Peter

„Ich heiße gar nicht Peter.“, rief Peter und rannte davon. Ich schaute ihm hinterher, als ergäbe sein Ausruf plötzlich Sinn, wenn ich nur lang genug seinen kleiner werdenden Rücken betrachtete.

Irgendwann fiel mir noch ein, „Wieso denn nicht?“ zu fragen, doch meine Worte erreichten ihn nicht mehr. Ich zuckte mit den Schultern, drehte mich um und ging nach Hause.

Mutter bereitete gerade das Abendbrot zu, kramte in Schubladen, holte Teller aus untersten Schrankfächern, entrang dem frisch gebackenen Laib ein paar betörend duftende Scheiben, zerkleinerte Gurken und Tomaten mit einem überdimensional großen Messer und pfiff das gleiche Lied, das sie immer pfiff, wenn ihr Gemüt mit bester Laune besprenkelt war.

„Peter heißt gar nicht Peter.“, sagte ich zu ihr und sie gab einen abwesenden Brummlaut von sich, während sie in Töpfen rührte und Gläser spülte.

Eigentlich hießen wir alle Peter. Peter hieß Peter, Peter hieß Peter und sogar Peter hieß Peter – und sie war ein Mädchen. Überraschenderweise gab es keine Verwechslungen, und selbst jetzt, da ich Mutter mitgeteilt hatte, dass Peter gar nicht Peter hieß, war klar, welcher Peter gemeint war. Peter, mein Klassenkamerad und Freund seit vielen Jahren, Peter, dessen Schwestern Peter und Peter die wahrscheinlich hübschesten Mädchen des ganzen Dorfes waren. Peter, dessen Onkel – seinen Vornamen kannte ich nicht – uns für die Sommerferien in ein Haus am See eingeladen hatte. Eben Peter.

Ich hieß auch Peter, mochte es aber lieber, wenn man mich Pe nannte. Ich kannte einen Pjotr, einen Pete und sogar jemanden, der Petra hieß – und er war ein Junge. Ich hatte von einem Pietro gehört, der nicht aus der Gegend kam und vielleicht auch Pedro hieß, und von einer Petty, mit der aber niemand etwas zu tun haben wollte. Sie stank ein bisschen, hieß es, aber ich fand, sie roch auch nicht schlimmer als beispielsweise Peter.
Alle hießen Peter.

„Peter heißt gar nicht Peter.“, wiederholte ich, obwohl ich wusste, dass Mutter mich bereits beim ersten Mal gehört hatte. Doch ich wollte eine Antwort haben, und wenn ich eine Antwort haben wollte, wiederholte ich meine Frage eben solange, bis ich eine Antwort bekam. Selbst wenn ich gar keine Frage gestellt hatte.

„Peter heißt gar ni…“
„Ist ja gut, Peter.“, unterbrach mich Mutter und goss kochendes Wasser in die blaue Kanne, die ich nicht berühren durfte, damit sie nicht kaputt ging. Dann setzte sie sich auf ihren Hocker und seufzte. Sie seufzte immer, wenn sie sich auf den Hocker setzt, fast so, als würde der Hocker alle nutzlose Luft aus ihr herausdrücken. Und vielleicht war es auch so.

„Peter heißt nicht Peter.“, erklärte Mutter, „Er hieß noch nie Peter.“
Ich riss die Augen auf. Das konnte doch nicht sein! Alle hießen Peter. Peter, Peter, Pjotr, Peter … – sie alle hießen Peter!

„Aber alle heißen Peter!“, rief ich und fuchtelte mit den Armen, versuchte, das Unglaubliche zu verscheuchen.
„Alle.“, bestätigte Mutter langsam nickend, „Alle außer Peter.“

In der Küche wurde es still. Selbst das stete Brodeln und Köcheln auf dem Herd schien sich zu bemühen, ein wenig leiser zu sein. Ich versuchte zu begreifen, doch konnte nicht. Alle hießen Peter. Auch Peter.

Mutter seufzte ein zweites Mal, doch der Hocker hatte bereits alle Luft aus ihr herausgedrückt, so dass sie eher ausatmete als seufzte. Ich bemerkte es trotzdem.

Mutter sah aus, als müsste sie sich überwinden weiterzureden.
„Es wird Zeit, dass du es erfährst: Peter heißt nicht Peter. Er tut so, als hieße er Peter, um nicht aufzufallen, um nicht von allen geärgert zu werden. Doch er heißt nicht Peter.
Er heißt Olaf!“

Und während das Entsetzen sich in meinem Kopf ausbreitete, ergänzte Mutter traurig:
„Und du auch.“

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