1. Mai

Manchmal ist alles ganz einfach: Werfen, Fangen, Glücklichsein.

Am gestrigen Tage schien die Sonne, umgarnte mich, eigentlich um Eifrigkeit bemüht am Schreibtisch sitzend, mit blendendem Licht und der Verlockung eines Parkbesuches. G rief an, und ehe ich mich versah hatte ich seinem Besuch zugestimmt.
Zunächst galt es, technisches Gerät galt es zu besiegen, doch nach anderthalb Stunden, in denen die Sonne unbeeindruckt ihre Pracht durch mein verhangenes Fenster schickte, hatten wir zwar Nötigstes erwirkt, doch noch immer keine Lösungen für das sporadische Funktionieren des Gerätes entdeckt. [Und es ist erwartbar, daß das gerät sich trotz überwiegender Funktionsunfähigkeit bei der Elektronikladenbeschwerdestelle als vollkommen funktionstüchtig entpuppen und G in ein unangenehmes „Dümmster-Anzunehmender-Nutzer“Licht rücken wird.].

Wir gaben und brachen auf, gen Stadtpark, wo einer der üblichen 70er-80er-90er-Und-Das-Beste-Von-Heute-Radiosender zur Maibegrüßungsfeierlichkeiten eingeladen hatte und mit zusätzlicher Oldtimershow und zahlreichen Freß-, Kirmes und Flohmarktbuden Proll- und Rentnervolk unter den freien Himmel lockte. Nein, wir wollten keine Damenunterhosen oder Sonderpreisuhren erwerben oder die bereits überwiegend abgereisten Altautos bestaunen. Wir wollten nicht dem öligen Duft der Donutbude folgen, nicht die besten Schlagerhits aller zeiten aus übersteuernden Boxen tönen hören.

Was wollten wir dann? Schauen. Uns amüsieren. Soziales Verhalten vergleichenden Musterungen unterziehen. Schlendern. Den Sonnnenschein genießen. In den Park gehen.
Wir verfolgten einen Streit mit mäßigem Interesse und stellten fest, daß es zu fortgeschrittender Nachmittagsstunde schwer wurde, zwischen den bereits schließenden Ständen einen noch glimmenden Bratwurstgrill ausfindig zu machen, von Steaks ganz zu schweigen.

„ca. 1/2 Meter Bratwurst“. Ein Schild bewies die typisch deutsche Sachlichkeit: Bevor sich jemand darüber beschweren konnte, daß der halbe Meter Bratwurst kein solcher war [zu diesem Zwecke führt man schließlich immer ein Maßband mit sich herum], hatte der Ladenbesitzer ein vorsichtiges „circa“ hinzugefügt und alle Abweichungen einem Schätzungsfehler in die Schuhe geschoben. Es dauerte eine Weile, bis G seine Bratwurst bekam, der, damit sie in das Baguette paßte, in der Mitte ein zerstörerischer Knick verpaßt wurde. Meinen Steakwunsch begrabend schaute ich dem Nichtgrillenden zu, der monoton Baguettes aufschnitt – eine Arbeit, die ich ihm nur ungern abnehmen würde, weil sie mich zu sehr an Zivildienstzeiten, morgendliches Brötchenaufschneiden und damit verbundene, zahlreiche Handverletzungen erinnerte.

Während wir den Rest des Rummels begutachteten [Das einzig Steakähnliche, das sich finden ließ, war eine Bulette, die mir jedoch nicht zusagte.], schob G sich seine, in Senf ertränkte BraWu in den Kopf. Ich selbst begnügte mich mit einem aus meinem Rucksack gefischten Apfel, sozusagen als gesundheitliches Pendant zur Bratwurst.

Wir schlenderten ziellos durch den Stadtpark, und ich gab mich meinem Erstaunen hin: Vor wenigen Wochen hatte sich all das in Wasser befunden, war überflutet und unzugänglich gewesen. An Bäumen versuchte ich, Hochwasserstandsmarken ausfindig zu machen, was nur unzureichend gelang. Doch wenn das, was ich für die Maximalwasserhöhe hielt, tatsächlich die solche gewesen war, hätten wir an dieser Stelle noch vor Wochen halstief im Wasser gestanden. Beeindruckend.

Zuweilen fand man noch Reste des Hochwassers: Abgestandene Tümpel, deren Existenz schon weitem riechbar war, sumpfige Wiesen und Wege, die uns zu Ausweichmanövern überredeten. Während G einer postwurstigen ziagrette frönte, zog ich die Keulen aus dem Rucksack und wagte, während des gemütlichen Schlenderns zu jonglieren. Es gelang mäßig gut, weckte jedoch Gs Interesse, der sich alsbald mehreren vielversprechenden Keulenwerfversuchen widmete.

Begegnen Menschen Jongleuren, fühlen sich erstere meist zu irgendeiner Reaktion genötigt. Wenn die Jongleure „nur“ Bälle durch die Gegend schleudern, fangen und wieder dem luftigen Weiten vermachen, so herrscht, je nach Professionalität zumeist nur glotzendes Schweigen oder Desinteresse vor. Mit Bällen jonglieren kann jeder.
Erst wenn derer vier oder mehr davon durch die Luft wirbeln oder wenn das jonglierte Muster kein erkennbares mehr ist, setzt das Glotzen ein. Trotzdem sind Bälle unspektakulär. Keulen sind größer, unförmiger, beeindruckender.

Wenn ich im Park stehe und mit Keulen jongliere, so kann ich darauf wetten, daß neugierig dreinblickende Hundigassiführer etwas von sich geben werden, das einem „Sieht schon gut aus.“ sehr nahesteht.
„Sieht schon gut aus.“ Insbesondere das „schon“ stört mich an diesem Satz. Denn normalerweise übt man weniger das, was man schon kann als das, was es noch zu erlernen gilt. Dementsprechend kann man schon zwanzig Jahre lang als professioneller Jongleur agieren und trotzdem bei einem neuen Trick hin und wieder ein paar Gegenstände fallenlassen – und wird, angesichts der offensichtlichen Noch-Unfähigkeit, alsbald ein tröstendes „Sieht schon gut aus.“ ernten.
Vielleicht aber wollen die Vorbeigänger nur irgendetwas sagen, um ihr neuigieriges Zuschauen zu rechtfertigen. Als Eintrittsgeldersatz sozusagen.

G und ich liefen also durch den Park, bewaffnet mit insgesamt drei Keulen und ernteten natürlich entsprechende Kommentare. Was wir zu erlegen gedenken, wurden wir gefragt. Besser: Wurden wir nicht gefragt, denn obgleich die Frage uns galt, wurde sie an die eigene Gruppe gestellt, damit diese Gelächter von sich geben konnte.

Irgendwann hielten wir inne. Ich zeigte G, was er mit den Keulen anzufangen habe. Daß die Balljonglage eine nicht unbdeingt notwendige aber keineswegs unnötige Voraussetzung für die Keulenjonglage sei, sah er ein und versuchte sich alsbald an den kleinen Runddingern, die natürlich trotzdem nicht selten ins feuchte Gras fielen.

Irgendwann warfen wir einander Keulen zu, frönten schließlich gar einem Rechts-Links-Rhythmus, auch über größere Entferungen hinweg. Es ist nicht leicht, eine rotierende Keule zu fangen; demensprechend ehrgeizig war unser Bemühen, dem Plastik keinen Bodenkontakt zu gewähren.

Nachdem ich mir einen und G sich zwei Finger mit ausreichend Schlechtfangschmerz befüllt hatten, hielten wir inne, legten eine Pause ein. Gs Grashalmtröte zerfetzte die Luft und mehrere Halme, bevor wir dazu übergingen, uns die drei mitgebrachten Jonglierbälle zuzuwerfen – und jeweils nur mit einer Hand zu fangen.

