„Finden Sie das etwa lustig?“

Gestern sah ich ihn erneut. Vermutlich hätte ich ihn gar nicht bemerkt, nicht auf ihn geachtet, meinem Blick nicht von den Zeilen meines Buches abschweifen lassen, wäre hinter mir nicht eine Stimme laut geworden. „Finden Sie das etwa lustig?“, fragte eine entrüstete ältere Dame, und ich gehe nicht zuweit, wenn ich ihren Tonfall als Keifen bezeichne. „Finden Sie das etwa lustig?“, keifte sie also und ergänzte, die Nase in die Luft schraubend: „Ich [betonenden Pause] nämlich nicht.“

Ich blickte mich um, und erfasste die Situation sofort. Draußen, vor den Scheiben unserer Straßenbahn, gab der offensichtlich geistig zurückgebliebene Junge, der mir mittlerweile vertraut und sympathisch geworden war, wieder einmal sein Ständchen. Er sang, auch wenn wir es kaum hörten, und wippte dazu mit seinem gesamten Leib vor und zurück. Und anscheinend hatte es irgendwer unweit der sich entrüstenden Dame gewagt zu kichern. Oder zu schmunzeln. Über das Gebaren eines behinderten Jungen. Oweia!

Die Angesprochene stotterte eine Entschuldigung zurecht, irgendetwas mit „Nein … nicht lustig … es ist nur … wir kennen ihn ja …“. Die alte Dame, die sich so echauffiert hatte, reagierte nicht und starrte ins Leere.

„Finden Sie das etwa lustig?“, hallte es in mir nach, und ich befragte mich selber: Fand ich den anscheinend zurückgebliebenen Jungen, der Liedtexte, die er nicht verstand, in unüberhörbarer Lautsträke sang, während er rhythmisch vor und zurückwippte und sein Hund reglos danebensaß, lustig? Amüsierte ich mich, wenn meine Straßenbahn in den Magdeburger Damaschkeplatz einfuhr und ich ihn entdeckte, sah, wie er offensichtlich vergnügt Lieder zum Besten gab, die ich nicht zu erkennen vermochte, egal, ob sie nun ursprünglich deutsch- oder englischsprachig waren? Fand ich das etwa lustig?

Ich fand. Und zugleich glaubte, ich das Recht zu haben, ihn lustig zu finden. Denn ich mochte, was er tat, mochte, wie er den öden Damschkeplatz mit seiner Präsenz befüllte und mit seinen musikähnlichen Lauten beschallte, freute mich aufrichtig jedesmal, wenn ich ihn sah. Ich fand ihn lustig, aber nicht, weil ich mich über ihn lustig machte, nicht, weil ich darüber lächelte, wie dumm dieser Kerl doch sei, wie wenig er von seiner Außenwelt zu begreifen schien.

Die alte Dame hat Unrecht, fand ich. Denn weder ich noch viele andere in der Straßenbahn Sitzende wären imstande gewesen, ihr Lächeln zu unterdrücken, und es gehörte schon ein gehöriges Maß an Bitterkeit und Ignoranz dazu, die primitive Schönheit zu verkennen, die in der Sangesdarbietung lag. Jemand sang, nicht gut, aber offensichtlich zu seiner eigenen Zufriedenheit. Und niemand störte sich daran.

Hinzu kam, dass nicht nur es Freude war, die aus den Augen der Beschauer sproß. Zugleich entdeckte ich Ver- und Bewunderung, Sorge und Mitgefühl. Ich konnte die Gedanken hören, die sich um das sicherlich sonderbare Schicksal des Jungen kreisten, konnte die Fragen vernehmen, die dessen Präsenz verursachte. Und doch lächelten wir. „Finden Sie das etwa lustig?“, schallte es durch meinen Schädel, und ich nickte. Ja, trotz allem fand ich den Jungen lustig.

Es gibt eine Grenze, dachte ich. An irgendeinem Punkt hört die Freude über das sonderbare Verhalten des Jungen auf und verwandelt sich in Hohn. Ab irgendeinem Punkt ist das Lustig-Finden tatsächlich falsch. Diese Grenze nicht zu überschreiten, ist schwer, vielleicht unmöglich. Allein durch mein permanentes Starren wertete ich den Wippenden ab, degradierte ihn zu einem Faszinosum, das es wert war, begafft zu werden. Doch andererseits ist der Versuch, das Starren zu verbieten, zu verhindern, gleichsam ungut, enthielte er doch ein Verleugnen der eigenen Neugier und die Ignoranz des Offensichtlichen.

Tatsächlich fiele es mir schwer, nicht zu schmunzeln angesichts des damaschkeplatzigen Anblicks. Und ich glaube, solange dieses Schmunzeln auf Sympathie, auf aufrichtiger Freude, beruht, solange es sorgende Hintergedanken mit sich trägt, solange es nicht in Häme und abwertendes Gebahren mündet, solange ich in dem Darbieter keine Witzfigur, kein niederes Wesen, sehe, solange darf ich es auch beibehalten.

Die kraftlose Antwort der mit Vorwürfen Bestückten war ohne Wert. Doch die Vorwürfe der entrüsteten Dame umso mehr. Bloß weil jemand Mitleid erregt, muss ich nicht in Trübsinn schwelgen. Denn nicht alles Traurige ist frei von Witz, und nicht jeder Witz frei von Trauer.

Der Stummelmann

Während ich an der Haltestelle stand und auf meine Bahn wartete, kam ein älterer Man mir kurzem, weißem Haar und fragendem Gesichtsausdruck langsamen Schrittes herbeigelaufen. In unmittelbarer Nähe des Haltestellenhäuschens blieb er stehen und blickte suchend auf den Boden. Noch bevor ich mich fragen konnte, was er verloren hatte, bückte er sich und hob eine Zigarettenkippe auf.

Nun finde ich Zigarettenkosnum an sich schon verhältnismäßig ungut, doch der Zwang, der einen dazu treibt, kümmerliche Reste ehemaliger Rauchwaren vom Boden aufzuklauben und in der eigenen Tasche verschwinden zu lassen, betrübt mich. Ich fragte mich, was er später mit dem Stummel machen würde, aber ihn noch einmal anzuzuünden versuchen würde, um ihm ein oder zwei Züge zu entlocken, oder ob er nur den Tabak herausbröseln, ihn sammeln und zu neuem Glutgut vereinigen würde. Doch dafür bräuchte er Papers, die wiederum Geld kosteten.

Die Geschwindigkeit, mit der er den Stummel in seiner Jackentasche verschwinden ließ, obgleich er ansonsten recht ungelenk wirkte, ließ mich zweierlei vermuten: Er praktizierte die Stummelsuche regelmäßig. Und: Er schämte sich ihrer.

Der Mann ging weiter und zeigte dabei einen erstaunlichen Laufstil: Alle paar Schritte blieb er stehen, hielt inne und schaute auf den Boden. Zwei Schritte. Stehenbleiben. Gucken. Weitergehen. Vier Schritte. Stehenbleiben. Auf den Boden schauen. Weitergehen.

Ich war versucht, ihm einen Euro zuzustecken oder mehr, damit er sich echte Zigaretten kaufen könnte, doch zugleich weigerte ich mich, diese üble Angewohnheit zu unterstützen. Glücklicherweise – für mich, für ihn eher unglücklicherweise – entdeckte er keinen weiteren brauchbaren Stummel und lief weiter, fort von der Haltestelle, fort aus meinem Blickfeld, sein Laufmuster beibehaltend: Ein paar Schritte. Stehenbleiben. Gucken. Weiterlaufen.

