Zufrieden

Ich bin zufrieden. Warum auch nicht?
Bereits zum zweiten Mal existiert eine Ausstellung, in der Werke dargeboten werden, die ich fabrizierte, Werke, die mir Tag für Tag Freude bereiten und mit denen ich – dies darf nicht vernachlässigt werden – auch anderen täglich Freude bringe, Werke, die also schon für sich allein positive Resonanz erwirken, genug jedenfalls, um Gründe zu finden, jeden Tag froh gesonnen zu sein.

Die Ausstellung befindet sich im Lesecafé der Magdeburger Stadtbiblitohek und es ist ein Leichtes, sie zu entdecken, sie für sich zu entdecken, während man eigentlich zu einem Automatenkaffee in der aktuellen Tagepresse blättern wollte. Es ist leicht für mich, Freunde und Bekannte darauf zu verweisen, mit einem Lächeln, das besagt, dass es schön wäre, aber nicht dringend nötig ist, und dann die Versicherung zugesprochen bekommen, dass man ja sowieso eigentlich zur Ausstellungseröffnung kommen wollte, dass man es irgendwie verpasst habe, aber bei nächster Gelegenheit die Bibliothek und somit die Ausstellung aufsuchen wolle, das Lesecafé sei doch da rechts im Erdgeschoss, auch für Nichtbibliotheksnutzer ereichbar, oder?

Ich bin zufrieden, und gerne opfere ich ein paar Minuten meiner Zeit, um Bekannten, Halbbekannten und Fremden die Bedeutsamkeiten der Ausstellung zu erläutern, die Höhepunkte sozusagen, die einem vielleicht nicht bewusst werden, wenn man der Aneinanderreihung comicbefüllter Bilderrahmen gegenübersteht. Die Vitrine, sage ich dann, schaut euch die Vitrine an. Die Vitrine steht, ein wenig versteckt, um die Ecke, und enthält nicht nur Produkte des durchaus gut genutzten Fredshops [Auch ein Grund, stolz zu sein, auch wenn ich nicht auf mich, sondern auf jene stolz bin, die diesen Shop wie so vieles andere ermöglichte.], nicht nur Arbeitsutensilien und Kleinigkeiten, sondern auch ein paar Originalzeichnungen enthält. Und hier, rufe ich verzückt aus, befindet sich ein Rahmen mit Comics der Anfangsstunde, der die Entwicklung der Figur verdeutlichen soll. Und hier, meine Stimme überträgt hörbar das innere Lächeln, hängen vier Comics, die ich eigens für die Ausstellung produzierte, vier Comics, die nie zuvor an anderer Stelle Erwähnung fanden.

Dann setze ich mich für gewöhnlich und erfreue mich am leisen Kichern der Betrachtenden, an den Gästebucheinträgen, an den schweigenden Visitenkarten-Mitnehmern. Ich versuche wegzusehen, wegzuhören, erscheint es mir doch als Eindringen in ihre Privatssphäre, sie beim Betrachten der Comics zu beobachten, und doch labe ich mich an ihren Reaktionen, an ihren unmittelbaren Reaktionen. Sonst, denke ich dann, habe ich nur selten Gelegenheit, die Reaktionen zu beobachten. Ich lese Kommentare, zumeist positiv und selbstverständlich erquickend. doch wurden diese zuvor gefiltert durch die Maske des Niederschreiben-Müssens, sind nicht direkt, nicht unmittelbar. Und doch machen mich die Kommentare stolz, ebenso wie die Reaktionen der Ausstellungsbeschauenden, stolz auf das, was ich geleistet habe, weil ich mir selbst sonst nur selten darüber klar werde, was es ist, was ich schaffe:

Jeden Tag ein Comic, bereits über mehr als zwei Jahre hinweg, vier Aktenordner voller Zeichnungen, voller Optimismus, voller Lächeln. Das ist viel, begreife ich, und auch wenn ich die Bilder an den Wänden aufgrund der umfangreichen Ausstellungsvorbereitungen längst nicht mehr betrachten möchte, nicht mehr wahrnehme, weiß ich doch, dass sie Symbole sind für eine größere Menge an Nicht-Ausgestelltem, die dahinter steht. Und so sitze ich für ein Moment auf dem Berg des Erreichten wie auf einem Thron und erfreue mich daran, mit ein wenig Krakelei, mit ein wenig Albernheit, derartiges erreicht zu haben.
Ich streife durch das Netz und finde Seiten von Leuten, die ich nicht kenne, die auf meine Seite, auf meinen Comic verlinken, oft voller Begeisterung darüber schreiben, und kann es nicht begreifen. Ich bin nicht berühmt, werde auf keiner Straße von Fremden erkannt oder mit Zeichnungswünschen überhäuft. Und doch geht die Bekanntheit meiner Werke längst weit über den Kreis meiner Freunde und Bekannten hinaus. Darüber freue ich mich, denn nicht ich stehe im Mittelpunkt, sondern der Comic, die Figuren und ihr tägliches Treiben.