Eigentlich mag ich ja auf mich zufliegende Objekte überhaupt nicht, doch den handtellergroßen, vierfarbigen Bällen vertraute ich längst und versuchte mein möglichstes, Gs Würfen meine fangende Hand entgegenzusetzen. Ich war ein schlechter Fänger, das sah ich ein. Allerdings warf ich ganz gut und zielgenau. Trotzdem wurde mit jedem unserer Würfe der Abstand zwischen uns größer, und wir mußten uns mühen, dem Ball ausreichend Zielerreichgeschwindigkeit mitzugeben.

Irgendwann während dieser Werferei wurde mir bewußt, was wir taten: Wir warfen Bälle hin und her und fingen sie. Mehr nicht. Und doch verausgabten wir uns, fanden Freude in diesem simplen Spiel. Hätte mich irgendwer gefragt, ob ich mit ihm einen Ball hin- und herwerfen möchte, hätte ich vermutlich abgelehnt. „Langweilig.“, wäre wohl eine meiner Begründungen gewesen.
Doch in diesem Momenten fand ich keine Langeweile. Nur den Wunsch, den Ball höher, schneller, weiter, treffsicherer zu werten, ihn häufiger, aus unmöglichsten Höhen und Positionen zu fangen. Und sichtliches Vergnügen.

Alsbald gaben wir der Erschöpfung nach und brachen auf. Wir suchten ein nahegelegene Lokalität auf, besetzten den Platz einer unauffindbaren Zechprellerin, die ein Drittel ihres Bieres stehengelassen hatte, bestellten Trinkbares und tranken. Ich entdeckte einen ehemaligen Mitschüler, der bei erwähntem Radiosender tätig zu sein schien, doch spürte minimales Inetresse, den verlorenen Kontakt zu ihm wiederherzustellen.
Als Glas und Tasse geleert waren, bezahlten[!] wir und begaben uns schließlich heimwärts.

[Im Hintergrund: Tool – „10,000 Days“]

Die Donut-Muffin-Theorie

G stellte fest, daß Muffins vermutlich das sind, was aus Donuts in der Mitte herausgestochen wird. Natürlich im Rohteigzustand. Um das zu verschleiern und die Idee für abwegig zu erklären, beie Backprodukte iweder zusammenfügen zu wollen, werden Muffins in alberne, kleine Papierumhüllungen gesteckt.

Einfach

G ruft an. Einfach so. Fragt nach Dingen, das Internet betreffend, von denen ich Ahnung habe. Ich antworte. Er hat keine Zeit, erkundigt sich kurz nach anderem, doch muß bald auflegen. Ihn eilt es.

Nach wenigen Augenblicken schon endet das Telefonat. Erfreut bemerke ich, daß dessen Länge und Inhalt keine Bedeutung für mich hatten, daß ich mich trotzdem wohl fühle, weil an mich gedacht wurde – und sei es nur, um irgendetwas zu erfragen.

Denn ich weiß, daß G später noch einmal anrufen wird. Oder ich ihn. Daß es nicht nötig ist, zwingend tausend Dinge in wenige Sekunden zu stopfen. Daß die Zeit nicht drängt. Nicht wirklich.

Es ist nicht nötig, sich zu erklären oder Erklärungen zu fordern, nicht nötig, irgendetwas beweisen, klarstellen zu müssen.

Für einen Moment ist alles einfach.

[Im Hintergrund: Arch Enemy – „Wages Of Sin“]

Klassik gegen Punks

Der Magdeburger Bahnhofsvorplatz, vor gar nicht allzu langer Zeit in „Willi-Brandt-Platz“ umgetauft, wird nicht nur von einer City-Carre-Einkaufspassage, von McDonalds, PizzaHut, Cinemaxx und – natürlich – vom Bahnhofsgebäude umrandet, sondern auch gern von weniger beliebten Teilen der Bevölkerung besucht, welche die vorhandenen Sitzmöglichkeiten und besetzbaren Stufen zu ständigen und stundenlangen Aufenthaltsorten deklarieren.

So trifft man auf dem Bahnhofsvorplatz neben den üblichen Trinkern, die zuweilen schon des Morgens, mit notwendigem Utensiliar ausgestattet, ihre Plätze beziehen auch immer wieder Punks und deren Freunde an, die ihren älteren Vorbildern nachzueifern scheinen, indem auch sie sich mit alkoholhaltigen Getränken den Tag versüßen, zusätzlich aber von vorbeieilende Passanten eine Kleingeld- oder Tabakspende zu erwirken versuchen.

Das City-Carre reagierte längst, ließ eine Tafel anbringen, auf der verkündet wird, daß es nicht gestattet sei, sich in einem der Eingangsbereiche des Einkaufscenters bettelnd oder pöbelnd aufzuhalten. Für Ordnung sorgt auch ein Sicherheitsmann, der die potentiellen Verdächtigen nicht aus den Augen läßt.

Daß der Bahnhofsvorplatz mit Kameras überwacht wird, bedarf wohl keiner Erwähnung.

Was G und mir in der letzten Zeit insbesondere in den Abendstunden aber immer wieder auffiel, war eine Besonderheit des Bahnhofsvorplatzes, die uns staunen machte, ja andächtig lauschen ließ.

Denn aus, an der Außenseite des City-Carre-Gebäudes angebrachten Lautsprecherboxen ertönte jedesmal, wenn wir abends dort vorbeiliefen, laute, klassische Musik.
Wir kannten die Stücke stets, und obgleich wir nicht imstande waren, einen Komponisten zuzuordnen, blieben wir stehen, um uns der Musik zu erfreuen, die uns imposant und ergreifend entgegentönte.

Tatsächlich wäre es wohl keineswegs die schlechteste Vergnügung, sich auf einer der Bänke niederzulassen und den Klängen zu lauschen, die den Bahnhofsvorplatz in eine gediegenere Atmosphäre versetzten.

„Was soll das? Wem nützt das?“, fragten wir uns jedoch und fanden alsbald eine Lösungsmöglichkeit:

Die fortwährende Beschallung mit klassischer Musik dient einzig und allein dazu, alkoholisiertes, sich unsittlich benehmendes Gesindel vom Bahnhofsvorplatz fernzuhalten.
Mit Schönem soll das Unschöne vergrault werden.

Leicht ist es, sich vorzustellen, wie Punks und Trinker auf die klassischen Klänge reagieren, unwillig, nach ein paar Minuten vielleicht genervt, eventuell versuchend, mit eigenen Klängen zu kontern.
Doch irgendwann würde sie vielleicht aufgeben, nachgeben, sich verziehen, andere Orte aufsuchen, die weniger vornehm beschallt werden und – möglicherweise – weniger zentral liegen.

„Clever.“, loben wir diese wahrlich humane, ordnungsschaffende Maßnahme, betrachten die unbesetzten Bänke und Treppenstufen und halten inne, um noch ein paar Minuten lang den musikalischen Freuden zu frönen.

[Im Hintergrund: The Dresden Dolls – „A Is For Accident [live]“]

So etwas wie ein Konzert-Reise-Bericht

Die Benzinpreise mit Bastianscher Ignoranz betrachtend tankte ich noch schnell, bevor ich mich zu G begab, um ihn aus heimatlichen Gefilden abzuholen und dann mit ihm gemeinsam die Reise Richtung Hauptstadt anzugehen.
Es war 18 Uhr, als ich bei G eintraf, und tatsächlich war er abreisefertig und konzertgerecht bekleidet. Ich war erfreut und hatte daher auch gegen einen kleinen Geldhol-Umweg nichts auszusetzen.

Die Strecke Magdeburg-Berlin ist eigentlich gut zu finden und – natürlich – bestens ausgeschildert. Allerdings erachte ich es nicht unbedingt als einfach [zumindest für mich Berlin-Unkundigen], die Innenstadt zu befahren und zu einem gewünschten Ziel zu finden. Glücklicherweise gibt es, selbst wenn das Fahrzeug über fehlende Autoatlanten verfügt Online-Reiserouten-Bestimmer, mit deren Hilfe ich nicht nur für Kartenmaterial, sondern auch für wortreiche Wegbeschreibungen besorgt hatte.

