FFFfF: Sieben

„Sieben? Moment, den Titel kenne ich doch! Da gibt es doch diesen Film. Mit Brad Pitt. Und dem einen, der auch in American Dingens mitgespielt hat. Wiehießernochmal. Kevin Irgendwas, glaube ich. Und mit dem Neger, den ich so cool finde. Morgan … Morgan Freeman, genau. Hieß der Film nicht auch ‚Sieben‘?“

„Das ist Zufall. Der Film hat überhaupt nichts mit dem heutigen Comic zu tun. Gar nichts. Echt jetzt.

Und so.“


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[Im Hintergrund: VAST – „A Complete Demonstration“]

Ich lese keine Zeitschriften.

Ich lese keine Zeitschriften. Das stimmt natürlich nicht, gilt aber dennoch.

[Ich liebe es, am Anfang eines Textes Behauptungen zu machen, die sich, wenn man sie genau betrachtet, als unwahr herausstellen, so daß ich mich genötigt fühle, eine Korrektur einzufügen, die zugleich wieder relativiert werden muß, damit der erste Satz nicht seine Bedeutung verliert.]

Besser wäre vermutlich zu behaupten, ich würde mir keine Zeitschriften kaufen. Doch auch das ist nicht ausreichend präzise. Zählt man beispielsweise Comichefte zu den Zeitschriften, weil sie ja zeitschriftengleich formiert und bebildert sind, so ist es durchaus möglich, mich dabei zu ertappen, wie ich eine solche „Zeitschrift“ erwerbe. Behauptet man aber, daß Comics keineswegs zu Zeitschriften zählen können, weil sie vielmehr Kunstprodukte als gewöhnlicher Alltagskrimskrams seien, dann stimmt es vielleicht tatsächlich: Ich kaufe keine Zeitschriften.

Nun gut, wirklich wahr ist diese Aussage immer noch nicht: Denn ich kaufe normalerweise keine Zeitschriften. Doch ich fand mich bereits mit einer Musikzeitschrift an einer Kioskkasse wieder, vorfreudig durch deren Seiten blätternd. Allerdings ist das nicht die Regel, nein, eigentlich habe ich seit Monaten darauf verzichtet, meine Musikinformationen auf diese Art und Weise zu beziehen – zum einen weil das Internet diesbezüglich mehr zu bieten hat, zum anderen, weil ich mich so nicht genötigt fühle, uninteressante Artikel zu lesen, bloß weil ich sie bezahlt habe.

Ich kaufe also fast keine Zeitschriften.

Dieser Umstand hat nichts damit zu tun, daß ich nicht das Geld aufwenden möchte oder daß ich mich dessen schämen würde [aus welchem Grund auch immer]. Nein, das Medium Zeitschrift ist einfach nicht bedeutsamer Teil meiner Welt.

Freunde oder Verwandte beispielsweise bestücken sich mit Telekommunikationszeitschriften oder Computerwissensmagazinen. Hin und wieder blättere ich gelangweilt in ihnen herum, doch muß gestehen, eher nach den stets vorhandenen Cartoons als nach mich interessierenden Inhalten zu suchen. Hätte ich ausreichend Willen in mir, so fände ich in dieser oder jener Zeitschrift sicherlich Spannendes, doch allein weil der für mich relevante Inhalt in den immensen Seitenzahlen verborgen ist, allein, weil ich nicht willens bin, immer wieder großformatige Buntanzeigen überblättern zu müssen, ist schon das Durchblättern für mich mit Mißfallen bestückt.

Ich verweile nicht häufig in Arztsprechzimmerwarteräumen. Doch wenn dies der Fall ist und ich mich tatsächlich genötigt sehe, zu einer der herumliegenden Lesezirkel-Zeitschriften zu greifen, so bevorzuge ich die Comic-Rubrik. Ich lese lieber uralte Witze in der Micky Maus, anstatt mich darüber aufzuregen, daß es dem Focus an Inhalten mangelt oder daß die Spiegellektüre mich jedesmal mit dem Gefühl zurückläßt, alsbald werde die Welt untergegangen sein. [Und auch in Focus und Spiegel schaue ich zuerst nach den Cartoons.]
Unglücklicherweise meinen die Lesezirkelmacher, auch das Benjamin-Blümchen-Magazin und Mädchenpferdezeitschriften wie Wendy in die Rubrik „Comic“ einordnen zu müssen, so daß der Griff zu dem neutral beumschlagten Heft sich nur allzu häufig als überflüssig herausstellt: Ich mag Benjamin Blümchen nicht. Und mit mädchenklischeehaftem Pferdefanatismus fühle ich mich absolut überfordert.