Am nächsten Tag sah ich ihn wieder. Ich befand mich auf dem Weg zur Haltestelle, als er mir auffiel. Er hatte seine Jogginghose in die Socken gestopft. Zumindest sah es so aus, und ich fragte mich, warum mir das am Vortag nicht aufgefallen war.

Der Mann ging vor mir, und ich drosselte die Geschwindigkeit, um seinen Laufstil zu beobachten. Und tatsächlich: Ein paar Schritte. Innehalten. Weiterlaufen. Immer wieder.
Heute verzichtete er auf den suchenden Blick auf den Boden, doch auf dafür gab es eine Erklärung: Er rauchte.

In seinem Mund steckte eine fürchterlich stinkende Zigarillo, die er immer, wenn er gerade lief, in die Hand nahm, und an der er immer, wenn er stand, zog. Eigentlich wirkte es eher so, als würde er bewusst alle paar Schritte innehalten, um genüßlich an der Zigarillo zu ziehen. Rauchen. Weiterlaufen. Stehenbleiben. Rauchen.

Verdutzt überholte ich ihn. Hatte sein Rauchverhalten seinen Gehstil geprägt?, fragte ich mich. Konnte es sein, dass er sich so sehr an das Innehalten gewöhnt hatte, dass er gar nicht mehr imstande war, anders zu laufen? Dass er, selbst wenn er nicht an einem Glimmstengel zog, Pausen machte und diese nutzte, um auf dem Boden nach weiterem Rauchzeug zu schauen?

Als meine Bahn kam, lächelte ich kurz: Das stetige Innehalten zum Inhalieren oder Stummelsuchen lieferte eine völlig neue Definition des Wortes „Raucherpause“…

Rocking the Damaschkeplatz

Der Magdeburger Damaschkeplatz ist der Inbegriff von Hässlichkeit. Und obwohl sich hier der Nachtverkehr zur Weiterfahrt sammelt und Umsteigenden die Möglichkeit gibt, sich in alle Richtungen Magdeburgs transportieren zu lassen, vermeide ich es, hier zu warten. Verkachelte Betonklotzhäuschen von häßlich graubrauner Farbe, die vermutlich noch nicht einmal in den 70ern hübsch ausgesehen hatten, erinnern nur zu deutlich daran, was für einen abartigen Geschmack Städtebauer zuweilen gehabt haben mussten.

Üblicherweise passiere ich den Damaschkeplatz in einer Bahn opder einem Bus sitzend, und selbst wenn der Nachtverkehr minutenlang auf Neuankömmlinge wartend an Ort und Stelle steht, bin selten ich es, der zusteigt. Nein, ich bin der, von innen nach außen schaut und interessiert die Leute betrachtet, die sich dort auf den Bahnsteigen und innheralb der anderen Gefährte tummeln.

In den letzten Tagen entdeckte ich immer wieder einen jungen Mann, vielleicht zwanzig, mit kurzem, dunklem Haar, modischer, aber unspektakulärer Kleidung und einem Schäferhund an der Leine. Der Schäferhund wirkte freundlich, und ihm schien es keineswegs etwas auszumachen, dass sein Herrchen immer wieder vor- und zurück wippte, wieder und wieder, einem Metronom gleich.

Ich wunderte mich ein wenig, doch bin ich bisher genug behinderten Menschen begegnet, um das Wundern nicht lange beibehalten zu können. Als sich Busse und Bahnen in Bewegung setzten, hatte ich den jungen Mann zumeist schon wieder vergessen.

Heute jedoch wartete ich am Damaschkeplatz. Der Optimist in mir hatte mich davon überzeugen können, dass ich möglicherweise eine frühere Bahn erreichen könne, wenn ich nur alsbald zum Damaschkeplatz käme – und irrte sich. Ich war allein auf dem Bahnsteig, und obwohl meine Bahn erst in zehn Minuten eintreffen würde, war ich nicht gewillt, mich laufenderweise nach Hause zu begeben. Schließlich wartete in meinem Rucksack ein Buch darauf, gelesen zu werden.

Ich setzte mich, ignorierte den aus dem Fußgängertunnel zeitweise hervorquellenden Urindunst, ignorierte den Boden unter meinen Schuihen, der angefüllt war mit Zigarettenkippen und nicht näher zu definierendem Ehemaligem, ignorierte die Un-Architektur um mich herum – und begann zu lesen. Dann vernahm ich Gesang.

Keineswegs waren es Engelchöre oder menschliches Äquivalent, das da an mein Ohr drang, auch Worte waren nicht vernehmbar – und dennoch handelte es sich um Gesang. Ich blickte auf, und mir gegenüber, auf der anderen Gleisseite stand der junge Mann und wippte hin und her. Nein, vor und zurück wippte er, und zwar in konstant gleicher Geschwindigkeit und im Takt zu den Lauten, die aus seinem Mund drangen.

Denn Laute waren es, die er von sich gab, nicht viel mehr. Es war, als hörte man Timmy aus Southpark zu, wie er versuchte zu singen. Und nicht nur das: Der erste Eindruck hatte mir vorgegaukelt, Englisch zu vernehmen, doch das, was der junge Mann ertönen ließ, waren Silben, die eher Englisch imitierten als es zu sein. Es war, als würde er ein Lied nachsingen, dessen Text er nicht verstanden hatte.

Sein Gesang hätte niemand als schön oder ergreifend bezeichnen können, doch war er auch kein verqueres Musikgebilde, das einem zerrütteten Geist entsprungen war. Nein, der junge Mann traf Töne, hielt den Rhythmus – und kannte offensichtlich das gesamte Lied in- und auswendig – wenn man von seiner kleinen Textschwäche absah. Minutenlang saß ich wie gebannt da, außerstande, mich auf mein Buch zu konzentrierten, gebannt von dem, was auf der anderen Seite der Gleise geboten wurde.

Was ich hörte, war moderne Rockmusik, und ich bemühte mich verzweifelt zu erkennen, um welche Band es sich handelte. Doch abgesehen von einem Wort, das „closer“ heißen konnte, war kein Text auszumachen – und somit jede Chance auf potentielle Nachrecherche vertan. Also lauschte ich nur und versuchte, einen Blick auf das rechte Ohr des Jungen zu werfen. Denn nur das linke war mir zugewandt – es war leer, und ich hätte gerne gewusst, ob sich im rechten ein klitzekleiner Kopfhörer verbarg.

Mit welcher Unermüdlichkeit er vor sich hin sang, beeindruckte mich. Er musste dieses Lied wirklich lieben, wenn er es auf diese Art und Weise auswendig kannte. Als es endete, begann ein weiteres, ebenso detailreich wiedergegeben, ebenso unverständlich wie das erste. Ich war fasziniert.

Meine Faszination war jedoch noch steigerbar: Denn irgendwann bemerkte ich ein hintergründiges Taktgeräusch. Es klang, als trete man mit feuchtem Schuh kräftig auf und das Wasser quetschte sich aus dem zusammengepressten Material. Oder als fegte man mit einem Handfeger über groben Asphalt. Dies war das Metrum, und es deckte sich mit der Wippbewegung des Jungen, die ihn abwechselnd den linken und den rechten Fuß, beziegungsweise, da er in Schrittstellung stand, den vorderen und hinteren Fuß heben ließ. Und es passte zu seinem Gesang, selbst als sich dieser – bewusst – neben dem Takt bewegte.