Eigentlich war uns auch alles klar, hatten wir uns doch bereits einst auf dem Weg zum Cradle-Of-Filth-Konzert verfahren und wußten nun, wo wir nicht falsch abbiegen durften, wenn wir vermeiden wollten, uns wieder in ausweglosen Stadtautobahnen ohne Rückkehrmöglichkeit zu verheddern.

A2, A115, A100. Eigentlich kein Problem. Doch schon mehrere Kilometer vor der Stelle, die uns das letzte Mal zum Verhängnis geworden war und mitten durch die Berliner Innenstadt geführt hatte, ordnete ich mich – äußerste Vorsichtmaßnahmen ausübend – präventiv links ein, um auf keinen Fall, unter keinen Umständen falsch zu fahren.

Wir atmeten auf, als wir die tückische Passage gemeistert hatten und uns anderen Sorgen widmen konnten, beispielsweise der Feststellung, daß unsere Wegbeschreibung eindeutig uneindeutig geschrieben war, so daß wir – obwohl wir die richtige Route keinen Millimeter verlassen hatten – uns sorgten, möglicherweise einer anderen Falle aufgesetzt zu sein. Doch eine richtige Abfahrt und wenige Augenblicke später fühlten wir uns am Columbiadamm schon fast heimisch.

Leider hatten die vielen Besucher des Zweitkonzertes, nämlich DMX, die eigentlich ausreichenden Parkmöglichkeiten stark eingeschränkt, weswegen wir erst zwei Straßen weiter fündig wurden. Doch das störte uns nicht, waren wir doch glücklich, am Ziel angekommen zu sein.

Es war erst 19.40 Uhr, zwanzig Minuten vor Einlaß, so daß wir beschlossen, unseren Mägen etwas Gutes zu gönnen und den gleichen Italiener aufsuchten, der auch einst, beim Samsas-Traum-Konzertbesuch [„Nachband“ war leider L‘ Âme Immortelle] vor zwei Jahren [Damals hier der ColumbiaClub noch ColumbiaFritz.], A und mich zu sättigen wußte.
Wir aßen leckere Omelettes, tranken Becks und Cola [getrennt voneinander, natürlich], machten Smalltalk mit dem Italiener, schenkten einem Nachrichtensender-Schröder-Aufritt kaum Beachtung und freuten uns wie wuslige Knuselwupps auf das alsbald stattfindende Konzert.

Der Columbiaclub war erstaunlich voll. Samsas Traum hatten damals bei weitem nicht so viele Besucher angelockt. „Ausverkauft“ zeigte ein Schild an der Abendkasse – doch das kümmerte uns nicht.

Die Vorband legte alsbald los und war – wir waren beide beeindruckt – erstaunlich gut. Extol – ein Name, den man sich vielleicht merken sollte. Exakt drei Minuten vor neun beendeten sie ihren Auftritt, wurden mit großem Applaus verabschiedet und räumten die Bühne für Opeth.

Der Bühnenumbau zog sich ein wenig hin. Um uns herum wurde es immer voller. Wir standen ziemlich weit vorne, aber eher rechtsseitig. Eine Positionsverbesserung schien aber nicht erreichbar. Wir gaben uns zufrieden.

Der Applaus, als Opeth die Bühne betrat, war enorm. Die Halle war zum Bersten gefüllt, und es gelang uns sogar, zwischen den zu hoch gewachsenen Menschen ausreichend Sicht nach vorne zu erlangen.
Opeth legte los mit einem Stück vom kürzlich erschienenen Album. Der Sound war gut, bestens gar, die Masse – inklusive uns zwei Begeisterten – war alsbald am Mitfiebern und Haareschütteln.

G stellte nach dem Konzert erfreut fest, wie leicht es dem Sänger/Gitarristen/Frontmann gelungen war, ständig zwischen reinem Gesang und tiefem Grunzen zu wechseln – „und das ohne Qualitätsverlust“.

G hatte recht. Was der Sänger dort leistete, war enorm. Hinzu kam, daß er großes Unterhaltungspotential hatte. Die Band kam ohne jegliche Spezialeffekte [wie wir sie zuletzt bei Cradle Of Filth in größeren Mengen bewundern durften] aus, sondern füllte die Pausen zwischen den Liedern mit amüsanten Ansagen, mit kleinen Geschichtchen, mit der wiederholten Feststellung, daß er krank und alt sei, und mit fleißigem Ins-Handtuch-Ausschnauben [Er war wohl tatsächlich ein wenig erkältet – und drohte damit, das Handtuch nach dem Konzert in die Massen zu werfen.]. Er animierte zum Headbangen, zum Mitsingen, bedankte sich aufrichtig, fluchte darüber, daß es zu ihrer derzeitigen „Single“ wohl erstmal ein Video gäbe, welches allerdings um mehrere Minuten beschnitten wurde.
Und wer Opeth kennt, weiß, was das bedeutet, ist es doch nicht selten, daß Songs dieser Band die Zehn-Minuten-Marke überschreiten.

Natürlich ließ es Opeth sich nicht nehmen, sowohl das erwähnte Lied „The Grand Conjuration“, als auch alle andern in voller Länge zu spielen, selbst wenn das hieß, daß das Publikum eben 13 Minuten lang mit dem Kopf herumzuzappeln hatte.
Wir waren begeistert.

Zwei Sachen waren leider weniger schön. Zum einen wurde leider Gs Lieblings-Opeth-Song nicht gespielt, zum anderen stellte ich mal wieder fest, daß es mir mißfällt, wenn Konzertbesucher während des Konzertes [telefonieren oder] immer wieder durch die Gegend wandern müssen. Ich glaube nämlich, daß die Leute, die nebeneinanderstehen, sich auf einander einstellen, einander etwas Platz geben, sich Platz nehmen, wo es geht. Kommt aber noch jemand dazwischen, wir diese Ordnung gestört, und es braucht wieder eine Weile, bis sich auch dieser Zustand [möglicherweise] wieder eingepegelt hat. In der Übergangszeit jedoch wird man enorm von der spielenden Band abgelenkt, was mich durchaus verärgert.

Es gab eine einzige Zugabe. Opeth ließen es sich nicht nehmen, lange zu warten, bevor sich wieder die Bühne betraten, würden dafür auch kräftig gefeiert. Zurecht. Denn was die Band lieferte, war einfach nur genial [weil Opeth nunmal genial ist], und es war berauschend, im Strudel der Musik abzutauchen, zu versinken, einfach mitzugehen.

Opeth spielten nur zwei Songs vom aktuellen Album, was eigentlich beeindruckend ist, dient doch eine Tour nicht zuletzt dem Album-Marketing. Der Sänger bedankte sich unzählige Male aufrichtig für unseren immensen Applaus und bedankte sich auch bei allen, die das neue Album gekauft [und er betonte das Wort mit einem Grinsen im Gesicht] hatten.

Nach zweieinhalb Stunden war es vorbei. Noch immer gefesselt von der Musik und unendlich beglückt verließen wir allmählich das Gebäude und liefen zum Auto.
Dort hörten wir uns erst einmal Gs Lieblingsstück „The Leper Affinity“ an, bevor wir Pläne für den weiteren Abend schmiedeten.

G hatte im Columbiaclub einen Typen ausgefragt, was es denn für Metal-Freunde und Liebhaber gothischer Klänge an Lokationen in Berlin gäbe. Ich selbst hatte zu Hause schon das K17 ermittelt. Allerdings reizen mich Ankündigungen wie „Electronic Massacre“ nicht sonderlich, insbesondere, wenn ich gerade von einem Progressive/Death-Metal-Konzert komme.
G stimmte mir zu, und wir überlegte, wie wir am besten ins Matrix [Warschauer Straße] oder in den Duncker [Dunckerstraße] kommen könnte.

‚Ohne Karte wohl gar nicht.‘, meinte G und schlug vor, die nächstbeste Tankstelle nach Kartenmaterial zu durchstöbern. Gesagt, getan. Nur wenige Hundert Meter weiter wurden wir fündig, erstanden einen City-Plan von Berlin und beschauten die Lage.

