Begegnungen 65: Bbeesssseerr

Ich saß an meinem Schreibtisch und tippte liebevoll auf der Tastatur herum. Eine Geschichte formte sich vor mir auf dem Bildschirm und mit zufriedenem Lächeln schrieb ich ihrem Ende entgegen. Etwa anderthalb Meter über mir hing eine kleine Spinne in ihrem Netz und beobachtete mich.

Ich versuchte, sie zu ignorieren. Nicht nur, weil meine Gedanken in den Tiefen der Geschichte wateten und sich nur schwer von ihr lösen konnten, sondern auch, weil ich eine gute Erziehung genossen hatte und wusste, dass es sich nicht gehöret, in anderer Leute Wohnzimmer zu starren. Und das Spinnennetz war so etwas wie das Wohnzimmer des neugierigen Achtbeiners, wenngleich etwas dürftig eingerichtet.

„Deine Geschichten sind recht gut.“, meinte die Spinne, als ich gerade einen kurzen Absatz beendet hatte.

Ich schaute nach oben. An seidenem Faden hing sie über mir, mittlerweile keine zehn Zentimeter entfernt, und starrte auf den Bildschirm. Sie schien tatsächlich zu lesen.

„Danke.“, sagte ich, denn ich hatte eine gute Erziehung genossen und wusste, dass man sich für Komplimente bedankte.

Die Spinne nickte, und für ein Wesen, dass nur aus Kopf und Beinen zu bestehen schien, sah das erstaunlich elegant aus. Fast schon majestätisch.

„Sie könnten besser sein.“, sagte die Spinne und ließ langsam drei ihrer Beine kreisen.

Ich verstand nicht.

„Die Geschichten.“, sagte die Spinne. „Sie könnten besser sein.“

„Ach?“, wunderte ich mich.

„Ja.“, sagte die Spinne und ließ sich noch etwas tiefer sinken. „Pass auf.“

Bevor ich etwas sagen oder überhaupt daran denken konnte, etwas dagegen zu unternehmen, war sie auf meinen Kopf gekrabbelt, kletterte geschwind über mein Gesicht, meinen Körper hinab, die Arme entlang, auf die Hände und schließlich auf die matt beleuchteten Tasten meiner Tastatur.

Dann sprang sie.

Ein leises Klicken ertönte, und auf dem Bildschirm erschien ein E. Die Spinne sprang erneut, und ein weiteres E entstand. Gerade als ich glaubte, sie würde nun diese Weise fortfahren, bis ihr die Lust verging, sprang sie auf das S. Und noch einmal.

Nach und nach füllte sich die Bildschirmzeile: „Eess  wwaarr …“

„Es war einmal?“, riet ich.

„Genau.“, nickte die Spinne und keuchte ein bisschen. Die Tastenspringerei hatte sie sichtlich erschöpft.

„Aber warum benutzt du jeden Buchstaben doppelt?“, wunderte ich mich.

„Weil die Geschichte dann besser wird.“

„Besser?“

„Besser!“, meinte die Spinne mit einer Gewissheit, die mich fast schon überzeugte.

„Zumindest besser für Spinnen.“, ergänzte sie nach einer Weile.

„Wieso das denn?“, fragte ich interessiert.

„Weil wir doppelt so viele Gliedmaßen haben wie ihr Menschen.“, antwortete die Spinne, und ihr Tonfall ließ vermuten, dass das doch offensichtlich war. Und irgendwie war es das auch.

„Aber ich schreibe hauptsächlich für Menschen.“, gab ich zu bedenken. „Die wiederum Probleme haben werden, doppelbuchstabige Wörter zu lesen.“

„Schade.“, sagte die Spinne und löschte hüpfend ihr Werk. „Aber du könntest zumindest die Überschrift verschönern.“

„Das könnte ich.“, bestätigte ich.

Die Spinne nickte noch einmal und krabbelte zurück über meine Arme, meinen Körper hinauf, über meinen Kopf und schließlich ihren eigenen seidenen Faden empor. Sie winkte mit der Hälfte ihrer Gliedmaßen und verschwand dann in ihrem Wohnzimmer.