1. Mai

Manchmal ist alles ganz einfach: Werfen, Fangen, Glücklichsein.

Am gestrigen Tage schien die Sonne, umgarnte mich, eigentlich um Eifrigkeit bemüht am Schreibtisch sitzend, mit blendendem Licht und der Verlockung eines Parkbesuches. G rief an, und ehe ich mich versah hatte ich seinem Besuch zugestimmt.
Zunächst galt es, technisches Gerät galt es zu besiegen, doch nach anderthalb Stunden, in denen die Sonne unbeeindruckt ihre Pracht durch mein verhangenes Fenster schickte, hatten wir zwar Nötigstes erwirkt, doch noch immer keine Lösungen für das sporadische Funktionieren des Gerätes entdeckt. [Und es ist erwartbar, daß das gerät sich trotz überwiegender Funktionsunfähigkeit bei der Elektronikladenbeschwerdestelle als vollkommen funktionstüchtig entpuppen und G in ein unangenehmes „Dümmster-Anzunehmender-Nutzer“Licht rücken wird.].

Wir gaben und brachen auf, gen Stadtpark, wo einer der üblichen 70er-80er-90er-Und-Das-Beste-Von-Heute-Radiosender zur Maibegrüßungsfeierlichkeiten eingeladen hatte und mit zusätzlicher Oldtimershow und zahlreichen Freß-, Kirmes und Flohmarktbuden Proll- und Rentnervolk unter den freien Himmel lockte. Nein, wir wollten keine Damenunterhosen oder Sonderpreisuhren erwerben oder die bereits überwiegend abgereisten Altautos bestaunen. Wir wollten nicht dem öligen Duft der Donutbude folgen, nicht die besten Schlagerhits aller zeiten aus übersteuernden Boxen tönen hören.

Was wollten wir dann? Schauen. Uns amüsieren. Soziales Verhalten vergleichenden Musterungen unterziehen. Schlendern. Den Sonnnenschein genießen. In den Park gehen.
Wir verfolgten einen Streit mit mäßigem Interesse und stellten fest, daß es zu fortgeschrittender Nachmittagsstunde schwer wurde, zwischen den bereits schließenden Ständen einen noch glimmenden Bratwurstgrill ausfindig zu machen, von Steaks ganz zu schweigen.

„ca. 1/2 Meter Bratwurst“. Ein Schild bewies die typisch deutsche Sachlichkeit: Bevor sich jemand darüber beschweren konnte, daß der halbe Meter Bratwurst kein solcher war [zu diesem Zwecke führt man schließlich immer ein Maßband mit sich herum], hatte der Ladenbesitzer ein vorsichtiges „circa“ hinzugefügt und alle Abweichungen einem Schätzungsfehler in die Schuhe geschoben. Es dauerte eine Weile, bis G seine Bratwurst bekam, der, damit sie in das Baguette paßte, in der Mitte ein zerstörerischer Knick verpaßt wurde. Meinen Steakwunsch begrabend schaute ich dem Nichtgrillenden zu, der monoton Baguettes aufschnitt – eine Arbeit, die ich ihm nur ungern abnehmen würde, weil sie mich zu sehr an Zivildienstzeiten, morgendliches Brötchenaufschneiden und damit verbundene, zahlreiche Handverletzungen erinnerte.

Während wir den Rest des Rummels begutachteten [Das einzig Steakähnliche, das sich finden ließ, war eine Bulette, die mir jedoch nicht zusagte.], schob G sich seine, in Senf ertränkte BraWu in den Kopf. Ich selbst begnügte mich mit einem aus meinem Rucksack gefischten Apfel, sozusagen als gesundheitliches Pendant zur Bratwurst.

Wir schlenderten ziellos durch den Stadtpark, und ich gab mich meinem Erstaunen hin: Vor wenigen Wochen hatte sich all das in Wasser befunden, war überflutet und unzugänglich gewesen. An Bäumen versuchte ich, Hochwasserstandsmarken ausfindig zu machen, was nur unzureichend gelang. Doch wenn das, was ich für die Maximalwasserhöhe hielt, tatsächlich die solche gewesen war, hätten wir an dieser Stelle noch vor Wochen halstief im Wasser gestanden. Beeindruckend.

Zuweilen fand man noch Reste des Hochwassers: Abgestandene Tümpel, deren Existenz schon weitem riechbar war, sumpfige Wiesen und Wege, die uns zu Ausweichmanövern überredeten. Während G einer postwurstigen ziagrette frönte, zog ich die Keulen aus dem Rucksack und wagte, während des gemütlichen Schlenderns zu jonglieren. Es gelang mäßig gut, weckte jedoch Gs Interesse, der sich alsbald mehreren vielversprechenden Keulenwerfversuchen widmete.