Bis zum Duncker war es noch enorm weit. Das Matrix lag näher, was uns beschließen ließ, es dort zunächst zu versuchen. Vier Floors sollte es dort geben, unter anderem einer mit Gothic/Metal. Nun ja.
G wurde zum Kartenleser und Wegweiser und erledigte seine Arbeit gut, denn ohne Probleme gelangten wir in die Warschauer Straße. ‚Die ist lang.‘, stellte G fest, und als wir, ohne das Matrix zu entdecken einmal die gesamte Strecke auf und ab gefahren waren, fragten wir ein maskulin wirkendes Mädchen nach dem Weg.

Sie half weiter, wenn auch nicht viel. Erneut befuhren wir die Warschauer Straße, stellten aber nun fest, hier auf keinen Fall richtig sein zu können und eine kleine Nebenstraße mit dem selben Namen befahren zu müssen. Ein rasches Wendemanöver folgte, und wir bogen alsbald in die scheinbar richtige Straße ein. Nach umständlichen und letztendlich erfolgreichen Bemühungen, dort irgendwo einen Parkplatz zu ergattern [Meine Einparkkünste lassen eindeutig zu wünschen übrig.], stiegen wir aus und wandten uns in die vermutete Richtung. G befragte ein paar Rumstehende, die uns die unsere Laufrichtung bestätigten, uns aber wenig Mut machten, im Matrix auch etwas für uns Geeignetes anzutreffen.

Egal. Wir liefen weiter, kamen alsbald – endlich – zum Matrix. „Ist nicht zu verfehlen.“, hatte das androgyne Wesen gesagt, doch wir Autofahrenden waren bereits zweifach vorbei gefahren, ohne die Lokation bemerkt zu haben.

Ich fragte ein auf jemanden wartendes Mädel [Bislang hatten wir noch keine Schwarzträger, Metaller oder ähnliches entdecken können.], was denn im Matrix musikalisch zu entdecken wäre.
„R’n’B und House.“, antwortete sie.
„Aber uns wurde gesagt, es gäbe vier Floors. Was läuft denn auf den anderen?“
Das wußte sie nicht, besuchte sie doch nur diese beiden. Eventuell, unter Umständen könne es möglicherweise sein, daß auf den beiden etwas für uns dabei wäre. Sie konnte es nicht sagen, und ich fragte die nächsten, eine Gruppe Anstehender.
Diese waren sehr hilfsbereit, und schließlich hatten wir auch alle vier Ebenen zusammen:
RnB, HipHop, House und Oldies.
Nun ja.

Wir sollten uns ein „NullDreiNull“ besorgen, den lokalen Szeneführer, der uns auf unserer Suche weiterhelfen könne, meinten sie, als sie bemerkten, daß sie nicht wußten, wo in Berlin schwarze Gestalten abzuhängen pflegen. Wir dankten für die Hilfsbereitschaft. Ich belästigte einen unfreundlichen Türsteher mit der Frage nach der Zeitschrift, was er ungeduldig verneinte.

Wir begaben uns zurück zum Auto, kamen an der Gruppe vorbei, die wir zuerst gefragt hatten.
„Nichts für euch oder wurdet ihr rausgeschmissen?“, fragte der eine von ihnen.
„Nichts für uns.“
Als dann ein anderer anfing, von Hühnerblut und germanischen Runen zu faseln, beeilten wir uns, ins Auto zu steigen und fortzufahren.

Der Duncker war von hier aus näher, also visierten wir diesen an. tatsächlich mußten wir feststellen, ihn ziemlich leicht erreichen zu können.
„So ein Stadtplan fetzt.“, meinte G, der Kartenleser.

Ich konnte mich noch an das Dunckergebäude und seine Lage erinnern [Einst, als ich zusammen mit A nach einem Letzte-Instanz-Konzert mitten im Winter durch Berlin irrte, um eine geeignete Lokation zu finden…], so daß wir diesmal keine Probleme hatten, es zu identifizieren. Nur die Parkplatzsuche gestaltete sich noch schwieriger als zuvor.
Letztendlich wurden wir fündig, und ich bewies mal wieder mein fehlendes Einparktalent.

„Was läuft denn hier?“, wollte ich von den Leuten wissen, die vor dem Duncker herumstanden. „Ach, nur noch DJs und so.“
„Und was für Musik?“, hakte ich nach.
„Äh, keine Ahnung. Schaut doch einfach mal rein. Ist kostenlos.“
„Ist überhaupt nicht kostenlos.“, mischte sich ein anderer ein.
„Wir schauen einfach mal rein.“, beendete ich das Gespräch lächelnd, klingelte und wurde reingelassen.

„Was läuft denn hier?“, fragte ich den langhaarigen Türsteher.
„Ach, alles mögliche. So Independent Rock/Pop, würde ich sagen.“
Ich schaute G an.
„Na los, gehen wir rein.“, meinte er, denn die durch die Tür dringende, gedämpfte Musik klang annehmbar.
Ich drehte mich um, die Kasse suchend.
„Zu mir.“, winkte die Kassiererin und verlangte 3,50 Euro pro Person.

Wir traten ein. Der Raum war klein, nein: winzig, und übervoll. Es gab noch nicht einmal mehr Stehplätze. Wir schauten uns an, ein wenig erschrocken.
Nach ein paar Augenblicken fanden wir den Nebenraum, mit „Bar“ ausgezeichnet. Auf einem RFT-Fernseher [Er sah jedenfalls so aus.] lief „Natural Born Killers.“, was G erfreute. Nach wenigen Augenblicken wurden sogar Sitzplätze frei, was mich freute, mochte ich doch nicht, im Weg oder mitten im Raum herumzustehen.
G genehmigte sich einen White Russian, war begeistert.

Die Musik aus dem Nebenzimmer war nicht schlecht. Nicht umwerfend, aber eben auch nicht schlecht. Alternative Rockmusik, würde ich sagen. Es lohnte sich durchaus, hier zu bleiben. Die Alternative wäre gewesen, nach Magdeburg zurückzufahren, denn nach einer weiteren Suchaktion stand uns nicht der Sinn.

Wir saßen herum, lauschten den Klängen von nebenan, quatschten, analysierten das Konzert. Ab und zu sprang ich auf, um mich zur Tanzfläche zu begeben, doch diese war maßlos überfüllt. Und ich benötige Platz bei meiner persönlichen, musikalischen Entfaltung.
G trank noch einen weiteren White Russian.

Bei einem Lied von Muse sprang er auf, trank sein Glas aus, gab es – zusammen mit der Pfandmarke – ab und eilte zur Tanzfläche, wo er sich einen Platz freikämpfte und den Takten frönte. Ich schaute zu und lächelte, begab mich alsbald auf die Toilette, die allerdings keines Besuchs würdig war.

Später meinte ich: „Wenn das nächste Lied scheiße ist, gehen wir.“
G zuckte mir den Schultern. Die beiden Weißen Russen begannen, Wirkung zu zeigen.

Das nächste Lied kannte ich. System Of A Down. „Forest“. Ich stürmte die erstaunlich menschenfreie Tanzfläche, schüttelte mein Haar. Endlich.

Das Lied endete, und weiter vertraute Takte tönten aus den Boxen: Tool mit „Sober“. Klasse. Auch G bewegte sich. Und ich erinnerte mich des Umstands, daß uns im ColumbiaClub mehr als drei Personen mit einem Tool-T-Shirt aufgefallen waren. Das Lied paßte also perfekt.

Den darauffolgenden Song kannte ich nicht.
„Wenn das nächste Lied scheiße ist, gehen wir.“, wiederholte ich mich. G stimmte zu.