Arztbesuche, egal wie kurz die zu erwartende Wartezeit sein wird, erfordern die Mitnahme meines derzeit gelesenen Buches – unabhängig davon, ob dieses möglicherweise monströs genug ist, um durch Fallenlassen desselben Erdbeben mittlerer Stärke auszulösen.

Bücher sind meine Zeitschriftenalternative. Besser: Zeitschriften sind keine Alternative für Bücher.

Es kam bereits vor, daß ich für einen Wochenendausflug zwei voluminöse Bücher einpackte – nur weil mich bereits am Ende des ersten befand. Daß ich dementsprechend mehr Masse mit mir herumschleppte bzw. auf anderes, beispielsweise ausreichend wärmende Wäsche, verzichtete, nahm ich bereitwillig in Kauf. Der Gedanke, daß eine Zeitschrift nicht nur leichter und platzsparender, sondern womöglich auch sinnvoller sein würde, kam mir überhaupt nicht.

Ich bin einer von denen, die vor einer Zugfahrt immer in den bahnhofseigenen Zeitschriftenläden herumschauen – doch betrachte ich eigentlich nur die ausgelegten Comics und Musikzeitschriften, zumeist ohne eine von ihnen zu erwerben. Das Rucksackgewicht ist nicht selten immens genug, um mich daran zu erinnern, daß ich dieser Oberflächlichkeitsliteratur nicht bedarf.

Ja, ich weiß, nicht jede Zeitschrift ist mit Klatsch und Tratsch gefüllt; genug Wissenschaftsmagazine und Wissenserweiterer kursieren jenseits von Gala und Bunte in den Läden – warten darauf, daß ich zugreife, bezahle [nicht vergessen!] und mich bilde. Doch Zeitschriften sind wie Radiosender: Nur wenn man Glück hat, spielen sie das eigene Lieblingslied. Und ich habe nicht die Muße, darauf zu warten.

Vielleicht liegt es daran: Zeitschriften pflegt man nicht zu lesen; man blättert. Natürlich bleibt man hier und dort hängen, doch allein die Anzeigenteile sorgen für permanentes Blättern. Aber ich will nicht suchen müssen, will nicht blättern und anlesen, bis mir etwas behagt. Vielleicht bin ich zu sehr buchverwöhnt, um mit Zeitschriften klarzukommen.

Bücher liest man. [Zumindest jene, deren Hauptanteil aus Wörtern besteht.]

Ein nicht geringer Teil meiner Motivation zur Zeitschriftenlektüre besteht aus dem Wunsch nach Unterhaltung. Die Kombination aus Information und Unterhaltung, die in Zeitschriften propagiert wird, funktioniert nur selten. Musikzeitschriften können mehrere Seiten damit füllen, über das neue und das letzte Album einer Band, über deren neue Mitglieder und Instrumentenwechsel zu informieren, ohne auch nur mit einem Wort zu erwähnen, welche Art von Musik überhaupt beworben wird. Technikmagazine wiederum wandeln auf dem schmalen Grat, detaillierte Informationen zu geben, die zugleich Kenner und Unwissende verstehen – und zugleich nicht langweilen. In den meisten Fällen finde ich viel zu viele Informationen dort vor, wo ich Wissenswertes suche – und weiß letztlich, noch nicht einmal nach Lektüre des Fazits, was ich davon halten soll. Auf der Suche nach Amüsantem wiederum finde ich nicht selten Artikel, deren Unterhaltungswert ich eher als zu niedrig einstufe, so daß ich auch hier dazu neige, die Zeitschrift desinteressiert beiseite zu legen.

Hinzu kommt ein gesundes oder ungesundes Mißtrauen. Wird das neueste Handy einer Firma mit preisenden Worten gutgeheißen, so hege ich sofort Zweifel. Wie groß ist der Anteil an Werbung, wie groß der tatsächlicher Information? Zeitschriften für feminine Jungmenschen beispielsweise bestehen zur nahezu 100 Prozent aus Werbung, und ich frage mich jedesmal, wenn ich derlei zu Gesicht bekomme, wieso ich dafür Geld bezahlen sollte, mit bunten, aufdringlichen Das-Mußt-Du-Kaufen-Botschaften belästigt zu werden.

