief die Nummer der Automatenstörstelle an, die freundlicherweise angegeben war. Ich hatte keine Ahnung, ob der Anruf kostenfrei war, doch ging optimistisch davon aus. Ebenso optimistisch war ich bereit zu glauben, dass der Automat sich vielleicht mit einem ferngestuerten Reset zur Kartenfreigabe bewegen lassen könnte.

Doch zunächst vernahm ich nur Gedudel und die wiederholte Bandansage, die darauf verwies, dass im Augenblick alle Mitarbeiter beschäftigt seien und dass ich mich in Geduld üben solle. Ich übte, und nach einer Weile ging tatsächlich eine gutgelaunte Frau an den Apparat und nahm meine Daten auf. Name, Telefonnummer, Adresse. Dann erst durfte ich mein Problem schildern.

Die Frau schien nur partiell zu verstehen und ganz gewiss war sie nicht imstande, mir weiterzuhelfen, denn immer wieder überraschte sie mich mit nutzlosen Ratschlägen. Ob ich nicht die Abbrechen-Taste drücken könne [die nicht vorhanden war]. Ob ich nicht so tun könne, als würde ich noch einmal neu beginnen, den Automat zu benutzen [Konnte ich nicht, da der Bildschirm nur Nonsens anzeigte.]. Ob ich nicht einmal gegen den Automaten hauen könne. Ich schlug zu und am anderen Ende der Leitung erklang ein überraschtes Lachen, das sich wohl auf die vermeintlich immense, aber dennoch ergbnislose Wucht meines Schlages bezog.

Andere Ratschläge hatte die Dame nicht parat. Die Techniker seien längst unerreichbar und würden mir die Karte am Montag zukommen lassen. Ob ich mir nicht die Bearbeitungsnummer aufschreiben und dann noch einmal anrufen könne. [Nach ein wenig Kramerei fand ich tatsächlich Stift und Papierähnliches.]. Dass es dennoch besser sei, die Karte zu sperren.

Ich legte auf und fragte mein Handyguthaben ab. Wenn ich mich nicht irrte, hatte ich soeben acht Euro für die nahezu nutzlose Hotline ausgegeben. 67 Cent waren mir verblieben und ich beschloss, L anzurufen, die mir nicht nur die EC-Karten-Sperr-Telefonnummer heraussuchen, sondern auch mein Guthaben wieder aufladen sollte. Als ich nur die Anrufbeantworteransage vernahm, schmetterte ich entnervt meinen Kugelschreiber gegen die Bahnhofswand.

Ich betrachtete die herumliegenden roten Plastikteile und versuchte, andere Freunde zu erreichen, die womöglich gerade in Netznähe verweilten. Erst beim zweiten Versuch, L anzurufen, hatte ich Erfolg, und während ich spürte, wie mein Guthaben von 67 Cent unaufhörlich der Null entgegenschrumpfte, erklärte ich mich und meine Wünsche.

L half, und wenige Minuten später hatte ich 15 Euro auf meinem Guthabenkonto und die Nummer Kartensperrhotline in ein Buch gekritzelt. Ich rief an, und mal wieder begrüßte mich nerviges Warteschleifengedudel. Geduldig wartete ich. Ein Zug fuhr über mir dahin, gerade als die Automatenstimme verschiedene Optionen zur Weitervermittlung anbot. Ich verstand kein Wort und reagierte nicht. Doch das schien zu reichen, denn bald hatte ich eine Frau am Telefon, die fragte, was für eine Karte denn gesperrt werden solle.

Aha, dachte ich, gilt die 116116 also für die Karten aller Banken? Ich wurde verbunden. Warteschleifenmusik. Ein Mann. Innerhalb weniger Sekunden hatte er sich Name, Adresse, Bankleitzahl und Kontonummer [Ich kannte glücklicherweise alles auswendig.] notiert und erklärte die Karte für gesperrt. Alles weitere würde der Kundenberater meiner Bank mit mir klären, meinte er noch und legte dann auf, ohne mir Gelegenheit zu geben, auch nur eine meiner vielen Fragen stellen zu können.

Nun ja, dachte ich, immerhin ist die Karte gesperrt, und schob mein Rad zum Bahnhofsinformationsschalter, den Fahrkartenautomaten samt verschluckter EC-Karte zurücklassend. Vielleicht, hoffte ich, kannte man bei der Information irgendeinem geheimen Trick, dem Automaten meine Karte zu entlocken.

Man kannte nicht. Die Bahndame äußerte ihr Bedauern, doch gab zu, machtlos zu sein. Ich meinte, man solle wenigstens ein „Defekt“-Schild an den Automaten hängen, weil schließlich andauernd Menschen kämen, die erst wild auf den tasten herumdrückten, ehe sie begriffen, dass der Automat nutzlos war. Sie bestätigte dies und entließ mich uninformiert und EC-kartenlos.

Ich stellte mein Rad an eine Wand und reihte mich in die Warteschlange am Fahrkartenverkaufsschalter ein. „Ich möchte gern nach Halle.“, sagte ich, als ich endlich an der Reihe war. „Die Regionalbahn 19.07 Uhr? “ Ich lächelte und nickte. „Genau die.“

Mitterweile hatte ich fast eine Stunde auf dem Bahnhof verbracht, und die nächste Bahn würde bald fahren. Rasch erwarb ich noch eine Cola, überzeigte mich davon, dass der Automat immer noch defekt und „Defekt“-Schild-frei war und begab mich auf den Bahnsteig. Letztlich war es doch nicht allzu schlecht gelaufen. Sicherlich, die EC-Karten-Sache gab Scherereien. Doch die Karte war gesperrt, ich hatte einen Fahrschein, keinen Durst mehr und noch ein bißchen Bargeld, um über die Runden zu kommen. Nun brauchte ich nur noch in den Zug einzusteigen und kurz darauf in Halle anzukommen.

Allerdings hatte der zwischen Halle und Magdeburg hin und her pendelnde Zug Verspätung. Eine halbe Stunde! Bei einer Normalfahrtzeit von 70 Minuten! Das konnte doch nicht wahr sein!

Ich gab auf. G rief an und ließ meine Schimpftirade über sich ergehen. Dann setzte ich mich, nippte an meiner Cola, die Ohren musikalisch verstöpselt, den Blick in einem Buch und wartete. Die Welt konnte mich mal.

Die ganze Geschichte: Teil II, Teil III, Teil IV, Teil V