Das nächste Lied war scheiße, und wir gingen. Es begann zu nieseln. Vor dem Duncker stand umgebauter Trabant 600, den G beschaute.
„Komm jetzt. Es regnet.“, rief ich und ging in Richtung des Autos. G folgte. ich beschloß, meine Einweg-Kontaktlinsen jetzt rauszunehmen. Nach dem zweiten Versuch hatte ich sei aus den Augen entfernt und entsorgt. Nun war ich blind. Ich grinste in mich hinein.
„Wenn mich die Welt ankotzt und ich sie nicht mehr sehen will, nehme ich die Brille ab und laufe durch die Straßen.“, erklärte ich. „Das Gute daran ist, daß niemand außer mir weiß, daß ich nichts sehe.“

Am Auto angekommen, kramte ich die Brille aber doch hervor. Schließlich hatte ich gute Laune und mußte fahren.
Ein Schluck aus der Cola-Flasche. G verweigerte die Kartenlesedienste. „Ich kann nichts mehr erkennen.“, meinte er. „Die zwei White Russian hatten es in sich.“
Ich zuckte mit den Schultern und fuhr los. Dann mußte es eben so gehen.

Es ging nur schlecht. Ich hatte mir die Richtung auf der Karte angesehen, doch irgendwann kamen wir an eine Baustelle, die uns woandershin führte, als wir wollten. Ich hielt an, sah mich um, verglich unsere Position mit der Karte, fuhr weiter.
Ein Schild leitete uns in Richtung Autobahn. Treuherzig bog ich von der eigentlich geplanten Route ab. „Ist das nicht die falsche Richtung?“, fragte ich aber nach ein paar Metern und wollte erneut anhalten. G schnappte sich die Karte, schaltete die Autoinnenbeleuchtung an und meinte: „Links ab.“
„Abbiegen oder wenden?“
„Beides. Ich bin gespannt, was du machst.“
Ich wendete, fuhr auf unsere alte Route wieder auf.
„Die Straße mündet irgendwann auf die A100.“, teilte mir G mit.
„Echt?“, freute ich mich.

Und tatsächlich erreichten wir als bald A100.
„Magdeburg.“, jubelte G, als er die Beschilderung entdeckte. Nun konnte nichts mehr schiefgehen.

Zehn vor vier. Die Straßen waren leer.
„Bis um fünf wird das nichts.“, meinte ich und hoffte das Gegenteil.
Ich fuhr schnell, ohne Komplikationen, wollte nur noch in mein Bett.
„Hier rechts abbiegen.“, teilte mir G zwei Mal mit, döste zwischendurch, doch war rechtzeitig wach, um unsere Einfahrt in Madgeburg mitzuerleben.

Ich lächelte, schaute stolz auf die Uhr.
Zwei Minuten vor Fünf hielt ich bei G. Wir verabschiedeten uns. Zufrieden. Geschafft.
„Kommt gut nach Hause.“ sagte G.
Der Weg zu mir nahm weniger Zeit in Anspruch als mein bemühen, einen Parkplatz zu finden. Aber das kannte ich ja bereits. Ebenso wie meine fehlendes Einparktalent.

„Egal.“, dachte ich vergnügt, stieg aus und ging nach Hause.

[Im Hintergrund: Tool – „Aenima“]

Verrückt

Gestern Abend tauchte G auf, angemeldet natürlich, unwissend bezüglich der Planung des Kommenden. Die Alternativen waren zahlreich aber nicht großartig. Im Stadtpark gab es ein Lichterspektakel namens „LuminArte“, das allerhand [vorwiegend ältere] Besucher anzog. Irgendwo in Buckau fand ein musikalisch sicherlich einigermaßen annehmbares Musikfestival aufstrebender und bereits einigermaßen etablierter Bands statt, das sich „Upgrade Festival“ nannte und nur 5 Euro Eintritt kosten sollte.

Wir hatten außerdem die Möglichkeit, irgendwo den unspannenden Eurovision Song Contest [ehemals Grand Prix de la Dingsbums] mitzuverfolgen und uns somit mit reichlich unspektakulären Musikstücken auseinanderzusetzen oder eine interessante DVD zu entleihen. Auch die Alternative „Kino“ war nicht die schlechteste, wenn man davon absah, daß wir uns entschieden hatten, den neuesten Teil der Star Wars Hexalogie [Heißt das Wort so?] erst anzuschauen, wenn das prollige Dummvolk und die vom Hype gedrängten Massen, sozusagen die erste Zuschauerschwemmen, vorüber waren. Das restliche Kinoprogramm aber ließ auch dieses Vorhaben sterben, weswegen wir uns nach ausreichend langer Diskussion auf den Spontanbeschluß „Factory“ einigten, wo nach einem Konzert von nicht unbedingt erwähnenswerten Bands die „Dominion-Night-After-Show-Party“ stattfinden würde. Das klang doch nicht allzu schlecht.

Jedoch stellt G fest, für diese Lokation nicht angemessen bekleidet zu sein und zumindest das Hemd wechseln zu müssen. Unsere Planschmiedekunst ergab, daß wir zunächst den nötigen Besuch bei meinem Geldinstitut vollziehen würden, um G dann in heimatlichen Zimmern Gelegenheit zur Umkleide zu geben. Gesagt, getan. Die Sparkasse überließ mir freizügig ein paar Geldscheine, und wir gingen zur nächstgelegenen Haltestelle. 22.21 Uhr. Ein Blick auf den Fahrplan überzeugte uns davon, daß in fünf Minuten die Bahn eintreffen müßte, die uns befördern könnte.

„Fünf Minuten?“, fragte G, „Da können wir auch laufen.“

Tatsächlich hatten wir nur die Distanz einer Haltestelle zu bewältigen, um zum großen „Hier-Treffen-Sich-Nachts-Alle-Öffentlichen-Nahverkehrsmittel-Damit-Man-Entsprechend-Einfach-In-Die-Gewünschte-Richtung-Umsteigen-Kann“-Bahnhof zu gelangen. Doch kaum waren wir ein paar Meter gelaufen, sprachen uns zwei Engländer an.

„Do you speak English?“
„A little bit.“, antwortete G.

Sie fragten uns nach unseren abendlichen Vorhaben, die wir einigermaßen eloquent erläuterten. Der Grund für ihre Neugierde war, daß im „Mikrokosmos“ eine Band namens „The Swans“ auftreten würde, die wohl schon in den 80ern ein paar Erfolge gefeiert hatte. Jedoch war – wegen der zahlreichen Veranstaltungen innerhalb Magdeburgs – die Anzahl der Zuhörenden minimal, also fast Null, weswegen wir eingeladen waren, das Publikum zu spielen. Wir sahen uns an, zuckten mit den Schultern, und ich sagte zu.

Innen erwartetens uns zwei abweisende, demotivierte Kassierer und gähnende Leere. Die beiden bereichteten von zwei Bands, die auftreten würden. Erstaunlicherweise war keine Rede von „The Swans“.
„Was soll das denn kosten?“, fragte ich neugierig.
„Fünf Euro.“
„Was? Fünf Euro?“
Ich blickte zu G, er schüttelte mit dem Kopf.
„Nee, das ist uns zu viel.“, meinte ich, und wir verabschiedeten uns.
„Tschüß.“

Wir gingen, erklärten den am Ausgang Stehenden, daß uns fünf Euro zu viel wären, was sie auch verständnisvoll hinnahmen. Auch erläuterten wir, wohin wir gehen würden, daß es dort ganz nett sei und wie sie dorthin kämen. Sie freuten sich und sagten fröhlich Lebewohl.

Wir jedoch sahen in diesem Moment unseren Bus vorbeifahren. G schaute auf die Uhr und stellte fest, daß nur noch wenige Augenblicke blieben, bis alle Busse und Bahnen am Umsteigeplatz losfuhren – und mit ihnen unser Bus. Oh nein!
Wir rannten los, überquerten anarchistisch Ampeln bei Rot, rannten dem Bus hinterher, rannten zum Umsteigeplatz. Außer Atem steigen wir in den Bus ein und lachten. Wir hatten es geschafft, obgleich die schwüle Luft in Kombination mit der Anstrenung uns ganz schön schwitzen ließ.

Gs Mutter schlief vor dem Fernseher, als wir die Wohnung betraten. Warum, war klar: Der Fernseher lief und zeigte den Auftritt der letzten Künstlerin des Eurovision Song Contests.
‚Schlecht, wirklich schlecht.‘, dachte ich, während G sich abmühte, ein ihm gefallendes Hemd zu finden. Das einzige, was er hervorzauberte, war ein zerknittertes, dem noch eine Menge Nässe innewohnte. Trotzdem sollte es das sein.