Täglich schaffe ich und täglich heimse ich Lohn dafür ein, nicht Materielles, Greifbares, sondern Worte. Fred wird gelobt ob seiner Einfälle und ich schmunzle, weiß ich doch, dass nicht er es war, der diesen Einfall ersonn, nicht die erfundene Figur, die längst ihr Eigenleben zu entwickeln begann. Nie war es geplant, dass er Krawatten mögen sollte – insbesondere weil ich selbst das Tragen solcher vermeide. Nie war es geplant, dass er sich derart kindlich über jeden einzelnen Regentropfen zu freuen pflegt – und doch schwirrt immer wieder ein „Regen fetzt!“ über die Münder der Lesenden. Wie einfach es ist, Menschen zu Unsinnigkeiten anzustiften, denke ich dann zumeist und lächle.

Wenig von dem, was heute das Fred-Universum ausmacht, war geplant gewesen, doch vermutlich hätte ich gar nicht erst begonnen, wäre mein Schädel mit zukunftsorientiertem Denken befüllt gewesen. Nein, die Figuren entwickelten sich von Comic zu Comic, bekommen reichlich Gelegenheit, immer neue Eigenschaften von sich zu offenbaren. Auch dass zusätzlich zu Käfer und Fred noch eine Spinne und eine Schnecke auftauchen sollten, war niemals so ersonnen gewesen. Doch ihre sporadische Anwesenheit eröffnet weitere Möglichkeiten, und so ist es nicht verwunderlich, wenn ich hin und wieder darum gebeten werde, einer Randfigur, die nur zwei oder drei Auftritte hatte, zusätzliche Bedeutung zukommen zu lassen, indem ich ihr Wiederkehr schenke.

Doch ich versuche, mich zu beschränken. Schließlich gibt es neben Fred und Käfer, neben Schnecke und Spinne auch noch zahlreiche Würmer, einen immer seltener erscheinenden Batman, einen Weihnachtsmann und natürlich Freds Alter Ego Batfred. Und hin und wieder greift sogar der Schöpfer selbst in die Handlung ein. Diese Figuren bieten genug Potential, und ich wundere mich täglich ein wenig darüber, dass dem so ist, dass es tatsächlich so einfach sein kann.

Ich bin zufrieden. Ein Adventskalender offerierte mir die Möglichkeit, mich zusammen mit Fred in neuen Bereichen zu versuchen, Freds Welt etwas Farbe zu schenken – und zugleich auf einen Cartoon anstelle eines Vier-Panel-Comicstrips umzusteigen.

Ich bin zufrieden, weil sich Fred entwickelt, weil aus dem simplen Comic so viel mehr geworden ist – und weil ich mit ihm wachse. Ich verbessere meine Zeichenfähigkeiten durch tägliche Übung, scheue mich nicht länger vor kurzfristigen oder komplexen Projekten. Ich entdecke neue Felder, auf denen ich mich betätigen, die ich mit Fred verknüpfen kann – und versuche zugleich, den Comic Hauptsache bleiben zu lassen, nicht zu viel Ablenkendes zu generieren, auf dem Boden zu bleiben. Sozusagen.

Ich bin zufrieden, auch wenn weniger Leute die Ausstellungseröffnung besuchten als gedacht. Mühsames Flyerverteilen und Plakatekleben hätte eigentlich mehr fruchten sollen, denke ich manchmal. Flyer bringen gar nichts!, grummle ich zuweilen. Und doch: Ich bin zufrieden.
Der Bibliotheksmitarbeiter hielt eine kurze Rede, die mich in überhohe Sphären lobpries, ich ließ ein paar Worte zum Comic und dessen Entwicklung und natürlich zur Ausstellung fallen – und zog mich dann zurück. Die Besucher schauten und schmunzelten. Das Gästebuch erfreut sich eifriger Benutzung und auch jetzt, da sich die Ausstellung allmählich ihrem Ende nähert, kommen noch neue Einträge hinzu. Sogar Visitenkarten musste ich bereits nachlegen, weil der eigentlich umfangreiche Stapel nahezu vollständig entschwunden war.

Ich bin zufrieden, lese vergnügt die freundlich-begeisterten Zeilen der Ausstellungsbenutzer und wundere mich, wie das alles passieren konnte, wie das alles möglich wurde. Kein großer Schritt ward getan und doch…

In Gedanken versunken gehe ich die Straße entlang. Ein Freund sieht mich, grüßt mich laut: „Herr Künstler!“
Ich bin zufrieden.

