Über die Schwierigkeiten des Musikmögens

Musik zu hören, ist nicht einfach. Selbst wenn man es geschafft hat, über Jahre hinweg, geprägt von Eigenneugier, Freundesrat, Medienmeinung und Zufall so etwas wie einen Geschmack zu entwickeln, wenn man ungefähre Aussagen darüber treffen kann, welche Musikformationen und Stilrichtung man bevorzugt, stößt man immer wieder auf Zweifel fördernde Hindernisse.

Ich beispielsweise bin bekennender Bevorzuger unheller Metallmusik und neige auch dazu, entsprechenden Konzerten und Tanzveranstaltungen Besuche abzustatten. Doch selbst die nicht eben populärste Musikgattung des Metals ist so sehr angehäuft mit eigenen Stilrichtungen und Unterstilrichtungen, dass ein Überblick undenkbar erscheint. Sicherlich, da gibt es die Großen, deren Namen jeder einigermaßen Eingeweihte kennt, deren Klangkonstrukte man leicht zuordnen kann, die zuweilen Kultstatus schufen und Nachahmer fanden. Doch nicht alles, was Erfolg hat, ist gut, und wenn man sich einmal für Musik entschieden hat, die nur selten in Verkaufscharts Erwähnung findet, wird man seiner Halbignoranz gegenüber Massentauglichem nicht ausgerechnet hier ein Ende setzen, hier, wo ohnehin jeder landet, der etwas mit Metal zu tun hat. Cannibal Corpse und Metallica zu erwähnen, vermag jeder. Und niemand will wie jeder sein.

Also gilt es, sich zu spezialisieren. Das geschieht glücklicherweise größtenteils automatisch, kann man doch mit angenehmer Sicherheit darüber urteilen, was einem zusagt und was nicht. Und allein die immer leichter werdenden Möglichkeiten, Musik zu entdecken sorgen für ein unüberschaubar großes Angebot potentieller Gutfindklänge. Hinzu kommen die Bands, die man kennt und mag, die hin und wieder neue Werke herausbringen, die ihren Stil ändern, mit ähnlichen Klingenden auf Tour sind und so neue Eindrücke erwirken. Hinzu kommen Bekannte und Szeneseiten, die allesamt andere Erfahrungen machen und diese teilen wollen, die Begeisterung erfahren und zu vermitteln versuchen, die von Neuem und Altem berichten und dafür sorgen, dass der eigene Geschmack einer steten Veränderung und Erweiterung unterzogen wird.

Inmitten aller potentiellen Lieblingsmusiken diejenigen zu entdecken, die es tatsächlich werden, ist aufwändig, nicht zuletzt auch, weil diverse Werke erst einige Beschäftigungszeit brauchen, ehe sie sich dem eigenen Wohlempfinden öffnen. Und als fairer Musikmöger sollte man diese Zeit tatsächlich investieren und nicht prinzipiell nach 30-sekündiger Saturn-Standardreinhörzeit darüber urteilen, ob die gehörte Band für alle Zeit der Verdammnis zuzuführen sei. Im Metallmusikbereich sind schließlich Liedlängen von über fünf oder gar über zehn Minuten keine Seltenheit und lassen ein kurzes Reinhören zur Lächerlichkeit mutieren.

Verständlich ist es jedoch, wenn man nicht gewillt ist, diesen Aufwand zu betreiben, wenn man sich einfach das zu Gemüte führt, was andere ohnehin hören, weil sich das ja schließlich schon bewährt hat. Dass die Grenzen für Gutmusik jedoch selbst bei prinzipieller Übereinstimmung stark differieren können, wird dabei vernachlässigt.

Ich selbst versuche, Mittelwege zu gehen, versuche, Beliebtes zu vernehmen und die Begeisterung dafür nachzuempfinden, selbst wenn ich im ersten Moment der Ansicht bin, dass ich nie und nimmer mit diesen Klängen Freund werden möchte. Je ausgeprägter jemandes Begeisterung für eine Musik ist, desto eher bin ich bereit, meine Vorurteile zu ignorieren und der Quelle der Euphorie nachzuspüren.

Zugleich bemühe ich mich aber auch, eigene Nachforschungen anzustellen, Bands zu finden, die musikalisch ähnliches Schaffen erwirken wie jene, die ich bisher mochte, oder auch anderen, die aus irgendeinem Grund meine Aufmerksamkeit erregen, mein Gehör zu schenken. Die Ausbeute ist dabei vergleichsweise gering, und nicht selten erschüttert es mich, wie häufig sich die Geschmackswahrnehmungen unterscheiden. Es ist wohl unmöglich, jemanden zu finden, dessen Musikbevorzugung mit der eigenen identisch ist. Doch das sollte wohl auch nicht das Ziel sein.

Mein Ziel ist es, Musik zu finden, die mir gefällt, die mich bewegt. Und selbst wenn ich es nicht immer verwirklichen kann, versuche ich doch auch zu Musikgruppen, die eigentlich als peinlich gelten, zu stehen, wenn sie mir gefallen. Denn der eigene Geschmack sollte einem eigentlich nicht peinlich sein.