„Das solltest du bügeln.“, meinte ich.
„Genau das habe ich vor.“. sagte G, meinen wahrlich weisen Ratschlag befolgend.

Und G bügelte. Tapfer. Seine Mutter wachte auf, sagte Hallo, schaute G zu, bezeichnete ihn zärtlich als „Kacker“ und übernahm kurzerhand die Arbeit, weil sie nicht mit ansehen konnte, was G da fabrizierte. Das Bügelbrett stand falsch herum, und dem Bügeleisen fehlte Dampf.
„Aber das Hemd ist doch sowieso noch naß. Außerdem fabriziert der Dmapf immer Kurzschlüsse.“

Dagegen war nichts einzuwenden. Trotzdem ließ Gs Mutter mehrmals vernehmen, daß das Bügeln mit Dampf zehn Mal schneller gegangen wäre. Doch sie hatte gute Laune, und als G mit sauebrem, knitterfreiem und einigermaßen trockenem Hemd im Flur stand, waren alle Beteiligten glücklich.
Naja, nicht ganz, hatten wir doch in der Zusammenfassung ein Stück der wahrlich schlechten Darbietung der Deutschland vertretenden Gracia gesehen und waren demensprechend sicher und enttäuscht, daß Deutschland übermäßig mies abschneiden würde.

Wir verließen die Wohnung, und ich konnte nich umhin festzustellen, daß G und ich in Partnerlokk gekleidet waren: Schwarze Hose [Stoff bzw Cord], weißes Hemd [schlicht, aber elegant bzw im 70er-Stil] und darüber ein schwarzes Jacket [Stoff bzw Samt]. Einzig die Schuhe waren unähnlich, hatte er doch normale Halbschuhe angzogen, ich aber meine Schnallenspringer. Kaum hatte ich diesen Umstand erwähnt, spurtete G wieder nach oben und zog auch seine mit Schnallen versehenen Springerstiefel an. Perfekt.

Als wir aus dem Haus traten, sahen wir den Bus nahen.
„O nein!“, riefen wir und rannten los. DIe Haltestelle war mehrere Hundert Meter entfernt, und wir beeilten und sehr. Der Bus überholte uns, doch wieder gelang es, noch rechtzeitig einzusteigen. Was für ein verrückter Abend!

Am Hasselbachplatz stiegen wir aus, spontan das „Dock 29“ auserwählend, um noch eine Weile gemütlich rumzusitzen. Erstaunt stellten wir fest, daß diese Kneipe geschlossen hatte, vermutlich sogar für immer. Schade eigentlich, denn obgleich wir lange nicht mehr dort gewesen waren, handelte es sich dabei um eine von Gs Stammlokalitäten. Auch der Nachbarladen war durch eine Alternative ersetzt worden, die aber reichlich ausladend wirkte, weswegen wir beschlossen, zurückzugehen und es an anderer Stelle zu versuchen.

Wir entschieden uns für das „Espresso-Kartell“, das sowohl durch Flair als auch durch Angebot zu locken vermochte, setzten uns nach außen, weil es warm genug war, um ein wenig Frischluft akzeptieren zu können und wir außerdem so unsere Bahn im Blickfeld behalten konnten. Das mögliche Verpassen unserer Bahn wurde auch zum Grund dafür, daß wir gleich nach Erhalt der Getränke diese bezahlten. Einem Blitzstart und einem weiteren abendlichen Sprint stand so nichts mehr im Wege.

Doch vorerst saßen wir ruhig und gemütlich, tranken Jever, Heiße Schokolade und Cola und unterhielten uns nett. Eine Frau inmitten einer durchweg weiblichen Meute kam vorbei, auf einem Bollerwagen ein riesiges, eierlegendes Plastikhuhn hinter sich herziehend. Es handelte sich um einen Junggesellenabschiedsabend, im Rahmen dessen sie wohl Wodka-Lemon-Eier zu verkaufen hatte. Ein Euro das Stück. Für fünfzig Cent bekam man allerdings einen Kuß.
„Das ist ja Prostitution.“, grinste ich und beobachtete, wie die beiden Herren am Nachbartisch, die schon zuvor ein paar minderjährige Mädchen aufgefordert hatten, sich zu ihnen zu gesellen, das Angebot in Anspruch nahmen. Ein Ei, ein Kuß und eine Menge geseierten Smalltalks.

G schaute auf seien Armbanduhr und beschloß, daß es nun Zeit sei zu gehen. Wir tranken aus und begaben uns zur Haltestelle. Erstaunlicherweise fiel mir genau in diesem Augenblick ein, daß es sich nicht um die richtige Haltestelle handelte, weil diese sich ein paar Meter entfernt befand. Glück gehabt.

Nun an der richtiegn Straßenbahnhaltestelle wartend erfreuten wir uns des Eintrudelns der Linie 92, die uns zur Factory brachte. Vor der Factory begegneten wir einer Ansammlung von „666“-Kennzeichen. Wahnsinnig evil!
Das Konzert war gerade vorbei, und man war eifrig bemüht, die letzten Aufbauten zu beseitigen. Ein Beamer wurde angeschaltet, der dazu bestimmt war, die neue Project Pitchfork DVD abzuspielen – den ganzen Abend lang. Überhaupt schien die heutige Veranstaltung auf dem Mainfloor dem Release eines neuen Pitchfork-Albums zu gelten, wurden doch haufenweise Songs dieser von uns nicht sonderlich geschätzten Musikgruppe gespielt. Na klasse.

Die Musik war tanzbar, aber nicht bewegend – und vor allem unbekannt. Sie lud uns also nicht unbedingt dazu ein, uns auf der Tanzfläche zu vergnügen. Wir flohen zum Metal-Floor.
‚Endlich Musik!‘, dachten wir und setzten uns. Der Metal DJ schien betrunken zu sein, spielte er doch neben ungewöhnlich guten Klängen auch irgendeinen 70er-Klassiker [„Free Me“] und „The Final Countdown“ von Europe. Wir wechselten hin und her zwischen Main- und Metal-Floor, hielten und aber vorwiegend im metallischen Bereich auf.

Bekannte Klavierklänge klangen an meine Ohren: Die Apokalyptischen Reiter. Ich stürzte auf die Tanzfläche, nicht ohne mich vorher meines Jackets und meiner Brille zu entledigen, und begann, mein Haupthaar zu schütteln. Darauf folgte Eisregen mit „Wundwasser“. Ich schüttelte weiter. Genial. Danach holte ich meine Brille und tanzte gemeinsam mit G zu „Gothic Girl“ von The 69Eyes. Wir waren entzückt. Die „echten“ Metaller wohl eher nicht; denen war das zu lasch. Der DJ entschuldigte sich mit einem Metalklassiker, bei dem alle Haupthaarschüttler auf die Tanzfläche stürmten und rhytmisch ihre Schädel bewegten.

Mir war warm geworden; ich brachte mein Jacket zur Garderobe und besorgte mir einen nicht unbedingt deliziösen Orangensaft. Dabei begegneten wir M, einem Kerl, den wir damals mit zum Cradle Of Filth Konzert mitgenommen hatten. Er war unverständlicherweise wegen der Project Pitchfork Sache hier anwesend und nahm auch an der für mich uninteressanten [Was soll ich denn mit kostenlosen PP-Cds?] Verlosung teil.

„Wie hieß der Sänger von Projekt Pitchfork nochmal?“, fragte mich G.
„Keine Ahnung.“
„Peter.“, meinte G, „Peter irgendwas.“
„Das hätte ich dir auch sagen können.“, lachte ich.

Auf dem Mainfloor traf ich noch D. Besser: Sie traf mich. Sie war mir schon vorher aufgefallen, doch nun sprach sie mich an.
„Hey, hast du nicht irgendwann mal vorgelesen?“, fragte sie mich, bezog ich sich wohl auf meine Lesung im letzten Jahr. Innerhalb von Sekundenbruchteilen erinnerte ich mich.
„Und hattest du nicht ein ‚Immortal‘-Auto?“, konterte ich.