Hinzu kommt, daß ich. selbst wenn die Redakteure unbeeinflußt über einen Film, ein Album oder ein technisches Gerät schreiben, ihren Argwohn ausdrücken, Kritik üben oder Segnungen aussprechen würden, bezweifle, einhellig gleicher Meinung zu sein. Redakteure sind keine Überwesen, deren Ansichten sorglos aufgesaugt und angenommen werden können. Subjektivität zu kaufen, lohnt nicht: Um sich eine eigene Meinung zu bilden, muß man sich ohnehin mit dem Objekt selbst auseinandersetzen – der Umweg über die Zeitschrift erscheint überflüssig.

Natürlich gibt es Fakten. Wenn mir eine Zeitschrift verrät, daß der neue Audi anderthalb mehr PS hat als der neue BMW, dann steht das nicht zur Debatte. Auch, um zu erfahren, mit welchen Neuerungen die Welt gerade bestückt wird, können Zeitschriften gut sein. Dennoch ist es mein fester Glaube, daß für solche Zwecke das weltweite Netz eine bessere, vielseitigere Quelle darstellt als jede Zeitschrift.

Allerdings gebe ich zu, daß ein Buch diesbezüglich nicht mit Zeitschriften konkurrieren kann. Zeitschriften sind aktueller, ihnen haftet ein Wirklichkeitsbezug an, der Büchern nicht unbedingt häufig innewohnt. Zugleich jedoch ist die Aktualität ihr Fluch, denn alte Zeitschriften sind selten wert, sie in ein Regal zur Verwahrung und zu späteren Erneut-Lese-Zwecken zu stellen. Natürlich ist es amüsant, eine c’t aus dem letzten Jahrzehnt hervorzuholen und die damalige Technik mit der heutigen zu vergleichen. Dennoch glaube ich, daß die meisten Zeitschriften entweder auf dem Müll oder verstaubend in irgendeiner Ecke landen.
Ich besitze noch immer die wenigen Musikzeitschriften, die ich jemals erwarb, doch kann mich nicht entsinnen, sie nach dem Verstauen außer zu Umzugszwecken wieder hervorgeholt zu haben.

Tatsächlich jedoch tut es mir leid, das Gekaufte, das nur für so kurze Zeit von Nutzen war, wieder zu entsorgen, bloß weil Zeitschriften nicht das Medium sind, das man aufzuheben, auszuleihen oder weiterzugeben pflegt. Zeitschriften dienen dazu, solange herumzuliegen, bis sie – auf welche Weise auch immer – entsorgt werden. Wenn sie Glück haben, blättern mehr als nur ein oder zwei Personen in ihnen. Zuweilen gar werden Teile aus ihnen herausgeschnitten und anderen Zwecken zugeführt. Doch ich bezweifle, daß dies die Regel ist.

Und obgleich ich nicht willens wäre, Zeitschriften wegzuwerfen, läge mir wenig daran, sie zu stapeln, in der Hoffnung, daß die Zukunft einen Nutzen für sie bereithält. Denn das einzige, was die Zukunft mit sich bringen wird, sind weitere Zeitschriftenstapel.

Ich bezweifle jedoch, daß meine Abneigung Zeitschriften gegenüber mit Depositionsproblemen zusammenhängt. Ich glaube eher, daß es daran liegt, daß ich bereits belegt bin, daß meine Sinne in den Momenten, da eine Zeitschrift angebracht wäre, bereits von einem Buch beansprucht werden. Es gibt zu viele gute Bücher, um sie alle lesen zu können. Da bleibt – obgleich sie schlank und wortkarg sein können – wenig Platz für Zeitschriften.

Es liegt mir fern, die Zeitschrift als Medium, ihren Sinn und ihre Nutzer zu verurteilen. Es liegt mir fern, Bücher als Ultimativlösung zu lobpreisen und jeden Andersdenkenden als schwachsinnig abzustempeln.
Ich wunderte mich nur festzustellen, daß ich mit Zeitschriften nicht anzufangen vermag – und daß ich genug Gründe dafür habe, fortan auch weiterhin zu behaupten:

Ich lese keine Zeitschriften.

[Im Hintergrund: Swallow The Sun – „Ghosts Of Loss“]