Ich begriff es nicht. Irgendwo musste das Geräusch doch seine Ursache haben. Es seinen Schuhen zuzuordnen, wäre logisch gewesen, doch niemals wäre sein Schuhwerk, so trocken und unversehrt es war, zu solchen Geräuschen fähig gewesen. Der Taktklang musste aus seinem Mund kommen.

Aber auch das war kaum möglich, sang er doch stetig und kontinuierlich, gepresst und mit Timmy-artig genutzter Stimme, und ich an seiner Stelle hätte ein zusätzliches Taktgeräusch nicht gleichzeitig hervorbringen können. Aber vielleicht er. Vielleicht hatte er, ohne es bewusst wahrzunehmen, eine Möglichkeit gefunden, seinem Mund zugleich Perkussion und Gesang zu entlocken.

Ich horchte, beobachtete ihn. Ich schämte mich nicht, ihn anzustarren, denn er schämte sich auch nicht, auf öffentlichem Platz vor wachsendem Warte-Publikum lautstark englischige Rockmusik zu intonieren. Besonders gewissenhaft achtete ich auf Pausen. An irgendeiner Stelle musste er doch stillstehen, innehalten, den Takt ruhen lassen, oder mit dem Wippen aufhören. Doch das geschah nicht. Drei komplette Lieder, von Anfang bis Ende, zumindest soweit ich das beurteilen konnte, vernahm ich, und nicht einmal hielt er inne und ließ mich erkennen, woher das Taktgeräusch stammte, das mich so sehr rätseln ließ. Und auch die Band erkannte ich nicht, wenngleich ich feststellte, die Musik für eingängig und hörbar zu befinden.

Sein Schäferhund war dieses Gebaren offensichtlich gewohnt. Im Takt schwang seine Leine auf und ab, doch er blieb stoisch sitzen, mit gespitzen Ohren seine Umgebung wahrnehmend, als wäre es das Normalste der Welt, dass jemand auf einem Umsteigebahnhof für öffentlichen Personenahverkehr lautstark Lieder trällerte.

Dann kam meine Bahn, und alsbald füllte sich der gesamte Damaschkeplatz mit Gefährten, mit Aus- und Umsteigenden. Ich behielt den jungen Mann im Auge, als ich mir einen Sitzplatz suchte, betrachtete ihn durch drei Glasscheiben hindurch – doch von seinem Gesang vernahm ich nichts mehr. Er wippte weiter vor sich hin, zog die Aufmerksamkeit verschiedener Passagiere auf sich, doch stieg nirgendwo ein. Er hatte kein Ziel, nur seine Musik, die er unverdrossen erklingen ließ.

Ich freute mich. Keine Zeile meines Buches hatte ich gelesen; die Faszination war stärker gewesen.

Als meine Bahn zur Fahrt ansetzte, trat eine ältere Frau auf den jungen Mann zu, kramte in ihrer geblümten Tasche und holte Süßigkeiten hervor. Sie unterhielt sich mit ihm, und lächelnd nahm ich wahr, wie er selbst, als er ihr antwortete, nicht aufhörte zu wippen.

[Im Hintergrund: Empyrium – „A Wintersunset…“]

Die Spinne am Fenster

Ich mag es, mit der Bahn zu fahren. Das ist erstaunlich, denn ich bin mir durchaus dessen bewusst, dass ich das bequeme Reisen mit der Eisenbahn romantisiere. Will ich wirklich produktiv sein, suche ich mir einen anderen Ort als die Bahn aus. Zum Entspannen dient eine Fahrt, egal ob kurz oder lang, auch nicht; zuviel gibt es, was ablenkt, stört oder interessiert. Und die Bequemlichkeit der Sitze vermag auch nicht, zum Verweilen einzuladen. Und doch: Ich mag es, mit der Bahn zu fahren, mag es, in unnatürlicher Haltung zukünftige Comics zu skizzieren, mag es, von Schaffnern und Kaffebringern aus meiner Lektüre gerissen zu werden, mag es, wenn mein Sitznachbar versucht, sich gleichzeitig auszubreiten und zusammenzufalten.

Und ich mag es, mein Fahrrad mitzunehmen. Insbesondere bei Kurzstrecken und insbesondere in Sachsen-Anhalt, wo die Fahrradmitnahme in Regionalzügen kostenfrei ist, bietet es sich an, das eigene Rad als Begleitung zu erwählen, um im Stadtverkehr nicht zusätzlich für öffentliche Verkehrsmittel zahlen zu müssen und zugleich äußerst flexibel zu sein. Unglücklicherweise bin ich selten der einzige, der diesen Mobiltätsvorteil nutzt und muss häufig sehen, wie ich mein Fahrrad verstaue, ohne gleichzeitig den gesamten Gang zu blockieren.

Denn obwohl die Bahn freundlicherweise besondere Zugteile für Radreisende reserviert, ist die Anzahl dort positionierbarer Fahrräder nicht nur begrenzt, sondern schlichtweg lächerlich. Die Regionalbahn, die ich unlängst benutzte, fühlte sich bespielsweise bereits mit vier Fahrrädern überfordert. Alles, was mehr war, stand im Weg und barg außerdem die Gefahr, jederzeit umfallen zu können. Denn die früher üblichen Gurte, mit denen auf simpelste Weise Räder vertäut und standsicher gemacht werden konnten, existieren nicht mehr, nur noch metallene Ösen, an die man sein Rad anschließen kann – so man denn das Fahrrad besitzt, das unmittelbar an der Wand lehnt.

Die Schaffnerin war wenig erfreut, als sie das Radkonstrukt sah. „Dass die Leute aber auch ihre Räder nicht ordentlich hinstellen können…!“, grummelte sie, obwohl die „Leute“ allesamt mithören konnten. Und tatsächlich war es weniger die Schuld der „Leute“, sondern vorrangig die der „anderen Leute“, nämlich jener, die beschlossen hatten, dass sich die besten Sitzplätze dort befänden, wo für Fahrräder Platz gewesen wäre. So verhinderte beispielsweise eine äußerst beleibte Frau durch ihre Sitzhockerei, dass ich mein Rad optimal deponieren konnte – und ließ sich auch nicht davon stören, dass nur wenige Millimeter neben ihrem Leib zahlreiche Gummi- und Metallverflechtungen aufragten.

Ich sagte nichts, denn ich hielt sie nicht für dumm genug, ihre Albernheit nicht zu bemerken, ignorierte die Schaffnerin und setzte mich so, dass ich mein Rad im Blick hatte und jederzeit aufspringen konnte, um es am Umfallen zu hindern, wieder aufzuheben oder beiseite zu schaffen. Mir gegenüber saß ein Polizist, und ich war erstaunt, dass ich diesmal nicht das übliche Schuldgefühl verspürte, das mich sonst befällt, wenn ich der Ordnungsmacht gegenüberstehe. Ich habe nichts getan, und doch reicht die Anwesenheit eines Polizisten normalerweise aus, um mich zu fragen, ob ich nicht doch irgendwelche Übel verbrochen hatte.

Dieses Exemplar jedoch war vollkommen sympathisch. Er besaß weder den Klischeeschnauzbart noch den Klischeebierbauch, sondern ein freundliches und offenes Gesicht und eine häßliche Uniform. Die Idee, dass senfgelb auch nur ansatzweise sympathisch wirken könnte, erwies sich umso absurder, je länger ich auf das Hemd des Polizisten starrte. Die ganze Zeit über konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, mich in der Rückblende eines Films zu befinden, in der ausschließlich ausgeblichene Farben existierten. Und außerdem: Was sollte diese alberne Doppelnaht auf der Hemdhinterseite? Hatte sie eine Funktion? So wie die Hemdtasche, in der praktischerweise ein winziges, abgetrenntes Fach für Kugelschreiber existierte?