Sie – mit mittlerweile etwas veränderter Frisur – trank Red Bull [Der widerliche Geruch störte mich ein wenig.] und wir quatschten ganz nett. Ich gab ihr die Adresse meiner Heimseite, die sie wohl vermißte, und wies sie auf mein Weblog hin. Dann beschlossen G und ich, nochmal den Metal-Floor aufzuchen. Gerade zur rechten Zeit, denn es lief Eisregen mit „Scharlachrotes Kleid“. Schon wieder Eisregen. Wundervoll.

Irgendwann beschlossen wir zu gehen. Ich traf D erneut, und sie verabschiedete sich, wollte auch der Factory entweichen. Ich holte mein Jacket, und wir begaben uns zur Straßenbahnhaltestelle. Es hatte geregnet, nieselte noch immer. Die Luft war angenehm warm.

Die Bahn traf pünktlich ein, und wir setzten uns.
An der nächsten Haltestelle stiegen mehrere punkig anghauchte Typen an, kamen wohl gerade vom Upgrade-Festival, waren allesamt mit Bierflaschen bestückt, angetrunken und aggressiv gelaunt. Einer der Anwesenden hatte wohl eine ebenfalls anwesende Dame geschlagen, was dementsprechende Folgen hatte. Sie schubsten sich, warfen sich Beleidgungen an den Kopf, stürzten in die drei herumstehenden Fahrräder.

„Vielleicht hätten wir uns woanders hinsetzen sollen.“, meinte G.

Die Meute schaffte es, sich auseinanderzuklamüsern. Der Älteste von ihnen, in einen hübschen Schottenrock gehüllt, ging dazwischen. Die beiden Hauptstreithähne nahmen Abstand voneinander, doch die Stimmung war weiterhin gereizt, vor allem, weil sich alternative Streiter gesucht und gefunden hatten und gegenseitig angifteten. Erneutes Schubsen hatte erneute Rangelei zur Folge.

Der rocktragende Friedesstifter vermochte diesmal nicht dazwischenzugehen, als die Streitenden sich gegenseitig aus der gerade haltenden Straßenbahn stießen und draußen halbherzig zu schlagen begannen. Viel mehr hatte er sich selbst mit einem der anderen in der Wolle, war aus mir unerklärlichen Gründen zum Aggressionsmittelpunkt geworden.
Der Rest der Meute leistete ihnen Gesellschaft, stand aber teilweise in der Straßenbahntür, so daß diese sich nicht schließen und die Bahn daher nicht weiterfahren konnte. Das war unschön, würden wir dadurch die Anschlußbahn am Umsteigeplatz verpassen.

Ich stand auf, bat die beiden Türsteher aus- oder einzusteigen. Freundlich teilten sie mir mit, daß sie doch – ebenso wie ihre Kumpels – mit dieser Bahn mitfahren wollten. Ein großer, beleibter Kerl mit Kopfhörern im Ohr und langen Haaren kam angestiefelt und schubste die beiden nach draußen, wütende Worte formulierend, die seinen Heimfahrtswunsch ausdrückten. Die beiden sammelten ihre Leute ein und steigen zu. Oder auch nicht. Ich verlor langsam die Übersicht. Auf jeden Fall stiegen welche ein. Einer von ihnen war der Kampfkumpane des Schottenrockmannes. Die andere Partei, also auch der Rockträger, blieb draußen, und die Bahn fuhr endlich weiter.

Alles gut? Von wegen. Irgendeiner der Assi-Punk-Deppen, genauer: der Rockträger, warf eine Bierflasche gegen die gerade geschlossene Tür. Das Glas splitterte. Der im Inneren der Bahn stehende Kampfgegner war empört, erbost, zog kurzerhand die Notbremse, drückte die zersplitterte Scheibe nach außen. Er wollte raus, weiterkämpfen oder wasauchimmer. Die Tür ging auf, er stürmte hinaus. Die Schlägerei ging weiter.

‚O nein.‘, dachte ich, und wir beschlossen kurzerhand, auch auszusteigen. Die Fahrerin informierte schon die Polizei, die uns auch mit Blaulicht entgegenkam, als wir ein paar Meter gelaufen waren.

„Wie kann man so dumm sein?!“, regte ich mich auf.
G äußerte Bedenken, weil er als gelernter Erst-Hilfe-Leister möglicherweise verletzte Personen, die Verlierer des Kampfes, vernachlässigt hatte.
„Willst du zurück?“, fragte ich.
Er schüttelte mit dem Kopf.

An der nächsten Haltestelle stellten wir fest, daß wir noch immer eine Chance hatten, unsere Bahn zu erreichen. Schön. Die Assi-Punks gingen uns aber nicht aus dem Kopf.

Mein Telefon klingelte. A, meine Mitbewohnerin hatte mich soeben gesehen, ein Auto organisiert und offerierte nun die Möglichgkeit, heimgefahren zu werden. Klasse, dachte ich. Wir sollten uns allerdings beeilen.

Und wieder rannten wir. Zum dritten Mal an diesem Abend. A stand mit F dort, einem ihrer Freunde. Und plötzlich stellte sich heraus, daß F und G auch sehr gut bekannt waren. Verrückt [wie G sagen würde]!
Der Autofahrer kam und fuhr uns heim. F und G tauschten Telefonummern aus und verabschiedeten sich. Dann verabschiedeten sich auch G und ich. G lief durch das Dunkel nach Hause, während ich mit A die Treppenstufen hinaufstürmte.

Als ich, bereits im Bett liegend, vier Seiten mit Stichpüunkten über das Geschehene füllte, wurde es draußen langsam hell.

‚Was für ein verrückter Abend!‘, dachte ich, legte den Stift weg und schlief ein.

Filmkritik oder: Bubbles vs. Samara

Hin- und hergerissen zwischen den Optionen, ins Kino zu gehen oder eine DVD zu entleihen, versuchten G und ich, etwas Zeit in den ansässigen Musik- und Filmwarenläden zu vertreiben, hatten wir uns doch schon fast dazu durchgerungen, gegen 20 Uhr „The Ring 2“ betrachten zu wollen. Eine schwere Entscheidung in Anbetracht der Alternativen „Königreich der Himmel“ und „Die Dolmetscherin“, da uns keiner der drei Filme – und diese repräsentierten die auswählbaren Gutfindmöglichkeiten unter dem ganzen wenig überzeugendem Filmangebot des Lichtspieltheaters – wirklich anzusprechen vermochte. Mittels eines raffiniert ausgeklügelten Punktesystems kürten wir „The Ring 2“ [bzw. „o2“, wie ich ihn nannte] zum Sieger, verloren allerdings die prinzipielle Entleihbarkeit von DVDs nicht aus den Augen. Allerdings sei erwähnt, daß die letzten Videotheksbesuche stets in einer „Vom-Schlechten-Das-Beste-Nehmen-Müssen“-Auswahl geendet hatten, weswegen wir diesbezüglich Vorsicht walten ließen.

Kurz und gut. Sowieso inmitten der Innenstadt verweilend, neigten wie dazu, dem erwählten Kinofilm den Vorzug zu geben. Es war halb acht, und mit einiger Überzeugung wußten wir zu behaupten, daß Kinofilme stets gegen 20 Uhr begonnen wurden, was uns die Möglichkeit gab, noch ein wenig schlendernd durch die erwähnten Läden zu streifen.
„Sag mir, daß ich nichts kaufen will, wenn ich etwas kaufen will.“, forderte ich G auf, überfällige Sparmaßnahmen einleitend.