Begegnen Menschen Jongleuren, fühlen sich erstere meist zu irgendeiner Reaktion genötigt. Wenn die Jongleure „nur“ Bälle durch die Gegend schleudern, fangen und wieder dem luftigen Weiten vermachen, so herrscht, je nach Professionalität zumeist nur glotzendes Schweigen oder Desinteresse vor. Mit Bällen jonglieren kann jeder.
Erst wenn derer vier oder mehr davon durch die Luft wirbeln oder wenn das jonglierte Muster kein erkennbares mehr ist, setzt das Glotzen ein. Trotzdem sind Bälle unspektakulär. Keulen sind größer, unförmiger, beeindruckender.

Wenn ich im Park stehe und mit Keulen jongliere, so kann ich darauf wetten, daß neugierig dreinblickende Hundigassiführer etwas von sich geben werden, das einem „Sieht schon gut aus.“ sehr nahesteht.
„Sieht schon gut aus.“ Insbesondere das „schon“ stört mich an diesem Satz. Denn normalerweise übt man weniger das, was man schon kann als das, was es noch zu erlernen gilt. Dementsprechend kann man schon zwanzig Jahre lang als professioneller Jongleur agieren und trotzdem bei einem neuen Trick hin und wieder ein paar Gegenstände fallenlassen – und wird, angesichts der offensichtlichen Noch-Unfähigkeit, alsbald ein tröstendes „Sieht schon gut aus.“ ernten.
Vielleicht aber wollen die Vorbeigänger nur irgendetwas sagen, um ihr neuigieriges Zuschauen zu rechtfertigen. Als Eintrittsgeldersatz sozusagen.

G und ich liefen also durch den Park, bewaffnet mit insgesamt drei Keulen und ernteten natürlich entsprechende Kommentare. Was wir zu erlegen gedenken, wurden wir gefragt. Besser: Wurden wir nicht gefragt, denn obgleich die Frage uns galt, wurde sie an die eigene Gruppe gestellt, damit diese Gelächter von sich geben konnte.

Irgendwann hielten wir inne. Ich zeigte G, was er mit den Keulen anzufangen habe. Daß die Balljonglage eine nicht unbdeingt notwendige aber keineswegs unnötige Voraussetzung für die Keulenjonglage sei, sah er ein und versuchte sich alsbald an den kleinen Runddingern, die natürlich trotzdem nicht selten ins feuchte Gras fielen.

Irgendwann warfen wir einander Keulen zu, frönten schließlich gar einem Rechts-Links-Rhythmus, auch über größere Entferungen hinweg. Es ist nicht leicht, eine rotierende Keule zu fangen; demensprechend ehrgeizig war unser Bemühen, dem Plastik keinen Bodenkontakt zu gewähren.

Nachdem ich mir einen und G sich zwei Finger mit ausreichend Schlechtfangschmerz befüllt hatten, hielten wir inne, legten eine Pause ein. Gs Grashalmtröte zerfetzte die Luft und mehrere Halme, bevor wir dazu übergingen, uns die drei mitgebrachten Jonglierbälle zuzuwerfen – und jeweils nur mit einer Hand zu fangen.

Eigentlich mag ich ja auf mich zufliegende Objekte überhaupt nicht, doch den handtellergroßen, vierfarbigen Bällen vertraute ich längst und versuchte mein möglichstes, Gs Würfen meine fangende Hand entgegenzusetzen. Ich war ein schlechter Fänger, das sah ich ein. Allerdings warf ich ganz gut und zielgenau. Trotzdem wurde mit jedem unserer Würfe der Abstand zwischen uns größer, und wir mußten uns mühen, dem Ball ausreichend Zielerreichgeschwindigkeit mitzugeben.

Irgendwann während dieser Werferei wurde mir bewußt, was wir taten: Wir warfen Bälle hin und her und fingen sie. Mehr nicht. Und doch verausgabten wir uns, fanden Freude in diesem simplen Spiel. Hätte mich irgendwer gefragt, ob ich mit ihm einen Ball hin- und herwerfen möchte, hätte ich vermutlich abgelehnt. „Langweilig.“, wäre wohl eine meiner Begründungen gewesen.
Doch in diesem Momenten fand ich keine Langeweile. Nur den Wunsch, den Ball höher, schneller, weiter, treffsicherer zu werten, ihn häufiger, aus unmöglichsten Höhen und Positionen zu fangen. Und sichtliches Vergnügen.

Alsbald gaben wir der Erschöpfung nach und brachen auf. Wir suchten ein nahegelegene Lokalität auf, besetzten den Platz einer unauffindbaren Zechprellerin, die ein Drittel ihres Bieres stehengelassen hatte, bestellten Trinkbares und tranken. Ich entdeckte einen ehemaligen Mitschüler, der bei erwähntem Radiosender tätig zu sein schien, doch spürte minimales Inetresse, den verlorenen Kontakt zu ihm wiederherzustellen.
Als Glas und Tasse geleert waren, bezahlten[!] wir und begaben uns schließlich heimwärts.