Ich besitze nur wenig Modekenntnis, doch konnte den Anblick des Hemdes kaum ertragen. Es war, als wäre ich in eine fremde Zeit katapultiert worden. ‚Die Ärmel sind zu lang.‘, dachte ich noch, bevor mein Blick sich in den Sternen auf der Polizistenschulter verfing. Drei Sterne, und ich hatte keine Ahnung, ob das viel war oder was sie bedeuteten. Noch während ich grübelte, bemerkte ich die Mütze. Der Polizist hatte sie die ganze Zeit in der Hand gehalten, doch nun, da er in Begriff war auszusteigen, setzte er sie auf. Ach herrje! Kein Wunder, dass ich, wenn ich Polizisten zeichnete, immer an den Mützen verzweifelte. Diesen Dingern fehlte jede Ästhetik. Mehr noch: Sie waren imstande, die Häßlichkeit des Hemdes zu überbieten!

Der Zug war vollbesetzt. Daher konnte ich durchaus die dicke Dame verstehen, die sich krampfhaft an ihren, von Fahrrädern eingekeilten Sitzplatz klammerte. Und dennoch: Hier und da fanden sich jene, die selbst bei voller Zugbesetzung beschließen, sich unbedingt über zwei Plätze querlegen zu müssen. Mit einer höflichen Nachfrage hätte sicherlich jeder, auch die Stehenden, ein Plätzchen ergattern können. Doch im Pulk sind Menschen doof, und so wunderte es mich auch nicht, dass ausgerechnet dann, als der Zug seine Maximalbefüllung erreicht hatte, jemand beschloss, einen Bekannten anzurufen.

„Ich sitze gerade im Zug.“, war dann auch der inhaltsintensivste Satz des Telefonats, dessen diesseitiger Anteil von gefühlten dreihundert Personen vernommen werden konnte. ‚Warum sucht man sich ausgerechnet den am dichtesten gepackten Ort aus, um private Informationen zu verkünden?, fragte ich mich, doch wurde rasch wieder abgelenkt. Zwei Sitzplätze weiter löste eine junge Frau großformatiges Sudoku, und interessiert beteiligte ich mich an ihren Bemühungen, die leeren Kästchen zu füllen. „Da muss ’ne 4 rein!“, wollte ich hinüberrufen, doch schwieg und starrte aus dem Fenster.

‚Wie schnell fahren wir eigentlich?‘, überlegte ich. Offensichtlich nicht schnell genug, denn eine winzige Spinne hatte keine Mühe, auch bei höheren Geschwindigkeiten an der Außenseite der Fensterscheibe zu kleben. ‚Nicht schlecht.‘, dachte ich bewundernd und erschrak, als es plötzlich schepperte. Ein Fahrrad war umgefallen – ausgerechnet das der lautstark Telefonierenden.

‚Ich mag es, mit der Bahn zu fahren.‘, dachte ich und grinste.

Perfekte Welt

Alle Zeichen waren positiv; die Zugfahrt schien, obgleich noch einmal ansatzweise begonnen, zu einer angenehmen zu werden. Ich hatte meinen Fünf-Euro-Gutschein bereits eingelöst und längst eine Fahrkarte erworben. Zudem hatte ich den Bahnhof zu einem Zeitpunkt betreten, der mich den nächsten Zug knapp aber problemlos erreichen ließ – im Gegensatz zum üblichen Verfahren, bei dem ich ausgerechnet dann das Bahnhofsgebäude betrete, wenn mein gewünschter Zug gerade die Gleise verlässt.

Mein Zug stand bereits fast eine halbe Stunde auf dem Bahnsteig, hatte also genug Zeit gehabt, sich mit Menschengruppen zu füllen und durch magische Verteilung dafür zu sorgen, dass ausgerechnet denjenigen Personen, neben denen noch vereinzelte Plätze zu finden waren, jede Fähigkeit verlorenging, ansatzweise sympathisch zu wirken. Das jedenfalls wäre die übliche Prozedur gewesen, und mich hätte es nicht gewundert, neben einem übergewichtigen Fastfoodabsorbierer und dessen allzu schwatzhafter Lebensabschnittgefährtin Platz nehmen oder mit einer Überzahl an Fahrrädern um den letzten Sitz kämpfen zu müssen. Angenehmerweise jedoch waren genug Plätze frei, und ich bekam nicht nur eine eine Vierergruppe zugestanden, auf der ich mich und mein Gepäck ausbreitete, sondern saß auch noch am Fenster in Fahrtrichtung.

Glücklich lehnte ich mich zurück und genoss zugleich das gute Gefühl zu wissen, in den nächsten siebzig Minuten Zugfahrt nicht in die Verlegenheit kommen würde, die üblicherweise zugewiderte Zugtoilette besuchen zu müssen. Ich konnte einfach hier sitzen, ein paar mitgebrachte Süßigkeiten verzehren, aus dem Fenster sehen und die Fahrt genießen…

Doch halt! Im letzten Moment stiegen weitere Passagiere zu. Vier Stück. Mutter, Vater, zwei Söhne. Neben meinem befand sich noch ein weiterer Vierer, vollkommen unbesetzt, und ich ertappte mich, wie ich wiederholt flüsterte: Nicht hier. Nicht hier. Nicht hier. Natürlich setzten sie sich. Der ältere der beiden Söhne hörte nicht auf, wegen irgendwelcher Kleinigkeiten zu maulen, der andere zog sogleich die Sandalen aus und platzierte seine nackten Füße provozierend unweit seines Bruders. Die Eltern jedoch nahmen Abstand. Nicht, indem sie ihre Kinder ignorierten, sondern indem sie sich zu mir setzten.

Ich nahm also meinen Rucksack von der Bank, hängt meine Jacke ordnungsgemäß an einen Haken und verzichtete darauf, meine Beine langzumachen. Als der ältere Sohn erneut zu maulen begann, blickte mich die Mutter an, als wüsste ich Bescheid, wie Söhne manchmal sind. Lass mich da raus, wollte ich denken, doch die Frau war zu sympathisch. Sicherlich, sie hätte etwas mehr essen können und ihre Kleidung erweckte den Eindruck, eine vehemente Ökotussi vor mir zu haben, doch ihr Lächeln war nett, und beeindruckenderweise schaffte sie es, mittels weniger Worte ihren Sohn zu besänftigen und gleichzeitig zu tadeln.

Der Vater wirkte zwar, als hätte wüßte er seine Kleidungsgrößen nicht und als würde ein böses Wort ihn zu Tränen rühren, doch zugleich gelang es mir nicht, ihn unsympathisch zu finden. Dann halt nicht.

Ich holte mein Buch aus dem Rucksack und verkroch mich dahinter. Aber als mich nach wenigen Minuten umblickte, war eine unglaubliche Wandlung vorgegangen. Die gesamte Familie schwieg – und las. Jeder einzelne hielt sich ein Buch vor die Nase und las. Einfach so. Jedes Gespräch war unterbrochen, jeden Nörgelei beseite gelegt. Mami las etwas von Coelho, „Der Dämon und das Fräulein Prym“, und wunderte sich ihrem Mann gegenüber, dass sie das nicht bereits gelesen habe. Er wiederum las „Bloody Mary“ von Tom Sharpe und schmunzelte hin und wieder bei einigen Passagen. Was die Söhne lasen, konnte ich nicht genau erkennen, doch sah ich, dass sich der ältere irgendetwas aus dem Diogenees-Verlag vor die Augen hielt, während der jüngere ein dickes Hardcover-Fantasy-Werk schmökerte, von dem es anscheinend auch noch mehrere Teile gab.

