Willkommen in der Gegenwart

Natürlich, Bahnfahren. Einen Grund sich aufzuregen, findet hier jeder. Ich auch, doch ich weigere mich.

Als man Automaten erfand, um die Warteschlangen zu reduzieren und den Ticketerwerb zu vereinfachen, freute ich mich. Ich ignorierte, dass die Bedienung der Automaten für Ungeduldsmenschen und Ahnungslose umständlich und wenig intuitiv war, regte mich nicht darüber auf, dass die Verarbeitungsgeschwindigkeit des Gewählten unnötig langsam erfolgte und dass der Touchscreen nicht selten berührungsignorant war.

Die Bahn versuchte, den Entwicklungen der Gegenwart zu folgen, und ich freute mich darüber.

Im Laufe der Jahre verbesserten sich die Maschinen, veränderte sich die Menüstruktur, und auch wenn die Geschwindigkeit zunahm, misslang es noch immer, den Ticketerwerb unkompliziert zu gestalten.

Als man das Online-Ticket einführte, um auch das Internet in den Alltagsbetrieb der Bahn einzubinden, freute ich mich. Denn tatsächlich empfand ich es als angenehm, auf diese Weise ein Ticket zu erwerben. Nicht von Anfang an, doch ab dem zweiten Mal, als sämtliche Identitäten und Verknüpfungen bestätigt waren, vermochte mich die Bestellbarkeit ohne Bahnhofshallenbesuch immer wieder zu begeistern.

Dass das ausdruckbare Online-Ticket irgendwann eine zweite Seite erhielt, deren einzige Funktion Umweltbelastung zu sein schien, dass der Ticketkauf mit diversen Browsern nicht abschließbar zu sein schien, dass man Platzreservierungen nur für die gesamte Fahrt und nicht für einzelne Streckenabschnitte buchen konnte – all das vermochte nur selten, mir ein wütendes Grummeln zu entlocken.

Ich sah die Vorteile und beglückwünschte die Bahn dazu, mal wieder in der Gegenwart angekommen zu sein, beziehungsweise: einen guten Versuch vollbracht zu haben. Verbesserungspotential gab es genug, doch ich war zuversichtlich.

Dann erwarb ich ein Smartphone und entdeckte die bahn-App. Erneut hatte die Gegenwart Einzug gehalten, und ich freute mich über zukünftige Papiervermeidung.

Doch wieder war die Idee besser als ihre Ausführung. Das City-Ticket, das man als Bahncardbesitzer zu jeder online gebuchten Fernfahrt geschenkt bekam, existierte nicht, wenn der Kauf über die App erfolgt war. Dass ich noch immer Bahncardbesitzer und der Kauf noch immer online erfolgt war, zählte nicht als Argument.

Auch der Ticketerwerb bei eingebundenem ÖPNV einzelner Städte verursachte Sorgen, die mit der App nur schwer oder nicht zu lösen waren. Immerhin waren die Zugbegleiter geschult, und niemals begegnete mir auch nur eine Person, die nicht wusste, wie mein Ticket einzuscannen und zu verifizieren war.

Dennoch blieb ich bei Papier, beim guten alten Online-Ticket, und dem damit einhergehenden City-Ticket, ging einen Schritt zurück in die Vergangenheit, weil die Bahn es versäumt hatte, alle Zweige ihrer Verkaufsmaschinerie den eigenen Entwicklungen unterzuordnen.

Und noch mehr lag im Argen: Als ich meine Bahncard vergessen hatte, die gleichzeitig der Verifikation meines Tickets diente, war es nicht möglich zu beweisen, dass ich stolzer Bahncardbesitzer war. Und das, obwohl nur geprüft werden musste, ob hinter der  Bahncardnummer, die nunmal auf dem Ticket zu lesen war, tatsächlich die selben Daten standen wie auf meinem Personalausweis.

Doch statt dessen begnügte man sich mit einer altpapiernen Übergangslösung und mit zwei Briefen, die mir Wochen später verkündeten, dass eine Prüfung die Existenz meiner Bahncard bestätigt hatte und keine Strafkosten zu erwarten seien.

Als ich am Freitag begann, mit IC und ICE quer durch Deutschland zu fahren und verspätungsbedingt eine andere Verbindung nehmen musste, regte ich mich nicht auf. Vor allem, weil ich die längere und somit teurere Verbindung nutzen durfte, ohne Zusatzkosten zu begleichen. Und weil ich immerhin im Warmen saß.

Leider hatte sich mein Drucker daran erfreut, das Online-Ticket etwas schwammig auszugeben, und als ich das bemerkte, versuchte der Kontrolleur bereits vergeblich, den Code einzuscannen. Mehrfach. Bis er aufgab und mühsam die zum Code gehörige Nummer eintippte. Dann war alles gut.

Im nächsten Zug wollte man sich gar nicht erst die Mühe machen, es zu versuchen. Das Ticket wurde einfach so abgenickt.

Als die Rückfahrt begann, noch immer mit schwammig bedrucktem Ticket, stieß ich auf ersten Widerstand. Die Kontrolleurin versuchte es zweifach, gab dann genervt auf und meinte, dass das alles ihr nichts nütze. Die geheime Identifikationsnummer fand sie anscheinend nicht, und als ob ich sie persönlich beleidigt hatte, gab sie mir das Ticket zurück, ohne es entwertet zu haben.

Im nächsten Zug wurde ich erneut geprüft. Der Kontrolleur brachte eindeutig mehr Geduld auf, ignorierte meine Hinweise und scannte mehrfach vergeblich. Dann tippte er, nickte nach einer Weile bestätigend – und gab mir das Ticket zurück, ohne es entwertet zu haben.

Mir sollte es egal sein, doch ein Personalwechsel erforderte einen weiteren Versuch. Auch hier war Geduld seitens der Kontrolleurin vorhanden – und offensichtlich auch die Fähigkeit, korrekt zu tippen. Und freundliche Auskunftsbereitschaft.

Denn keineswegs war das Papierstück das einzige Exemplar meines Tickets, das ich besaß. Schließlich befand sich sowohl auf meinem Notebook als auch auf meinem Telefon   die pdf-Datei, die nunmal mit dem Abschluss eines Online-Ticket-Kaufs einhergeht.

Doch die Kontrolleurin konnte nur traurig lächeln. Während es nämlich im Rahmen der bahn-App durchaus normal ist, Smartphones abzuscannen, ist es den Kontrolleuren nicht gestattet, die papiernen Tickets in ihrer digitalen Ursprungsform, also auf Rechner oder Telefon, abzuscannen. Warum, das wusste die freundliche Zubegleiterin auch nicht.

Ich schon. Denn wieder hatte die Bahn den lobenswerten Versuch gewagt, sich der Gegenwart zu nähern – und vergessen, all ihre Bestandteile davon in Kenntnis zu setzen.

Die Kontrolleurin ging lächelnd weiter. Immerhin.

 

2 Gedanken zu „Willkommen in der Gegenwart“

  1. Achja, die liebe Deutsche Bahn =)
    Ich stelle eine erhöhte Schreibseligkeit fest, seit dem Umzug.
    Das mag ich.

    1. Die Schreibaktivität liegt natürlich im Reiz des Neuen begründet – und vielleicht ein bisschen auch in den Projekten, an denen ich im Hintergrund herumwusle. Zudem hat die näherkommende Lesung den Schreiberling in mir geweckt.
      Und vielleicht liegt es sogar ein bisschen am Wetter.
      Und an den Elefanten.

Kommentare sind geschlossen.