[Im Hintergrund: Tool – „10,000 Days“]

6 Gedanken zu „1. Mai“

  1. Klingt nach einem guten Tag.
    Ihre Erfahrungen mit den Zuschauern teile ich übrigens, die scheinen überall gleich zu sein.

    Neulich versuchte ich seit langem mal wieder, mit meinen Keulen zu jonglieren. Der Versuch endete in einem blauen Kinn und einigen mitleidvollen Blicken mir unbekannter Personen in den folgenden Tagen.

  2. REPLY:
    Der Tag war durchaus ein guter.

    Bisher war ich immer schnell genug gewesen, die Keule von meinem Gesicht abzuwehren, so daß meine Maximaljonglierverletzzung aus einem blutenden Daumen bestand. Da ich kein Pflaster dabei hatte, aber weiterjonglieren wollte, schuf ich mittels eines Papiertaschentuchs und eines Haargummis einen privsorischen aber wirksamen Verband.

    Ein blaues Kinn hätte mich – ungeachtet dessen, daß Sie die mitleidsvollen Blicke nach einer Weile sicherlich nervten – zu mitleidsvollen Blicken angeregt. Ich hoffe, das Erlebnis ließ sie nicht vor neuerlichen Versuchen zurückschrecken…

  3. REPLY:
    Ach, leider doch. Meine aktive Jonglierzeit ist lang vorbei, die
    (Wildleder-)Bälle wanderten beim letzten Umzug sogar in den Müll, da das Leder sich klebend mit etwas anderem verbunden hatte. Die Keulen, damals mühevoll selbst beklebt, lagern wieder in einer Kiste. Für irgendwann später vielleicht, wenn es mich mehr danach treibt, wieder mal zu jonglieren. Aber die Zeit damals, die war ebenfalls gut. Wir alle abends im Garten und wild jonglierend – ein Freund konnte es sogar mit Zigarrenkisten und brennenden Fackeln.
    Ach.

    Blutender Daumen? Was für gefährliches Keulenzeug haben Sie sich denn zugelegt?

  4. REPLY:
    Oh. Dann würde mich aber interessieren, auf welchem „Level“ Sie waren. Ich bin derzeit zu nicht viel mehr imstande, als drei Keulen mit jeweils einer Umdrehung einigermaßen ausdauernd durch die Luft zu wirbneln. Hin und wieder eine Kuele zweifach rotieren zu lassen, funktioniert auch. Auch klappt, eine oder zwei [oder drei] Keulen durch Bälle [oder so] auszutauschen.
    Bei den Bällen bin ich noch nicht über die innere und äußere Kaskade hinausgekommen. Finde auch Bälle nicht so super spannend. Ich freu mich auf den Tag, an dem aus billigen Plastikkeulen [3 Euro pro Stück. Zum Vergleich: „Vernünftige“ Keulen kosten ab 20 Euro im Versandhandel] tolle, glitzernde oder gar Fackeln werden…

    Wie das mit dem blutenden Daumen geschah, weiß ich auch nicht mehr so genaus. Ich glaube, die Keulen sind einfach nicht ordnetlich verarbeitet und irgendeine Naht hat ein Stückchen Haut abgeschrammt. Tat nicht weh, blutete aber enorm…
    [Aber ich bin ja ein Mann. Ich stehe über jeder Art von Schmerz…]

  5. REPLY:
    Natürlich. Ich würde das niemal anzuzweifeln wagen.

    Mein Level war so besonders hoch nicht. Ich konnte einigermaßen gut vier Bälle oder drei Keulen in der Luft halten, Keulenpassen funktionierte auch, aber nur mit einer bestimmten Freundin, die eine ähnlich verkrampfte Wurftechnik hatte wie ich.
    Beim Versuch des Doppelrotierens übrigens schlug ich mir öfter das Kinn blau (beim letzten Versuch reichte allerdings schon die normale Umdrehung). Kommt davon, wenn man mit offenem Mund nach oben starrt und sich wundert.

    Wenn Sie die billigen Keulen schnell zur Seite stellen und sich richtige kaufen, macht das Ganze nochmal so viel Spaß. Ist ein ganz anderes Handgefühl. Und blutende Verletzungen kommen auch nicht mehr vor.

  6. REPLY:
    „Keulenpassen funktionierte auch, aber nur mit einer bestimmten Freundin, die eine ähnlich verkrampfte Wurftechnik hatte wie ich.“
    Hihi.

    Teure Keulen zu nehmen wäre bestimmt besser – aber auch teuer. Und wenn ich bedenke, daß ich schon lange mit Fackeln liebäugle, dann wirds gleich doppelt so kompliziert. Bisher habe ich mich ja auch nur einmal verletzt…

    Gestern jonglierte ich mit modern designten Pümpeln. Das war lustig…

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