Im „Müller“ druchstöberten wir Metal-CDs, einigten uns auf die Negativität der Monotonie der musikalischen Ergüsse von Dark Throne, amüsierten uns über ein Ozzy-Album, das diesen als düsteren Prinzen betitelte, lauschten einem schrecklich unguten HIM-Liveauftritt und verliefen uns dann in die DVD-Abteilung. [Amüsant: „From Hell“ für 6,66 Euro.]
Plötzlich: Eine Entdeckung. „The Powerpuff Girls Movie“ für nur 4,95 Euro! Das konnte doch nicht wahr sein! Sowohl G als auch ich waren schon längst bekennende Anhänger der süßen kleinen Zeichentrickfigürchen, hatten unabhängig voneinander zu dieser Serie gefunden und waren voller Faszination an ihr hängengeblieben. Besonders Bubbles, das niedlichste der drei Powerpuff Girls, hatte es uns angetan.
Erst vor kurzem hatten wir erfahren, daß es einst einen Kinofilm gegeben haben mußte, wollten aber amazon.de für derartige Albernheiten kein Geld in den Rachen werfen. Doch nun begegneten wir dem Film, begegneten wir einer DVD der entzückenden Powerpuff Girls, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, den Tag noch vor dem Schlafengehen zu retten.

Der Preis 4,95 Euro überzeugte uns, und wir nahmen die DVD mit. Zwei finster gewandete Mitzwanziger mit einem knuffigen Zeichentrickfilm in der Hand – Grund genug für eine verhüllende Plastiktüte.

Nun aber konnte „o2“ beginnen. Wir stiefelten zum Kino, in die Eingangshalle, betrachtetenden die Vorstellungsausweisenden Monitore. „The Ring 2 – 22.45 Uhr“. Mist.
Es war zehn vor Acht. Ein Zeitplan mußte her:
Kurzer Abstecher zu real. Spätestens 20 Uhr raus. Straßenbahn erwischen. Heimfahrt. 20.30 Uhr. Fernseher organisieren. Powerpuff-DVD schauen. 22 Uhr. Zum Kino fahren. 22.30 Uhr. Perfekt.

Nur widerwillig rückte meine Mitbewohnerin ihren Fernseher raus, wollte sich an der Filmbetrachtung beteiligen, zog sich dann aber zurück, als sie von den „Powerpuff Girls“ hörte. Sie kannte die Serie nicht, kannte nicht ihren Reiz, doch fehlte ihr die Neigung zu Zeichentrickfilmen im allgemeinen.

Der Film war klasse. Bubbles wundersüß. Sicherlich beinhaltete der Film nicht viel mehr als eine Serienepisode in Spielfilmlänge, doch war er maßgeblich wichtig für alle Freunde der Powerpuff Girls, wurden doch die Anfänge erläutert, die Zusammenhänge zwischen Mojo Jojo, der früher nur Jojo war, und dem Professor, die Ursache der Entstehung der Sternwarte auf dem Vulkan, die Mojo Jojo als Domizil dient, ja sogar die Einrichtung des Notfalltelefons [mit großen Kulleraugen und einer rot blinkenden Nase].
Ja, es war ein Film für Kinder [FSK ab 6], wenngleich einige Szenen doch erstaunlich brutal waren [für Kinder, meine ich]. Ja, es gab keine tiefsinnig-philosophische Handlung. Ja, es war „nur“ ein zeichentrickfilm.
Aber er war toll, niedlich, überzeugend.
Und als hätte das nicht gereicht, gab es auch noch wenige, aber exquisite DVD-Extras zu bewundern. Insbesondere die Interviews mit den „Darstellern“ waren äußerst amsüsant…

Doch ich schweife ab.
Ich brachte den Fernseher zurück, so daß meine Mitbewohnerin sich noch in den Schlaf flimmern lassen konnte, und wir begaben uns zum Kino.
Bepackt mit Tortilla-Chips betraten wir Saal 2. Er war leer – und sollte auch während des gesamten Films nur von uns beiden besetzt sein. Unheimlich.

Die unangenehmen Produktinformationen überbrückten wir, in dem wir versuchten, möglichst schnell zu erraten, welche Ware beworben wurde. Aus diesem Spiel ging allerdings kein eindeutiger Sieger hervor. Es folgten die üblichen Filmtrailer und dann – endlich – der Film.

„The Ring 2“ war langweilig, öde, voraussehbar. Nicht spektakulär, für einen Horrorfilm mit erstaunlich wenig Schreckmomenten bestückt. Das Mädchen aus dem Bbrunnen hatte seinen Grusel verloren. Nur der komische kleine Junge, der eigentlich auf der guten Seite stand, war mir unsympathisch.

Insoweit es sinnvoll ist, über Horrorfilmhandlungen zu meckern, will ich das hiermit praktizieren. Schließlich war zwar die Heldin des Filmes so schlau gewesen, nach tiefergehenden [in Teil 1 nicht erfaßten] Ursachen des Horrors zu forschen, gab sich aber schnell mit halben Ergebnissen zufireden, die einen dritten Teil ahnen ließen. Auch agierte sie absolut widersprüchlich [„Ich rette das Mädchen aus dem Brunnen, indem ich sie freilasse, dann sehe ich, was ich angerichtet habe, opfere meinen Sohn, der dann aber doch weiterlebt. Ich muß festsellen, daß das Mädchen aus dem Brunnen – Samara [Der Name erinnerte mich übrigens die ganze Zeit an einen alten Lada.] – auch noch weiterspukt, so daß ich als Heldin und Mami gezwungen bin, mich selber zu opfern, im Brunnen lande, mich zur Verfügung stelle, es mir dann aber doch anders überlege, abhaue und Samara genauso einsperre, wie es ihre Adoptivmutter einst tat – und damit zur Fluchkreation beitrug.“] und albern.
Einzig der Samara-Brunnenwand-Kletterstil war erwähnenswert positiv.

Wir verließen das Kino mit entsprechender Enttäuschung, stellten fest, daß um diese Uhrzeit auch keinerlei öffentlicher Personennahverkehr als wegverkürzendes Transportmittel zur Verfügung stand, und liefen nach Hause, innerlich besänftigt durch das Wissen, zwar mit „o2“ einen miesen, ab mit „The Powerpuff Girls Movie“ einen wirklich guten Film gesehen zu haben.

Und wieder haben die Powerpuff Girls den Tag gerettet…

„Hi!“

G hat, wie viele Deutsche heutzutage, einen Computer, nicht sonderlich alt, aber auch nicht sonderlich neu. Da Windows ein Betriebssystem ist, das mit allerhand Kokolores ausgestattet ist, nahm ich mir einst die Frechheit heraus, mittels des an den Rechner angeschlossenen Mikrophons neben Gitarrenklängen und Gesangversuchen ein lächerliches „Hallo.“ aufzunehmen, das klang, als würde ein kastrierter Zehnjähriger mit hoher Stimme sehr schnell und vor allem undeutlich irgendeine beliebige Begrüßungsformel murmeln. Man erkannte mich nicht, glaube ich. Um G zu ärgern erfreuen, initiierte ich in einem Moment seiner körperlichen Abwesenheit, daß eben jenes „Hallo.“-Geräusch die zukünftige akustische Startsequenz seines Rechners werden sollte. Als Herunterfahrklang wählte ich ein „Chrrrrrrr“ [mit gerolltem R] aus, das zwar aus Gs Mund stammte, aber klang, als hätte es der Sänger/Grunzer/Schreihals Dani Filth von der Musikgruppe Cradle of Filth ausgestoßen. Wahrlich genial. Und so erfreute ich mich jedesmal, wenn der Rechner hoch- oder runterfuhr, der genannten Geräuschkulisse.
Neulich gestand mir G, daß sein Kumpel das Runterfahrgeräusch verändert habe. Nun ertönt ein „(Gähn), müüüde.“. Kein Ersatz für ein ordentliches „Chrrrrrrr“, dachte ich und erkundigte mich besorgt nach meinem geliebten „Hallo.“. Das existiere noch, versicherte mir G. Ich war besänftigt, mußte sogar lachen, als mir G gestand, er würde jedesmal, wenn er das „Hallo.“ hörte, also bei jedem Anschalten des Rechners, zurückgrüßen.
Eines Tages verweilte ich bei G, fuhr den Rechner hoch.
Ich lächelte, als ich mich selbst erkannte: „Hallo.“
Doch aus der Küche, zwei Zimmer weiter, vernahm ich G, rufend: „Hi!“
Ich war verblüfft.