Zugfahrt

Die Landschaft rauscht an den Fenstern vorbei und klingt nach der Musik in meinen Kopfhörern. Um mich füllen Menschen den Wagon mit Wörtern, doch mein Blick klebt in der grünen Ferne, die stumm grüßend vorüberzieht. Blauer Sonnenhimmel hüllt Bäume und Felder in Pracht, und ein Lächeln entwindet sich mir. ,Ich mag es noch immer.‘, denke ich, während ich inmitten eines Kolosses pfeilgleich durch die Landschaft pflüge und zahllose Hiers in meinen Augenwinkeln aufblitzen.

Eine Frau in 80er-Jahre-Glittershirt sucht auf dem schmalen Gang zwischen den Sitzen ihr Gleichgewicht und geht in Richtung Bordbistro. Als wenige Augenblicke später ein Mädchen aus dem Bistro hinaus an mir vorbeigeht, nistet sich ein alberner Gedanke in mir ein: Was wäre, wenn sich die Frau dort hinten in das Kind verwandelte?
Ein Spiel entsteht, und plötzlich verwandeln sich Schnauzbartmänner in Übergewichtsdamen, stolzierende Rentnerinnen in telefonierende Bierflaschenträger, Polizisten mit Pistolen in schwer bepackte Rucksacktouristen.

,Ich mag es noch immer.‘, denke ich, während mich Bildschirm und Kopfmusik von der Masse trennen, in der ich versank.

Dein Parfüm weht vorbei, klebt an einer Fremden, und mir ist, als säße ein Gestern neben mir, reichte mir ein wohliges Sehnen als Geschenk für die Fahrt durch das Jetzt. ,Danke.‘, schmunzle ich und lasse mich von sanftem Erinnern wärmen.

Auf den Sitzen um mich herum hängen Geschichten, und mich drängt es, sie niederzuschreiben, sie zu erzählen, sie unbedeutenden Details zu entlocken und in Worte zu gießen. Plötzlich hat alles Bedeutung, jede Geste, jedes Kleidungsstück, und regungslos lasse ich mich von den Möglichkeiten überwältigen.

,Ich fahre heim.‘, stelle ich irgendwann fest, und auch, dass ich das Wort Heimat noch immer nicht definierte, dass es in seiner Bedeutung schwankt.
,Vielleicht bin ich es selbst.‘, überlege ich und lasse den Zug meine Heimat durch warmes Abendlicht tragen.