Stuttgart

Stuttgart schafft es, auf eine sympathische Weise hässlich zu sein.

Der vorangegangene Satz entspricht keineswegs der Wahrheit, sondern nur dem Eindruck, den die bawüer Landeshauptstadt innerhalb von fünf in ihr zugebrachten Stunden auf mich machte, fünf Stunden, von denen ich eine halbe Stunde auf dem Hauptbahnhof, eine halbe in der S-Bahn und ein Großteil des Rests in einem Bürogebäude der zahlreichen Stuttgarter Vorstädte zubrachte. Das Stuttgart, das ich kenne, fliegt an unsauberen Fensterscheiben vorbei oder befindet sich über von mir gerade befahrenen Tunneln.

Sicherlich: In der Ferne erheben sich die Bergbauten, wildromantisch an den Hügel geklebt. Doch die Bergigkeit Stuttgarts ist mir bekannt, und dass sie keinen sonderlich euphorischen Ruf genießt, ebenfalls. Sicherlich: Hier und da entdeckte sogar ich auf meinem äußerst kurzen Kurzbesuch Gebäude, die wohl höheren architektonischen oder kunsthistorischen Wert besaßen, doch überwog die Zahl der Bauten, von denen mir zwar das beschreibende Adjektiv „uninteressant“], nicht aber das Aussehen in Erinnerung blieb.

Steigt man am Hauptbahnhof aus, wähnt man sich in kleinstädtischen Gefilden. Zu winzig scheint das Bahnhofsgebäude zu sein, um den Landeshauptstadtbewohnern Fernreisestation zu sein. Zudem schenken überallige Baumaßnahmen erste Eindrücke von Stuttgarts Hässlichkeit: Sie stören nicht, doch sind vorhanden. Auch die Bild möchte den Häßlichkeitsbrei mitmischen, und stellt einen unansehnlichen Audi-SUV als gewinnbar zur Verfügung – eine Masche, auf die normalerweise nur weltfremdeste Ueckermarkbewohner hereinzufallen pflegen.

Immerhin beeindruckte mich Stuttgart mit der Leichtfindbarkeit von eigentlich fast allem. Selbst als ich bewusst beschloss, bereits an der Haltestelle „Stadtmitte“ die S-Bahn zu verlassen und durch die Innenstadt zu irren, ohne einen Stadtplan erworben zu haben, gelang es mir nicht, mich zu verlaufen. Und nicht nur das; ich fand auch immer zur gerade verlassenen Haltestelle zurück, bis ich irgendwann aufgab, mich wieder in eine S-Bahn setzte und die eine Haltestelle zurück zum Hauptbahnhof fuhr, während die bilingualen Lautsprecherdurchsagen mit ihrer sympathisch-deutschen Akzentuierung mich zu erheitern vermochten.

Denn so war es in Stuttgart: Nichts wirkte überzeugend oder beeindruckend, und doch fühlte ich mich nicht gestört, nicht aufgewühlt ob irgendwelcher Hässlichkeiten, nicht beleidigt aufgrund dessen, was ich sah oder gar roch. Stuttgart war nicht schön, ja unschön, und wirkte es auf seltsame Weise angenehm, sympathisch. Wie ein alter Terrier vielleicht, der keine Schönheitskonkurrenz mehr [um mal einen Monopoly-Begriff einzuflechten, den ich noch nie in anderem Umfeld vernahm] aber dafür noch immer das Herz älterer Damen und spielender Kinder gewinnen wird. Nur dass jene Damen und Kinder in Wahrheit Anzugträger waren, die sich überall in der Innenstadt antreffen ließen. Und selbst das störte mich nicht – vielleicht weil ich an meinem Besuchstag einer von ihnen war.

Die Bezeichnung „Stadtmitte“ war irreführend, nicht auf die bösartige Märchenwald-, sondern auf die unzufriedenstellende Art. Sicherlich: es gab Fußwege und Geschäfte, wie man sie in jeder Stadt zu finden vermag. Es gab schlendernde Menschen und zahlreiche Methoden, sich ohne anzuhalten Essen in das Gesicht zu stopfen. Doch das war auch alles.

Ich landete in einer Passage, die exquisit zu sein schien, wagte kaum, die Auslagen zu beschauen, aus Angst, als neidischer Schaufensterossi zu gelten, und ich fand zwei Dönerläden, die auf den ersten Blick völlig anders aussahen, als ich Dönerladen kenne. Doch das war auch alles.

Ich sitze im Zug, fahre heim, versuche, Stuttgarts fehlende Schönheit als negativ zu erachten, doch kann es nicht. Aus irgendeinem Grund mochte ich diese Stadt. Vielleicht weil mir nicht ein einziger unfreundlicher Mensch begegnet war. Vielleicht aber auch, weil ich alte Terrier mag.