Das jedoch fällt schwer, sobald ich mich auf einer Musik- und Tanzveranstaltung inmitten von Menschen befinde, die ebenfalls „Metal“ auf ihre „Ich-hab-dich-lieb“-Liste schrieben. Denn schnell wird deutlich, dass die Anzahl der Überschneidungen gering ist im Vergleich zur Anzahl der Unterschiede. Hurra, denke ich, nicht nur ich mag es, zu Iced Earth mein Haupthaar zu schütteln, doch schon beim nächsten Lied, wenn alle außer mir auf der Tanzfläche bleiben, wird offensichtlich: Nicht nur der Geschmack unterscheidet sich, auch der Wissensstand. Es existieren selbst in spezialisiertesten Stilrichtungen so viele, oft gut anhörbare Musiken, dass es eher in Zufälle ausartet, kennt man tatsächlich dieselbe Band wie der Nebenmann. Oder es handelt sich eben um eine jener Bands wie Iced Earth, die bereits Erfolge feierte, zahlreiche Alben herausgaben, mehrfach die Bandbesetzung wechselten und sich einen Status erwarben, den abzusprechen es schwer fallen wird. Wer Iced Earth nicht kennt, verweilt noch nicht lange genug in der Metalszene.

Der erste gemeinsame Nenner ist also der Mainstream. Selbst wenn man bei vielen Bands, die außerhalb der Zottelhaarszene kaum jemand kennt, nicht unbedingt von solchem spricht, ist die Anzahl verkaufter Platten für den DJ doch ein gewisser Garant dafür, dass die Tanz- und Bangfläche nicht unbesetzt bleibt.

Ein weiterer Garant ist – natürlich – der DJ selbst, der dazu neigt, bestimmte Titel jedesmal zu spielen, sobald er die Musikauswahl treffen darf. Mit der Zeit neigt das Stammpublikum dann dazu, diese vielleicht unbekannten Klänge zu erfragen, sich an sie zu gewöhnen und sie schließlich in ihr Herz aufzuethmen. Sie werden Anlass, sich auszutoben, obwohl sie nur einen Vorteil gegenüber anderen, ähnlichen Musiken erwirkten, weil der Auswähler sich für die Wiederholung entschied.

Der dritte gemeinsame Nenner ist überall findbar: der Klassiker. Ich vermeide bewusst das Wort „Kult“, weil ich es verachte, doch dürfte klar sein, was ich meine: Musik, die alt genug ist, dass wirklich jeder sie einigermaßen zuzuordnen und mitzusummen vermag; Musik, die nur eines ausreichend gefallenen Hemmungsniveaus bedarf, um ausgelassen zu ihr in Bewegung zu fallen. Schließlich kennt man sie längst, und es dürfte nicht das erste Mal sein, dass man feststellt, dass es sich eigentlich um ein wirklich gutes Lied handelt – selbst wenn sich das bei niedrigerem Euphorielevel als fragwürdig erweist.

Es existiert noch eine weitere Option, die garantiert, dass sich zumindest ein Kunde freut: der Wunschtitel. Nur zu leicht scheint es zu sein, an das erhöhte Pult heranzutreten und – aufgrund der Hintergrundlärmerei schreiend – auf den einen oder anderen Titel zu verweisen, der in heimatlichen Gefilden das eigene Wohlwollen fand. Doch leider scheint es der Regelfall zu sein, dass DJs ihre Auswahlhoheit nicht angegriffen wissen wollen, dass sie also meinen, der Titel würde im Augenblick nicht in den Ablauf passen und den Wünschenden auf ein – möglicherweise nicht existierendes – Später vertrösten. Beschwert man sich beim nächsten Diskothekenbesuch, so findet der Abspielverweigerer eine einfache Entschuldigung: Er habe den Titel doch gespielt, nur man selbst sei wohl nicht mehr anwesend gewesen.

In Anbetracht des umfangreichen Musikfeldes, das das vereinigte Titelwissen der Tanzveranstaltungsbesucher bildet, ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass mir bereits häufiger vom DJ mitgeteilt wurde, dass mein Wunschtitel nicht in seiner Sammlung verfügbar sei. Zugleich ernte ich einen Blick, der mir sagte, dass es nicht empfehlenswert sei, die Allmacht des Musikabspielers in Frage zu stellen – und dass das, was ich mag, für jeden echten Metaller einfach nur peinlich ist.

Und so sitze ich dann mitten in der Nacht in einer Metallmusikdiskothek und warte auf irgendetwas mir Gefallendes, zu dem ich meiner Zuneigung durch Bewegung Ausdruck verleihen kann. Wenn ich später nach Hause fahre, stelle ich fest, dass die Stunden vergingen, ohne dass der DJ meinem Geschmack ansatzweise gerecht wurde. Und dennoch habe ich mich amüsiert. Ja, ich habe die Klassiker gemieden, aber empfand sie trotzdem als angenehm. Und bis auf ein paar Ausnahmen habe ich auch darauf verzichtet, zu Klängen zu headbangen, die der DJ jedes Mal spielt – schließlich bin ich kein Teil des Stammpublikums und kenne die Interna nur ansatzweise. Die bekannteren Titel hingegen habe ich allesamt mitgenommen, sobald sie meinen Musikvostellungen ungefähr entsprachen. Und während ich mich offensichtlich darüber freute, gute Musik zu vernehmen und dabei nicht reglos in den zerfetzten Ledermöbeln zu sitzen, schämte ich mich ein wenig, weil ich doch nur Teil der Masse war, die das gut fand, was alle mochten.

Es ist längst hell, als ich endlich ins Bett gehe. Meine Ohren fiepen, und meine Haare stinken. Und als ich den Abend Revue passieren lasse, bemerke ich, dass er mich – wie immer – zugleich enttäuschte und erfreute.