Ich war verblüfft, und ja, ich schmämte mich sogar, weil das Buch, das ich selber in den Händen hielt, A. Lee Martinez „Eine Hexe mit Geschmack“, anspruchloser Fantasykram war und ich plötzlich das Gefühl bekam, minderwertigen Schund zu lesen – verglichen mit der Familie. Natürlich war mein Buch nicht vollkommen minderwertig, doch ein Blick auf das – wie so oft – nicht mit dem Buchinhalt in Zusammenhang stehende Cover hätte dergleichen vermuten lassen können.

So saßen wir also im Zug nach Magdeburg, fünf Leute, die allesamt schwiegen und lasen. Ich grinste in mich hinein. Nicht nur, weil ich plötzlich die Eltern respektierte, die es geschafft hatten, ihre Kinder dazu zu bringen, freiwillig zu lesen, sondern auch, weil die Zugfahrt sich anscheinend doch als problemlos und entspannt erwies. Dass ich mir etwas mehr Beinfreiheit gewünscht hätte, war dann auch nicht mehr so wichtig.

Die Fahrkartenkontrolleurin war freundlich und hatte Geduld mit mir, als ich den halben Rucksack umkrempeln musste, um an meine Bahncard zu gelangen. Und als dann der jüngste Sohn triumphierend „Ich bin durch!“ ausrief und sein Buch wie zum Beweis in die Luft hielt, dachte ich, dass irgendjemand die übliche Welt der Zugfahrt ausgetauscht und durch eine angenehmere Variante ersetzt haben musste.

Ich las weiter, und der jüngste Sohn fand eine weitere Beschäftigung: Er hörte Musik. Leise genug, um mich keinen Ton vernehmen zu lassen. Lang genug, um niemanden zu stören. Laut genug, um auf die Fragen seines Bruders nicht zu reagieren. Denn dieser wollte sich anders hinsetzen und die Fußproblematik vom Reisebeginn war noch nicht ausgestanden. Doch bevor die Sache eskalieren konnte, hatte sich der Vater erhoben. „Wollt ihr was essen?“, fragte er, verteilte selbstbelegte Brote und Brötchen und glättete in Sekundenschnelle die Wogen.

Spätestens jetzt müsste ich angwidert das Gesicht verziehen, dachte ich, darauf wartend, dass ekelhafter Leberwurstgestank oder ähnliches zu mir herüber dringen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Ich schüttelte ungläubig mit dem Kopf.

Ich fischte das letzte Schokoding aus der Packung, gerade als der Zug in Magdeburg einfuhr. Perfekt, dachte ich vergnügt, und stopfte mein Buch in den Rucksack. Die Familie stieg aus. Ohne großes Trara, ohne Maulerei oder Gedränge. Sekunden später war auch ich auf dem Bahnsteig und pröblemlos schlängelte ich mich in Richtung Ausgang.

Draußen schien die Sonne. Was ist nur los?, fragte ich mich. Will man mir denn allen Grund nehmen zu meckern? Ist dies gar der erste Schritt zu einer perfekten Welt? Dann sah ich die Straßenbahn. Wäre ich gerannt, hätte ich sie trotzdem verpasst. Immer das Gleiche!, echauffierte ich mich und ging zu Fuß nach Hause.

Defekt V

Es war fast alles geklärt. Nach ein paar Umständen und Tagen hatte ich meine EC-Karte zurückerhalten und schließlich sogar entsperren können. Doch obwohl ich hätte zufrieden sein können, wollte ich unbedingt noch einen Schritt weitergehen: Die Deutsche Bahn sollte bluten!

Naja, nicht ganz. Eigentlich war es mein Wunsch, die knapp zehn Euro, die ich aufgrund des defekten Fahrkartenautomaten in Richtung Automatenstörstelle vertelefoniert hatte, zurückerstattet zu bekommen. Als ich jedoch während der EC-Karten-Aushändigung an einem Schalter im Magdeburger Hauptbahnhof diesbezüglich nachgefragte, konnte man mir nicht weiterhelfen. Mir wurde nur eine Visitenkarte gereicht, auf der eine Telefonnummer verzeichnet war, an die man Beschwerden richten konnte – für 14 Cent pro Minute.

Ihr seid wohl bescheuert!, dachte ich. Ich möchte Telefonkosten erstattet bekommen und soll dafür Telefonkosten verursachen? Auf keinen Fall! Und so nutzte ich ein auf der Bahn-Seite aufgeführtes Kontaktformular, in das ich meine Daten und Wünsche eintrug. Eine erste Bestätigungsmail wurde generiert. Hurra.

Als nach drei Tagen nichts geschehen war, seufzte ich kurz und füllte das Formular ein weiteres Mal aus. Die zweite Bestätigungsmail erreichte mich. Und das war alles. Am Tag darauf wiederholte ich das Spiel und erhielt, abgesehen von der dritten Bestätigungsmail, keine Reaktion.

Doch als ich heimkehrte, wartete im Briefkasten bereits ein Schreiben auf mich. Von der Deutschen Bahn.

Sehr geehrter Herr morast,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 5. Juni.
Wir arbeiten zwar durch regelmäßige Wartung an der Zuverlässigkeit der Automaten, aber so ein Automat fällt schon mal aus.
Bitte entschuldigen Sie, was Sie erlebt haben.
Eine Erstattung der Telefonkosten ist leider nicht möglich.
Aus Kulanz erhalten Sie aber einen Gutschein im Wert von 5,00 EUR. …

Es war offensichtlich, dass der Text zur nach dem Baukastenprinzip zusammengebastelt wurde. Eine Erklärung, warum Telefonkostenerstattung nicht möglich sei, enthielt er auch nicht. Dafür aber den Hinweis auf eine Telefonnummer, die ich anrufen könne, falls ich noch Fragen habe. Für 14 Cent pro Minute.

Die Unterschrift erwies sich als doppelt interessant. Zum einen war sie natürlich nicht echt, sondern nur ein eingefügtes jpg niederer Qualität. Die Farbe hinter dem Schriftzug war eindeutig nicht weiß. Zum anderen amüsierte sie mich. Schließlich hätte ich nicht gedacht, dass es tatsächlich Menschen gibt, die so heißen, wie diejenigen, die Bart in einer uralten Simpsons-Folge bei einem Telefonstreich mit Moe ausrufen lässt: „Ist hier jemand, der Reinsch heißt?“

Und natürlich freute ich mich. Sicherlich, mit fünf Euro kam man nicht weit, doch freute ich mich über meinen kleinen Erfolg, darüber, dass die ganze Sache nun ausgestanden war und sogar ein positives Ende bekam.

Die ganze Geschichte: Teil I, Teil II, Teil III, Teil IV

Defekt IV

Es ist durchaus erschreckend: Ich bin es mittlerweile gewöhnt und erachte es für wenig außergewöhnlich, an Telefonhotlines mit einem sich nur undeutlich artikulierenden Gesprächspartner verbunden zu werden. Ich bin es gewöhnt, unfreundlich behandelt, abgefertigt, zu werden und zurückzubleiben mit dem Gefühl, an meiner Misere selbst Schuld gewesen zu sein. Ich bin es gewöhnt, nach unsummigen Telefonaten aufzulegen und festzustellen, dass diese rein gar nichts erwirkt haben.

