Der alte Fuchs

Am 07.07. ist es wieder soweit: Ich lese zusammen mit den EEASY READERn im Celtic Cottage in Berlin-Steglitz alberne Geschichten vor. Du kannst – wie jeden ersten Sonntag im Monat – gerne kostenlos dabei sein.
Bis dahin werfe ich dir noch rasch eine kleine Geschichte an den Kopf. Die du aber selber lesen musst.

Ich war in Eile, nein: mehr als nur in Eile. Ich war bereits an der Eile vorbeigerannt, hatte sie hastig hechelnd eingeholt, überholt und abgehängt. Meine Eile war immens, war längst geschlüpft und flügge geworden, keine Ei-le mehr, sondern eine ausgewachsene Vogel-le, vielleicht: eine Ente-le. Die es eilig hatte. 

Ich hatte die Haustür zu-, mir Rucksack und Kleidung auf den Leib geworfen, war losgerannt, mit weiten Schritten und getunneltem Blick, allein auf mein Ziel fokussiert, jede vorüberfliegende Sekunde fangend, festhaltend, an mich pressend, auf dass sie länger an mir klebte, mir einen weiteren Schritt, einen weiteren gekeuchten Atemzug, schenkte.

Ich war in Eile, flog dahin, keine Ablenkung, kein Innehalten, duldend, war Mensch gewordenes Fließen: unhaltbar, unaufhaltsam.

Da begegnete ich dem Fuchs.

Es war ein alter Fuchs, das sah ich. Die Jahre hatten seinem Fell den Glanz, seinen Bewegungen die Eleganz, geraubt. Doch hinter seinen Augen funkelte Wissen, kicherten Geschichten, flüsterte ein ganzes, wundersames Leben. 

Ich stoppte. Hielt inne. War nicht länger dort, in Eile, jenem hektischen Ort, nur hier, im Moment, bei dem alten Fuchs. 

Sagte “Hi.” Wie es die Tradition gebot.

Der alte Fuchs nickte. Nickte kaum, wenn ich ehrlich war, hielt nur sein angegrautes Haupt dem lauen Wind entgegen und ließ ihn ein paar müde Haare grüßend senken.

“Ich bin in Eile.”, sagte ich, und der alte Fuchs nickte erneut. Nickte fast. 
“Habe es eilig.”, ergänzte ich. Stand still. Wartete. Bewegte mich nicht. 
“Sehr sogar.”

Der alte Fuchs begann zu reden:
“Zeit.”, sagte er. Seine Stimme klang warm und weich, ein gemütlicher Sessel aus Worten, in dem ich mich nur zu gern niederließ.
“Zeit ist rar.”, sprach der alte Fuchs. “Wirf einen Blick in alle Zeiten, auf gestern, auf heute, auf morgen; blicke in alle Zeiten und siehe: immer fehlt es an Zeit, fehlt es an Lösungen, an Taten, die Schritte gelenkt, Lächeln erweckt, hätten, wie ein Federkitzeln an nackter Pfote nach einem langen Lauf durch hohes Sommergras, dort, wo die Bäume den Halmen weichen und die Sonne praller, reifer, ist.”

Ich versuchte zu folgen. Sonne? Gras? Schritte?

“In allen Mom-Enten stecken Enten: sie können laufen, schwimmen, fliegen, ja schnattern, dass Ohren schmerzen und Krallen welken. Und doch sind sie Pracht und Wonne, tragen sie Gedanken aus Stein und Dasein in ihren Herzen, werden ….”

“Entschuldigung.”, unterbrach ich. “Wie war das?”

Der alte Fuchs räusperte sich. Redete weiter:
“Werden von Furcht zur Furche zur Frucht, erblühen, wo selbst das letzte Gedünst noch sehnsüchtig glimmt und jedes noch so kostbare…”

“Entschuldigung.”, unterbrach ich erneut. “Ich bin in Eile.”

Der alte Fuchs verstummte. Sah mich an. Nickte nicht. 
Gebar eine schmerzvolle Stille. 
Sein Blick war herzenswarm und bohrend heiß zugleich.
“Du bist in Eile.”, sagte er dann. Ruhig. Bedrohlich.
Als wäre das Nicken langsam von ihm zu mir gewandert, war ich es nun, der nickte. 

“Vielleicht solltest du dann”, sein Maul formte sich zu einem spitzzahnigen Grinsen, dem jede Spur von Freundlichkeit fehlte.
“Vielleicht solltest du dann nicht ständig wildfremde Leute anquatschen!”

Ich stutzte. Geriet noch mehr in Verzug.
Stutzte weiter. Dachte nach.
Drehte mich um.

“Entschuldigen Sie.”, sagte ich zum nächstbesten Frettchen. “Denken Sie das auch?”