MiSt- Kunstmuseum Stuttgart

Raus, war es, was ich wollte. Kultur, um genau zu sein.

Ich war gerade frisch nach Stuttgart gezogen und hatte noch nicht viel gesehen von der Welt, die mich nun umgeben würde. Sicherlich: Die Königsstaße hatte ich bereits bevölkert und sowohl das Schloss betrachtet, als auch diverse Geschäfte heimgesucht. Sogar mit dem Wald in direkter Nähe zu meiner neuen Wohnung hatte ich bereits Bekanntschaft gemacht.

Doch das war es bereits, und ich hatte guten Grund, mich mehr wie ein Tourist als wie ein nun hier Wohnender zu fühlen. Guten Grund, um mein Unwissen der Neugierde auszuliefern, die mich in der Fremde stets befällt. Ein Ziel musste her, ein hochwertiges. Ein Ziel, das dem Touristengefühl frönte und zugleich nicht nur für Auswärtige aufgestellte Beschau-Attrappe war, ein Ziel, das mich aus meiner Wohnung und den zwar abnehmenden, aber trotzdem noch immer existenten Umzugskistenstapeln befreien und meiner neuen Heimat näherbringen würde.

Ich fragte wikipedia nach Stuttgarter Besehenswertem, fand die Erwähnung eines Kunstmuseums und in diesem die Ausstellung „Drei. Das Triptychon in der Moderne„, die noch bis zum 14.6. laufen würde. Ich gebe zu, dass dieser Titel mich nicht sonderlich fesselte, mich schon nicht sonderlich interessiert hatte, als er mir irgendwann zuvor auf einem Plakat begegnet war. Dennoch war der Gedanke, bildlicher Kunst frönen und gleichzeitig eine Stuttgarter Sehenswürdigkeit kennenlernen zu können, einer, der mich begeisterte.

Das Kunstmuseum ist so unübersehbar, dass ich es schaffte, in der vergangenheit bereits mehrmals unwissend daran vorbeigegangen zu sein – und es auch diesem Tag ohne mein Ziel zu finden zu passieren. Das war nicht unlogisch. Zwar befindet sich das Gebäude direkt an der Königsstraße, direkt am Schlossplatz, ist neu und allein aufgrund seiner Würfelform und seiner gläsernen Außenwand auffällig genug, um einheimische und touristische, möglicherweise kritische Blicke auf sich zu ziehen – doch ist es auch mit einem Café bestückt, dessen Ausläufer sich selbst bei wintersten Temperaturen ins Freie, auf die Königsstraße wagten und mich von der Existenz eines Museums ablenkten.

Letztlich begriff ich doch, ging am Café vorbei in Richtung Kasse, entdeckte dann die Garderobe, entledigte mich – so weit ich mich erinnere, kostenlos – meiner Frostschutzkleidung, bezahlte dann die zehn Euro Eintritt, welche allerdings auch für die ständige Ausstellung moderner Kunst galten, und erhielt neben einer Eintrittskarte einen winzigen Aufkleber, der mit dem Wort „Kunst“ bedruckt war. Nette Idee, dachte ich vergnügt, doch stellte alsbald fest, dass diesem Aufkleber eine Funktion innewohnte: Man klebte ihn auf den eigenen Leib, um sich somit als Ausstellungsbesucher zu kennzeichnen und den herumstehenden musealen Fachkräften die unsympathische Eintrittskartenkontrollierarbeit abzunehmen.

Das Erdgeschoss und die dortige Dauerausstellung ignorierte ich ebenso wie das Tiefgeschoss, in dem es wohl auch noch etwas zu sehen gab. Ich spurtete die Treppenstufen hinauf und hatte Gelegenheit, die Architektur des Gebäudes zu bewundern. Denn das tat ich wirklich.

Obwohl mir bauhausige Stile, also nackte Wände und dergleichen, oftmals nicht so behagen und ich daher weder im Dessauer Bauhaus noch in der neugebauten Magdeburger Universitätsbibliothek jemals ästhetisch Beeindruckendes sah, war ich hier angetan von der Kargheit, die sich mir zeigte. An die gläserne Außenwand schmiegte sich auf jeder Etage ein Gang, von dem aus eine wunderschöne Sicht auf Königsstraße und Schloßplatz geboten wurde. Der Gang trennte das Äußere vom Inneren, und das Innere bestand wiederum aus einem Quader, roh verputzt und durch sich selbst öffnende Türen zu begehen.

Der Plural in „Türen“ bezieht sich dabei auf die verschiedenen Etagen, nicht auf eine einzelne. Denn zwar war es stets möglich, den Ausstellungsquader durch einzelne, sich sanft öffnende Türen zu verlassen, doch das Betreten war stets nur an einer von ihnen, logischerweise der sich in der Nähe der Treppen befindliche, möglich.

Als ich durch die Tür in der ersten Etage ging, unsicher, ob ich hier richtig war, wurde ich zunächst auf angenehm unaufdringliche Weise von dem Museumsmitarbeiter gemustert und dann mittels eines Fingerzeigs auf die Stelle meines Pullovers aufmerksam gemacht, an der der erwähnte Aufkleber fehlte. Aus Gründen der Ästhetik und der Sammelwut hatte ich bis dahin auf den Aufklebereinsatz verzichtet, doch gehorsam und entschuldigend lächelnd befestigte ich das kleine bedruckte papierstück nun auf meinem Sweatshirt, direkt neben einen zufrienden grinsenden Fred, so dass es aussah, als fordere er voller Vergnügen Kunst.