Umso mehr überraschte es mich heute morgen, als ich bei meiner Hallenser Sparkassenfilile anrief und nach angenehmer Coldplay-„Clocks“-Wartschleifenmusik erstaunlich rasch eine nicht nur gut verständliche, sondern auch zuvorkommende und hilfreiche Mitarbeiterin vernahm, die mich sogleich an einen Mitarbeiter weiterleitete, der imstande wäre, meinen Fall zu bearbeiten. Erneut kamen in mir Zweifel an der Telefonverbindung, als die Wartschleifenmusik durch Warteschleifenstille ersetzt wurde, doch dann knackte es leise, und eine männliche Stimme nahm sich meiner Sorgen an: Ich hatte unlängst meine EC-Karte sperren müssen, weil diese in einem Fahrkartenautomaten hängengeblieben war. Doch nun, nach ein paar Mühen hatte ich die Karte zurückerhalten und wünschte nun, dass sie wieder entsperrt werde. Leider würde sich das als schwierig erweisen, weil ich – im Gegensatz zum Konto – nicht in Halle sei.

Und nun begann die Fragerei. In rascher Abfolge nannte ich dem Sparkassenmitarbeiter allerhand persönliche Daten, darunter Konto- und Personalausweisnummer, die nicht zuletzt dafür gedacht waren, mein Ichsein zu bestätigen. Und kaum hatte ich die letzte Information gegeben, wurde mir schon ein Erfolg gemeldet. Die Karte sei nun entsperrt, vernahm ich, und ich war verblüfft. So einfach kann es manchmal gehen, dachte ich, freute mich wie ein norwegisches Stachelkänguruh, bedankte mich und legte auf. Dann erst wunderte ich mich:

Sicherlich, meine EC-Karte war nicht gestohlen worden; nur ein funktionsverweigernder Automat hatte sie verschluckt. Sicherlich, ich hielt die Karte in meinen Händen, und sie konnte kaum mehr missbraucht werden. Sicherlich, ich hatte allen Grund zur Freude. Doch war die Entsperrung nicht zu einfach gewesen? Denn was, fragte ich mich, wäre denn geschehen, wenn ich nicht ich, sondern ein heimtückischer, höhnisch grinsender Dieb gewesen wäre und zuvor ein Portemonaie mitsamt zahlreicher ausweisiger Inhalte geraubt hätte? Wenn ich nun versuchen würde, die Karte zu entsperren, indem ich eine Lügengeschichte auftischte und diese mit der in den Geldbörse gefundenen persönlichen Daten untermalte? Welche Informationen, die der Sparkassenmitarbeiter von mir wünschte, wären denn nicht aus meinen Ausweisen erfahrbar gewesen?

Rasch beschloss ich, diesen unangenehmen Gedanken zu verdrängen und den Hilfreichtum und die Freundlichkeit Hallenser Sparkassenfilialangestellter und meine erneut funktionstüchtige EC-Karte zu lobpreisen und anschließend eine weitere Mail an die Deutsche Bahn zu verfassen, um höflich, aber bestimmt darauf hinzuweisen, dass ich meine umfangreichen und unfreiwilllig angehäuften Störstellentelefonkosten noch immer ersetzt zu werden wünschen.

Die ganze Geschichte: Teil I, Teil II, Teil III, Teil V

Defekt III

Auf die Idee, die Wahlwiederholungsfunktion meines Mobiltelefons zu benutzen, um die Fahrkartenautomatenstörstellentelefonnummer herauszubekommen, war ich natürlich nicht gekommen. Derartiger Eigeniditiotie sollte eigentlich zumindest eine in ein Klatschgeräusch mündende Hand-zu-Stirn-Bewegung innewohnen, doch bin ich zufrieden genug, um das zu unterlassen. Schließlich habe ich meine EC-Karte wieder.

Am gestrigen Vormittag erhielt ich einen Anruf. Erstaunlicherweise aus Halle und nicht aus Magdeburg, wo ich meine Karte „verloren“ hatte. Ein Mann teilte mir mit, dass die EC-Karte gesichert sei und dass er sie per Post schicken, aber – wenn es mir keine Umstände mache – auch direkt im Magdeburger Hauptbahnhof abgeben könne. Am selben Tag.

Begeistert willigte ich ein und erfuhr, dass die Karte gegen 18 Uhr an einem bestimmten Schalter ausliegen würde. Gegen 18.05 Uhr erhielt ich einen weiteren Anruf, diesmal aus Magdeburg. Meine EC-Karte wäre eingetroffen, und wenn ich sie noch heute abholen wolle, müsste ich mich bis 19.30 Uhr an demunddem Schalter [ein anderer als der von dem Hallenser Anrufer erwähnte] einfinden.

Ich fand. Kurz nach 19 Uhr steltte ich mich frohen Mutes in die Reihe der an den Schaltern Wartenden. Ich hatte zunächst überlegt, einfach zum richtigen Schalter zu gehen und meine Karte einzufordern, doch sobald ich die ersten Schritte in Schalterrichtung getan hatte, erntete ich böse Blicke vom Kopf der Menschenschlange. Ich wolle mich wohl vordrängeln, sagten diese Blicke, ich möge mich gefälligst hinten anstellen wie alle anderen auch.

Ich stellte, und als ich an der Reihe war, zu einem Schalter vorgelassen zu werden, gab ich sogar den hinter mir Wartenden Vorrang. Schließlich war mein Schalter noch besetzt.

Die Aushändigung der Karte erfolgte umstandslos. Ich unterschrieb einen kopierten Zettel, auf dem unter anderem vermerkt worden war, dass ich am Vortag bezüglich des EC-Karten-Verbleibs nachgefragt hatte und dass ich die Karte nun erhalten hatte, bedankte mich und wurde entlassen.

„Eine Frage habe ich noch.“, meinte ich rasch. Die Bahnbeamte schaute mich an, als erwartete sie Schlimmstes. „Das Telefonat mit der Automatenstörstelle hat mich knapp 10 Euro gekostet. Kann ich das Geld irgendwo wieder einfordern?“ Die Schalterfrau war ratlos, und offensichtlich wollte sie auch Feierabend machen.
„Sie werden verstehen:“, ergänzte ich. „Wenn ich da jetzt nochmal anrufe, kostet es mich wiederum haufenweise Geld.“
Sie kramte kurz und gab mir dann eine Visitenkarte. Eine Nummer für Beschwerden und dergleichen. 14 Cent pro Minute. Super.

Ich rief die Nummer nicht an. Statt dessen nutzte ich ein auf der Bahnseite angebotenes Kontaktformular. Zwar zweifle ich daran, dass meine Eingabe rasch Empfänger und Lösung finden wird, doch fröne einem gewissen Optimismus. Immerhin hat ich diese Mail keine zusätzlichen Kosten verursacht.

Schwierigkeiten ergaben sich jedoch mit meiner Bank. Die Kartenentsperrung bedarf eines persönlichen Erscheinens inklusive Personalausweis- und Kartenvorzeigerei. Dies ist, da die Bankfiliale in Halle liegt, ich aber in Magdebuger verweile, ungünstig und benötigt eine sinnvolle Lösung, die es noch zu finden gilt. Ich warte auf einen Anruf aus der Filiale.

Immerhin: Alle Telefonmitarbeiterinnen der Bank waren durchweg freundlich und imstande, meine Fragen zu beantworten bzw mich an die richtigen Stellen weiterzuleiten. Als erstaunlich erwies sich nur, dass ich nach einer solchen Weiterleitung plötzlich nur leises Rauschen vernahm, also Telefonstille, und begann, an der Verbindung zu zweifeln und die eigentlich nervige Wartemusikdüdelei zu vermissen.