Dem Herbst ein Haha

Haha, lache ich dem Herbst in sein trübes Antlitz, du musst wahrlich der Verzweiflung anheim gefallen sein. Sind dir die Menschen trotz zeitigem Abenddunkel, trotz straff reduzierter Tageslichtmengen, trotz gesenkter Temperaturen, trotz windigem Wetter noch immer zu fröhlich gesonnen, noch immer zu glücklich? Oder warum sonst musst du den nächsten Schritt einleiten, den Kältomaten ein wenig aufdrehen, während diesiger Sprühregen die Welt vernebelt? Von romantischem Winter findet sich keine Spur, denn die Kälte ist nass und kaum ertragbar. Schnee weilt weit oben in höchsten Himmelssphären und scheint noch nicht einmal davon zu träumen, irgendwann dem Boden entgegenzuschweben. Der Winter ist fern, und du, lieber Trübherbst, bist es, der seine Kräfte spielen lassen darf. Längst hast du alles Laub von den Bäumen geschüttelt, hast die Freuden der Kinder vernommen, die sich raschelnd und lachend durch das trocknende Blattwerk wühlen, hast Pilze sprießen lassen, die von sammelnden Genießern beglückt gesucht und entdeckt wurden, hast uns den nahenden Winter spüren lassen mit Tagen voller Nullgradnähe, hast uns Kastanien und Eicheln im Überfluss geschenkt, hattest dich hübsch gemacht für uns mit buntem Laub und letzten Sommersonnenstrahlen. Doch nun, da der Winter naht, an die Pforte klopft, dir das Zeitzepter zu entreißen sucht, grummelst du, bescherst uns Übellaunigkeit und lichtfremde Tage. Versuchst du tatsächlich aufzubegehren, ein letztes Mal zu zeigen, welch Kräfte in dir wallen, dass es ein Leichtes für dich ist, die Launen der Menschen deinen eigenen zu unterwerfen? Versuchst du tatsächlich mit der Macht zu spielen, die dir eigen ist, uns mit deinem, vom baldigen Weichen getrübtem Gemüt zu infizieren? Glaubst du wirklich, dass ein wenig Nieselregen, ein wenig Sonnenraub, ein wenig Nebeldunst, ein wenig Windeskühle ausreicht, um den Frohsinn aus unseren Herzen zu reißen, um uns die Vorfreude auf wintrige Ereignisse, die Nachfreude über Frühling, Sommer und auch Herbst aus den Gedanken zu stehlen? Glaubst du wirklich, dass uns kümmert, ob Tage grau sind und Nächte nicht zu enden scheinen? Nun, vielleicht hast du recht, vielleicht gibt es tatsächlich jene, die mit sich spielen lassen, die äußere Trübnis zu ihrer inneren machen; doch wisse: Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich lache dem Regen ins Gesicht, lache dir meine Worte entgegen, küsse den eisigen Wind mit Winter ersehnendem Lächeln, begrüße die allgegenwärtige Dunkelheit mit dem Wissen, dass auch sie ein Ende finden wird. Ich mag dich, Herbst, selbst wenn du alt und bitter geworden bist, selbst wenn du nicht sehen willst, dass noch immer Freude in meinem Herzen glimmt, Freude über die Pfützen auf den Wegen, Freude über die Kälte, die von heißem Tee vertrieben werden kann, Freude über die Nacktheit der Wälder, die zu schlafen beginnen, um alsbald zu neuem Leben zu erwachen. Gräme dich nicht über mein Lachen, lieber Herbst, gräme dich nicht mit Regen und Nebel, gräme dich nicht ob deines Schwindens. Denn ich mag dich, mag die Tropfen, die dem Himmel entfliehen, mag auch das kalte Eis der Hagelkörner, mag die viel zu früh notwendigen Lichter in den Fenstern und Straßen. Ich mag dich und freue mich, gleich in die Kälte eilen zu können und mich vom nieselnden Nass umarmen zu lassen, im abendlichen Dunkel umherzulaufen und in den Mienen der Passierenden deinen Gram kopiert zu finden. Und vielleicht finde ich irgendwo ein Lächeln, eines, das meines spiegelt, eines, das dich liebevoll verabschiedet und den Winter begrüßt, eines, das sich auf das nächste Jahr freut, wenn die Wälder buntes Laub rascheln lassen und warmes Licht auf fleißige Pilz- und Kastaniensammler fällt, wenn die Wärme des Sonnenlichts schwindet, doch jene in meinem Herzen verbleibt. Vielleicht.

Coolness

Und dann jene jungen Männer und Frauen, zumeist fast noch jugendlich, deren Münder, im Glauben, zugleich Weises aber auch Zeitgemäßes [„Cooles“?] von sich zu geben, abgedroschenste Redwendungen ausspeien, und somit mir, angewidert lauschend, den Eindruck schenken, die Betreffenden seien nicht ungefähr zwanzig, sondern siebzig oder achzigjährig.

„Da bin ich mal gespannt wie ein Flitzebogen…“, „Wollen wir doch mal schaun, wie der Hase läuft…“ und ähnliche Textbausteine wären sicherlich trotz ihrer ekelhaften Abgelutschtheit erträglich, würde nicht in den Worten der Aussprechenden dieser Unterton mitschwingen, der alle Anwesenden, mich leider eingeschlossen, mit fast krampfartiger Bemühung davon zu überzeugen versucht, dass das Gesagte innovativ, witzig, intelligent und Aufmerksamkeit sichernd, dass der Sprecher also die einzig wahre inkarnation von Coolness [Darf man das noch sagen?] sei.

Ist er jedoch nicht.

Fremdschämen.