Und Kunst bekam er. Die Ausstellung begann mit einem klassischen Triptychon religiösen Ursprungs, vermutlich, um selbst den letzten Unwissenden in das Geheimnis dieses Griechenwortes einzuweihen. Dann folgte schecklicher Kitsch, eine moderne, mit goldener Farbe überzogene Verballhornung des kirchlichen Triptychons und somit zugleich Gegensatz und Entsprechung.

Es gab keine vorgegebene Lauf- und Schaurichtung, doch ich vermutete, dass es üblich war, sich rechts zu halten. Ich bog links ein und erblickte das Kunstwerk, das an diesem Nachmittag zu meinen Favoriten zählen würde – und das, obwohl es nicht einmal vollendet war. Es waren Skizzen zu Otto Dixs Werk „Der Krieg“, in originaler, also beeindruckender Größe und mit ebensolchem Detailreichtum. Ich kannte das Original nicht, doch nun, nachdem ich Bilder davon sah, gefallen mir die Skizzen in ihrer Rohheit, in ihrer Farblosigkeit fast besser.

Ich werde jetzt nicht anfangen, die 58 ausgestellten Triptychen einzeln zu beschreiben, doch sei erwähnt, dass mir die klassischeren Werke eher zusagten als die modernen. Beispielsweise empfand ich die Materialkunst als weniger gelungen. Unguterweise habe ich den Namen meines zweiten Favoriten dieser Ausstellung vergessen, doch waren es „Der Krieg“ und dieses Werk, die mich später noch einmal auf die erste Etage zum erneuten Beschauen lockten.

Als ich den Innenwürfel verließ, musste ich mich erst einmal orientieren. Ich wusste, dass sich die Stufen zur nächsten Etage links von mir hinter der Ecke befanden, doch was war rechts? Konnte man gar einmal um den Innenwürfel herumlaufen? Mein Erkundungsdrang wurde rasch gestoppt, als ich auf ein Treppenhaus stieß, das vermutlich vowiegend Notfällen galt und dementsprechend wahrscheinlich alarmgesichert war. Ich kehrte um.

Mit jeder neuen Etage verjüngten sie die augestellten Werke, je höher es ging, desto näher kam ich der Gegenwart. Die Definition des Triptychons, die in der ersten Etage noch klar erkennbar war, wurde hier immer mehr erweitert und abstrahiert. Sogar Fotoarbeiten und Videoinstallationen war zu sehen.

Max Beckmann gefiel mir nicht so sehr. Umso angenehmer empfand ich es zu erfahren, dass auch ein anderes Werk von otto Dix durchaus zusagte, vielleicht, weil er einen fast comichaften Stil besitzt. George Dyer war gewöhnungsbedürftig, Francis Bacon fand ich gut, obwohl ich mich jetzt nicht mehr daran erinnern kann, warum.

Woran ich mich jedoch erinnere, war der Stil des Kunstmuseums. Passend zur Architektur hatte man sich auf Schlichtheit besonnen. Es gab keine roten Samtkordeln, die verhindern sollten, dass man den Ausstellungsstücken zu nahe trat, sondern nur einfache weiße Linien auf dem Boden. Die Auszeichnungen der Werke befanden sich an den richtigen Stellen, waren simpel, aber ausreichend. Überall standen Bänke herum, in die der Ausstellungsführer auf raffinierte Weise eingelassen war. In wenigen Handgriffen konnte man sich so Zutritt zu zusätzlichen Informationen verschaffen, wenn man denn wollte.

Ich wollte nur selten, vermutlich auch, weil ich das Beschreiben und Deuten von Kunst stets als sehr anstrengend empfinde. Doch war ich auch nicht gekommen, um zu lernen, sondern, um mich visuell beeindrucken zu lassen. Und das schaffte die Ausstellung durchaus.

Als ich letztlich ins Erdgeschoss zurückkehrte, war ich gesättigt. Doch die „Sammlung“, denn so wurde die Dauerausstellung bezeichnet, lag noch vor mir. Und diese widmet sich der modernen Kunst. Allerlei Werke fanden sich hier, und ich muss gestehen, dass ich nicht imstande war, mich ihnen in gebührendem Maße zu widmen. Daran war auch der Umfang Schuld, denn es existierte noch ein Kellergeschoss, das ebenfalls mit Kunstwerken aufwartete, die der Betrachtung harrten.

Beeindruckend waren vor allem zwei Filme. Einer zeigte die Geburt eines Kindes parallel zum Ableben eines alten Mannes im Sterbebett, ein zweiter einen Aktionskünstler in China, der sich als Statue verkleidet unter die Terracotta-Armee mischte und dementsprechend für Aufregung sorgte. Außerdem besuchte ich einen Raum, der komplett mit Bienenwachs verkleidet war und sehr angenehm duftete. Es gab zahlreiche Fotos zu betrachten, doch hatte ich dafür keine Nerven mehr.

Die Dauerausstellung ließ den erwähnten schlichten Stil der oberen Etagen ein wenig vermissen. Dennoch weigerte sich das Museum auch hier, einer klassischen Galerie zu gleichen, nicht nur durch erwähnte Filmdarbietungen, sondern auch beispielsweise durch ein monströses Rostkunstwerk, das in regelmäßigen Abständen mit Flammenwerfern bearbeitet wurde.

Besonders schön fand ich, auch hier unten auf Otto Dix zu treffen. Das Stuttgarter Kunstmuseum ist offensichtlich Heimat zahlreicher Dix-Kunstwerke, und ich bekam ausreichend Gelegenheit, den von mir gerade erst entdeckten Maler zu studieren und zu bewundern.

Als ich das Kunstmuseum war ich angefüllt mit Bildern, mit Ideen, mit dem Wunsch, selbst kreativ zu werden und erfreut, nicht nur eine sehenswerte Ausstellung, sondern auch ein Beispiel für erfreulich gute moderne Architektur besucht zu haben.