Vielleicht ist doch nicht alles Schlechte schlecht.

Die ganze Geschichte: Teil I, Teil II, Teil IV, Teil V

Defekt II

Ungeachtet meiner Ermahnungen mir selbst gegenüber, den Zettel, auf dem ich die Bearbeitungsnummer meines EC-Karten-Verschwindens vom Freitag notiert hatte, nicht zu verlegen, vergaß ich ihn in Halle. Schließlich handelte es bei dem Zettel nicht um einen solchen, sondern um die erste Seite des Romans „Carrie“ von Stephen King, den ich bis vor kurzem noch las und dann aus Belastungsgründen in der Wohnung meiner Mutter zurückließ.

Kein Problem, dachte ich, als ich meine Vergesslichkeit bemerkte, wenn die EC-Karte am Montag im Briefkasten liegen würde, wäre die Bearbeitungsnummer unnütz geworden – außer natürlich, wenn ich mir die acht Euro Telefonkosten wiederholen wollte. Doch der Briefkasten hielt weder am gestrigen Montag noch heute irgendetwas für mich bereit, uns so belästigte ich meine Mutter telefonisch mit der Frage nach der erwähnten Bearbeitungsnummer.

In dem Augenblick, da ich sie mir notiert hatte, wurde mir klar, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich denn nun anrufen müsste. Sicherlich, bei der Deutschen Bahn, doch die Nummer vom Fahrkartenautomatennotfalldienst hatte ich mir in all dem Wirrwarr nicht notiert, und nun saß ich zu Hause fernab jenes Automaten, auf den die Notfallnummer aufgebracht worden war. Das allmächtige Internet kann bestimmt helfen, dachte ich sogleich und begab mich auf die Bahn-Seite, wo ich erstaunlich rasch mehrere Kontaktnummern fand, die allesamt äußerst kostenpflichtig waren.

Natürlich entdeckte ich keine Nummer, die meinen Problemfall betraf, oder irgendeine, die etwas mit Verlusten oder Fahrkartenautomatenproblemen zu tun hatte. Also rief ich zunächst die allgemeine Nummer an, die sich zwar vorrangig mit sogenanntem Reise-Service beschäftigte, aber vielleicht imstande wäre, mich irgendwie weiterzuvermitteln. Ich wurde tatsächlich weitervermittelt, aber leider ins Reiseservice-Nirgendwo, wo ein Österreicher mir kaum verständlich Vorhaltungen machte, warum ich ausgerechnet ihn anriefe, woher er jetzt bitte schön die richtige Nummer haben soll und vor allem warum ich mir damals nicht die Fahrkartenautomatenstörservicenummer notiert hatte.

Gerne hätte ich ihm mit semifreundlichen, aber bestimmten Worten erläutert, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht eben wenig genervt und mit wesentlich Bedeutsamerem beschäftigt gewesen war, als mich daran zu erinnern, die alberne Telefonnummer zu notieren, doch ließ ich es bleiben, verschabschiedete mich rasch und legte auf. Schließlich bezahlte ich gerade gefühlte Tausendmillionen Euro pro Sekunde.

[Zur Verteidigung der Bahn sei zwischenbemerkt, dass nicht die Warterei, sondern nur das eigentliche Telefonat kostenpflichtig war und dass auch nach der Weitervermittlung die Kosten angesagt wurden. ]

Ich richtete mich darauf ein, am nächsten Tag den Fahrkartenautomaten zu besuchen und die Nummer abzuschreiben, da fiel mein Blick auf eine Servicenummer für BahnCard-Inhaber, bei der man nicht nur BahnCard-bezogene Sorgen äußern konnte. Und obgleich meine Telefonrechnung mich bettelnd ansah, sie zu verschonen, rief ich an.

Eine erstaunlich freundliche junge Dame nahm ab, und ich fasste meine Problematik kurz zusammen. Ob sie mir weiterhelfen könne, fragte ich vorsichtig. Sie konnte, denn wenige Sekunden später hatte sie mir eine Fahrkartenautomatenservicenummer herausgesucht. Sie konnte nicht garantieren, dass dies die richtige sei, doch glaubte es. Ich war angenehm verblüfft und wählte die soeben erhaltene Nummer.

Schon die dämliche Wartemelodie ließ mich erkennen, dass ich an der richtigen Stelle gelandet war. Ebenso die nicht minder dämliche Stimme, die meinte, dass „noch immer“ keine Mitarbeiter frei seien. Ich wartete.

Als sich endlich jemand meldete, ahnte ich Schlimmes. Der Mann am anderen Ende nuschelte. Extram. Ihm zuzuhören bedeutete, das Gesprochene aufzunehmen, zu verarbeiten und dann erst verstehen zu können. Ich seufzte innerlich, schilderte meine Sorgen, gab die Bearbeitungsnummer – und erwirkte nichts.

Ich solle am nächsten Tag noch einmal anrufen. Zu einer Zeit, wo die Servicehotlinemitarbeiter sich mit den Technikern und deren Mitarbeitern in Verbindung setzen konnten, um herauszufinden, ob meine EC-Karte bereits verschickt wurde oder nicht. Im Augenblick könne er nichts tun.

Wozu hast du dann erst die Bearbeitungsnummer erfragt?, wollte ich schreien. Wozu gibt es eure dämliche Hotline überhaupt, wenn das einzige, was ihr tut, darin zu bestehen scheint, die Abwesenheit von Technikern kundzutun und Bearbeitungsnummern zu vergeben? Wie oft soll ich diese beschissen-teure Hotline noch anrufen, verdammtnochmal?

Wortlos legte ich auf, wissend, keinen Schritt vorangekommen zu sein und meine 8-Euro-Telefonrechnung beträchtlich erweitert zu haben.

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Defekt

Es liegt nicht unbedingt in meiner Natur, es eilig zu haben oder störrisch-langsamen Automaten meine Ungeduld durch verzweifeltes Stöhnen verständlich zu machen, doch da ich wie immer erst auf den letzten Drücker losgeradelt war und mein Zug in zwei Minuten abfahren würde, raubte mir die provozierende Langsamkeit des Fahrkartenautomaten den letzten Nerv.
Geduldig stand mein Rad neben mir in der Bahnhofshalle, während mir der Tastbildschirm wieder und wieder sich füllende, rote Ladebalken zeigte, die nach Befüllungsvollendung erneut mit ihrem dämlichen Spiel begannen. Und dabei brauchte ich doch nur ein simples Regionalbahnticket, eines, das ich mir vermutlich sogar sparen könnte, wäre ich nicht der Ehrlichkeit anheim gefallen.

Endlich verlangte der Automat meine EC-Karte. Einen Moment lang zögerte ich noch, da auch die Option des Bar-Zahlens bestand, dann schob ich die Karte in den Schlitz – genauso wie ich es bei unzähligen anderen Modellen bereits getan hatte. Eine geraume Weile geschah gar nichts. Dann meldete der Bildschirm einen Fehler. Nun ja, nicht wirklich. Mir wurde nur mitgteilt, dass meine Karte womöglich falsch herum im Schlitz stecke und dass ich entweder abbrechen oder die Karte richtig herum drehen solle. Ebenfalls wurde mir die Bargeld-Option angeboten, was merkwürdig war, weil die beiden Schriftzüge einander partiell überdeckten und zudem der Münzeinwurfschlitz nicht freigegeben worden war.

