Stern

Auf der Wiese lag ein Stern und keuchte. Grau und unscheinbar lag er da, zwischen Grasbüscheln und Kieselsteinen versteckt, und beinahe wäre ich an ihm vorübergelaufen, hätte es da nicht dieses Keuchen gegeben, das zwischen Grün und Grau zu mir empordrang.
Es war ein Stern, das sah ich sofort, doch er sah elend aus. Die Farbe war aus ihm gewichen, und er hatte Schwierigkeiten, zu Atem zu kommen.
„Hallo.“, sagte ich vorsichtig und näherte mich dem kleinen Stern. Er hustete kurz, und ich begriff, dass er eigentlich „Hallo.“ sagen wollte.
„Geht es dir gut?“, fragte ich überflüssigerweise. Offensichtlich ging es dem kleinen Stern nicht gut. Wenn man es genauer betrachtete, hatte ich noch nie einen Stern gesehen, dem es derart schlecht ging.
Der kleine Stern sah mich traurig an, und der Anblick des kleinen Wesens hätte mir fast das Herz zerrissen.
„Du bekommst keine Luft, oder?“, fragte ich.
Der kleine Stern keuchte zweimal, dreimal, dann begann er zu erzählen. Langsam nur, immer wieder tief atmend, keuchend, hustend.
Er kam von oben, erklärte er mir, vom Sternenhimmel. Und jede Nacht kehrte er dorthin zurück. Jeden Abend atmete er ganz tief ein, sammelte soviel Luft wie möglich und begab sich an den Nachthimmel, um dort zu leuchten und zu strahlen. Und jeden Morgen kehrte er erschöpft auf die Erde zurück, keuchte und hustete und versuchte, neue Luft, neue Kräfte zu sammeln.
„Im Weltraum gibt es wohl keine Luft?“, fragte ich, und der kleine Stern schüttelte mit dem Kopf.
Die anderen Sterne brauchten keine Luft. Sie leuchteten und strahlten, atmeten und lachten, hingen am Himmel und schafften es sogar, tagsüber dort oben zu bleiben. Nur er, der kleine Stern, kehrte immer wieder zurück und musste atmen.
„Aber du atmest fast nicht.“, sagte ich besorgt. „Du keuchst nur.“
Der kleine Stern nickte matt.
Gerade wollte er zu einer Erklärung ansetzen, als es zu regnen begann. Kleine und große Tropfen prasselten auf uns hernieder, plätscherten und klatschten, durchnässten meine Kleidung innerhalb weniger Sekunden. Ein richtiger Regenschauer war das, der da niederkam!
Doch der Stern begann zu leuchten und zu strahlen. Ja, plötzlich gewann er an Farbe, wurde rosa, so wunderschön rosa, wie es nur Sterne zu sein vermögen. Und er lachte, er lachte hell und klar und zauberhaft. Und er atmete, atmete leise und sanft, regelmäßig und ruhig, ohne Keuchen und Huster, atmete inmitten des Regens, inmitten seines eigenen Leuchtens.
Und pötzlich lachte auch ich. Das Regenwasser nahm mir fast die Luft, doch ich lachte. Denn die Lösung war einfach, war einfacher, als man es für möglich gehalten hätte.
„Du bist gar kein Stern!“, rief ich zu dem kleinen Stern, der unter den Wasserfluten noch immer leuchte und strahlte, lachte und atmete.
„Du bist ein Seestern!“
Der Regen ließ nach.
Der Seestern atmete lauter, unregelmäßiger, hustete kurz. Sein Leuchten verblasste.
Rasch griff ich den kleinen Stern, hob ihn auf und rannte zum Strand. Ich ignorierte Ampeln und Menschen, ignorierte Hunde und Wege, rannte einfach nur zum Strand, zum Meer, durch den Sand, hin zu den Wellen, die vor und zurück wogten, auf und nieder immerzu.
„Sie rufen mich.“, keuchte der kleine Stern in meiner Hand und lief rosa an.
Ich nickte, stürmte ins Wasser, bis ich nicht mehr stehen konnte.
Dann hielt ich inne, küsste den kleinen Stern und lächelte.
„Adieu.“, sagte ich und ließ ihn ins Wasser gleiten.
Und kaum hatten ihn die Wellen verschluckt, kaum hatte ihn das salzige Wasser umhüllt, begann er wieder zu leuchten und zu strahlen. Hell und rosa schwamm er davon, und ich wusste, dass er dabei lachte.