Haustür

Als ich noch mein kleiner Bruder war, hatten wir ein Haustier namens Haustür. Er quietschte, wenn man sich ihm näherte, und Unwissende hielten ihn oft für eine minderjährige Zitrone.

Wir hatten nie herausfinden können, was Haustür eigentlich genau war, doch vermuteten wir in ihm eine Mischung aus Lärmgebügeltem Drehtstuhltelefon und Kicherndem Wüstenmolch. Er war von oben bis unten behaart. Leider zog sein üppiges Komentenfell es vor, anstatt auf seinem Köper neben diesem zu wachsen, und einmal pro Woche durften wir Kinder uns hübsche Zimmerdeckenzierteppiche oder Schnauzbärte aus den überall herumliegenden Haaren häkeln. Ich war nie sehr gut in handarbeitlichen Tätigkeiten, und so war es nicht verwunderlich, dass mein Häkelschnurrbart einem Zimmerdeckenzierteppich glich, und mein Zimmerdeckenzierteppich einem Häkelschnurrbart.

Dennoch war Haustür, abgesehen davon, dass er das einzige Haustier war, das ich je besaß, das pflegeleichste und wundervollste Haustier, das ich je besaß. Und das nicht nur, weil er quietschte. Wenn wir durch das Parkhaus spazierengingen, bellte er immer meinen Namen in den Sand und gab nicht eher Ruhe, bis ich lachte wie ein Thermometerluftballon. Also lachte ich, und Haustür jagte meinem Gelächter nach, fing es ein und apportierte es. Apportürte, sozusagen. Hihi.

Manchmal schwieg Haustür, und sein Schweigen löschte jeden Lärm aus dem Raum. Es roch dann stets ein wenig nach Rosenquarz, und ich wusste, dass in diesem Augenblick alles in Ordnung war.

Und wenn man sich ihm näherte, quietschte er. Meistens blau, manchmal aber auch orange. Stets war es ein Wattequietsch, und nichts war schöner, als immer wieder fortzugehen und zurückzukommen, hinter einem Baum zu verschwinden und plötzlich wieder aufzutauchen – und dann seinem feinsinnigen Gequietsche zu lauschen.

Irgendwann war Haustür fort. Er lebte auf einem riesigen Bauernhof, meinten unsere Eltern immer, wenn wir sie fragten. Wir weinten Honigmaden und Schneckenblumen, doch er kam nicht zurück.
Er wäre sehr glücklich, meinten unsere Eltern immer, wenn wir sie fragten, doch wir wussten, dass sie logen.

Gestern entdeckte ich eine Postkarte in meinem Briefkasten. Eine dicke Weizenkuh zierte die Vorderseite und auf der Rückseite befand sich nur ein einziges Wort:
„Quietsch.“

Es war blau.

2 Gedanken zu „Haustür“

  1. Ich habe mich sehrstens amüsiert – und das will für eine Alte Saeckin bei diesem scheißheißen Wetter schon etwas heißen. Weiter so!

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