Eine Abbruchmöglichkeit gab es nicht. Der Tastbildschirm, der sonst die zu drückenden Buttons anzeigte und auf unsensible Berührungen reagierte, bot mir nun nur zwei Schriftzüge [immerhin: passend zur Deutschen Bahn], das Datum und die Uhrzeit an. Mein Zug war bereits abgefahren.

Der Automat weigerte sich beharrlich, meine EC-Karte auszuspucken. Störrisch verwies er auf meinen Fehler und darauf, dass sie vielleicht in anderer Position lesbarer wäre – doch bot er mir keine Möglichkeit, eine andere Posiiton zu erwirken. Wild und wahllos drückte ich auf dem Bildschirm herum. Vielleicht erwischte ich ja tatsächlich irgendeine verborgene Abbruchstaste oder konnte gar den begonnenen Fahrkartenkauf beenden. Doch nichts geschah.

Die einzig sichtbaren Tasten waren die der PIN-Eingabe, und obgleich ich ahnte, dass es nutzlos sein würde, drückte ich jede einzelne Taste – kraftvoll und mehrmals. Nichts geschah.

Der hinter mir Wartende verzog sich, und ich rief die Nummer der Automatenstörstelle an, die freundlicherweise angegeben war. Ich hatte keine Ahnung, ob der Anruf kostenfrei war, doch ging optimistisch davon aus. Ebenso optimistisch war ich bereit zu glauben, dass der Automat sich vielleicht mit einem ferngestuerten Reset zur Kartenfreigabe bewegen lassen könnte.

Doch zunächst vernahm ich nur Gedudel und die wiederholte Bandansage, die darauf verwies, dass im Augenblick alle Mitarbeiter beschäftigt seien und dass ich mich in Geduld üben solle. Ich übte, und nach einer Weile ging tatsächlich eine gutgelaunte Frau an den Apparat und nahm meine Daten auf. Name, Telefonnummer, Adresse. Dann erst durfte ich mein Problem schildern.

Die Frau schien nur partiell zu verstehen und ganz gewiss war sie nicht imstande, mir weiterzuhelfen, denn immer wieder überraschte sie mich mit nutzlosen Ratschlägen. Ob ich nicht die Abbrechen-Taste drücken könne [die nicht vorhanden war]. Ob ich nicht so tun könne, als würde ich noch einmal neu beginnen, den Automat zu benutzen [Konnte ich nicht, da der Bildschirm nur Nonsens anzeigte.]. Ob ich nicht einmal gegen den Automaten hauen könne. Ich schlug zu und am anderen Ende der Leitung erklang ein überraschtes Lachen, das sich wohl auf die vermeintlich immense, aber dennoch ergbnislose Wucht meines Schlages bezog.

Andere Ratschläge hatte die Dame nicht parat. Die Techniker seien längst unerreichbar und würden mir die Karte am Montag zukommen lassen. Ob ich mir nicht die Bearbeitungsnummer aufschreiben und dann noch einmal anrufen könne. [Nach ein wenig Kramerei fand ich tatsächlich Stift und Papierähnliches.]. Dass es dennoch besser sei, die Karte zu sperren.

Ich legte auf und fragte mein Handyguthaben ab. Wenn ich mich nicht irrte, hatte ich soeben acht Euro für die nahezu nutzlose Hotline ausgegeben. 67 Cent waren mir verblieben und ich beschloss, L anzurufen, die mir nicht nur die EC-Karten-Sperr-Telefonnummer heraussuchen, sondern auch mein Guthaben wieder aufladen sollte. Als ich nur die Anrufbeantworteransage vernahm, schmetterte ich entnervt meinen Kugelschreiber gegen die Bahnhofswand.

Ich betrachtete die herumliegenden roten Plastikteile und versuchte, andere Freunde zu erreichen, die womöglich gerade in Netznähe verweilten. Erst beim zweiten Versuch, L anzurufen, hatte ich Erfolg, und während ich spürte, wie mein Guthaben von 67 Cent unaufhörlich der Null entgegenschrumpfte, erklärte ich mich und meine Wünsche.

L half, und wenige Minuten später hatte ich 15 Euro auf meinem Guthabenkonto und die Nummer Kartensperrhotline in ein Buch gekritzelt. Ich rief an, und mal wieder begrüßte mich nerviges Warteschleifengedudel. Geduldig wartete ich. Ein Zug fuhr über mir dahin, gerade als die Automatenstimme verschiedene Optionen zur Weitervermittlung anbot. Ich verstand kein Wort und reagierte nicht. Doch das schien zu reichen, denn bald hatte ich eine Frau am Telefon, die fragte, was für eine Karte denn gesperrt werden solle.

Aha, dachte ich, gilt die 116116 also für die Karten aller Banken? Ich wurde verbunden. Warteschleifenmusik. Ein Mann. Innerhalb weniger Sekunden hatte er sich Name, Adresse, Bankleitzahl und Kontonummer [Ich kannte glücklicherweise alles auswendig.] notiert und erklärte die Karte für gesperrt. Alles weitere würde der Kundenberater meiner Bank mit mir klären, meinte er noch und legte dann auf, ohne mir Gelegenheit zu geben, auch nur eine meiner vielen Fragen stellen zu können.

Nun ja, dachte ich, immerhin ist die Karte gesperrt, und schob mein Rad zum Bahnhofsinformationsschalter, den Fahrkartenautomaten samt verschluckter EC-Karte zurücklassend. Vielleicht, hoffte ich, kannte man bei der Information irgendeinem geheimen Trick, dem Automaten meine Karte zu entlocken.

Man kannte nicht. Die Bahndame äußerte ihr Bedauern, doch gab zu, machtlos zu sein. Ich meinte, man solle wenigstens ein „Defekt“-Schild an den Automaten hängen, weil schließlich andauernd Menschen kämen, die erst wild auf den tasten herumdrückten, ehe sie begriffen, dass der Automat nutzlos war. Sie bestätigte dies und entließ mich uninformiert und EC-kartenlos.

Ich stellte mein Rad an eine Wand und reihte mich in die Warteschlange am Fahrkartenverkaufsschalter ein. „Ich möchte gern nach Halle.“, sagte ich, als ich endlich an der Reihe war. „Die Regionalbahn 19.07 Uhr? “ Ich lächelte und nickte. „Genau die.“

Mitterweile hatte ich fast eine Stunde auf dem Bahnhof verbracht, und die nächste Bahn würde bald fahren. Rasch erwarb ich noch eine Cola, überzeigte mich davon, dass der Automat immer noch defekt und „Defekt“-Schild-frei war und begab mich auf den Bahnsteig. Letztlich war es doch nicht allzu schlecht gelaufen. Sicherlich, die EC-Karten-Sache gab Scherereien. Doch die Karte war gesperrt, ich hatte einen Fahrschein, keinen Durst mehr und noch ein bißchen Bargeld, um über die Runden zu kommen. Nun brauchte ich nur noch in den Zug einzusteigen und kurz darauf in Halle anzukommen.

Allerdings hatte der zwischen Halle und Magdeburg hin und her pendelnde Zug Verspätung. Eine halbe Stunde! Bei einer Normalfahrtzeit von 70 Minuten! Das konnte doch nicht wahr sein!

Ich gab auf. G rief an und ließ meine Schimpftirade über sich ergehen. Dann setzte ich mich, nippte an meiner Cola, die Ohren musikalisch verstöpselt, den Blick in einem Buch und wartete. Die Welt konnte mich mal.

Die ganze Geschichte: Teil II, Teil III, Teil IV, Teil V