Kolumnisten sind auch nur Blogger

Dieser kleine, wenig herausragende Film auf watchberlin zeigt nicht nur zahlreiche Kolumnisten, die sich zu einem gemeinsamen Fotoshooting versammelten [unter ihnen auch Rowohlt und Martenstein [Letzteren lese ich ja durchaus gern. [An dieser Stelle sei erwähnt, dass ich die zeit.de-Navigation abscheulich finde – und nicht minder den anscheinden nicht konsequent funktionierenden Autoren-RSS-Feed. [Jetzt muss ich erst einmal nachzählen, wieviele Klammern ich zu schließen habe…]]]], dessen Ergebnisse [Kolumnisten vor stilvollem Kamin mit leichtbekleideten Damen zwischendrin] voraussichtlich wenig beeindruckend sein werden, sondern ein paar Gesprächs- und Interviewfetzen, die deutlich klarmachen, dass Journalisten, zumindest aber Kolumnisten, auch nur Blogger sind: Sie prostitutieren ihr Privatleben für ein paar unterhaltsame Zeilen, mögen das Schreiben, wenn es gut läuft, empfinden es aber sonst als Qual, bevorzugen spontan enstandene Texte, weil sie nicht so konstruiert wirken und freuen sich auch über unfreundliche Leserbriefe, weil diese zeigen, dass zumindest irgendwer diese Zeilen las.
All das hätte auch ein halbguter Blogger erwähnen können. Ich zum Beispiel. [Aber mich fragt ja keiner. [Ist vielleicht auch besser so.]]

Tageswort Nr. 47: Humpelstilzchen

Der Nachtbus näherte sich, doch wir waren noch zu weit entfernt von der Haltestelle, um ihn problemlos zu erreichen. „Der Bus!“, rief ich, zeigte auf das abbiegende Gefährt und wollte damit beginnen loszurennen. Ich sprang, kam auf den Boden auf, fand meinen Fuß in einem Straßenbahngleis, knickte um – und spürte nur noch Schmerz.

Das Sternchen befand sich bereits mehrere Meter vor mir, während ich auf den Gleisen in mich zusammensank, einen Schrei unterdrückend oder ausstoßend, ich wußte es nicht. Der linke Knöchel zeigte ein unerträgliches Maß an Anwesenheit und ich kämpfte mich wieder nach oben. Das Sternchen bemerkte mich, fragte, was los sei, doch ich war nicht imstande zu antworten, biss die Zähne zusammen, um den Schmerz nicht hinauszubrüllen. Geht gleich vorbei, dachte ich, hoffte ich und humpelte von den Gleisen runter. „Ich muss mich setzen.“, stöhnte ich in Richtung des Sternchens, überlegte kurz, mich einfach auf den Betonboden niederzulassen, entdeckte dann am Haltestellenhäuschen gegenüber einen Platz, begann, in diese Richtung zu humpeln. Die Schritte schmerzten nicht, denn der Schmerz war konstant. Das Sternchen ergriff mich, zeigte mir den Sitzplatz direkt neben mir, auf dieser Seite der Gleise.

Ich nahm Platz, griff mir mit beiden Händen an den Schädel und biss die Zähne noch stärker zusammen. Mein linker Knöchel bestand nur aus Schmerz. Ich verkrampfte die Finger, versuchte, den Schmerz wegzudenken, wegzukämpfen, doch es gelang nicht. Der Sternchen war besorgt, doch ich hielt sie auf Abstand; erst einmal wollte ich selbst zur Ruhe kommen. „Zieh den Schuh aus.“, riet sie, und ich lockerte langsam die Schnürsenkel. Mühsam streifte ich die Schuh ab. Man sah nichts.
Kaum hatte ich den Schuh wieder angezogen, kam die Bahn. Wir stiegen ein und das Sternchen versuchte, mich dazu zu überreden, den Fuß hochzulegen. Ich weigerte mich, war zu stolz.

Am Alten Markt stiegen wir um. Das Sternchen hatte plötzlich Lust auf Mozarella, doch Karstadt schloß gerade. „Dann gehen wir eben noch kurz ins Allee-Center.“, überredete ich sie. Der Schmerz im Knöchel hatte nachgelassen, doch war noch immer präsent. Meinem Gehstil fehlte jede Eleganz; ich humpelte, sorgsam jeden Schritt setzend, langsam voran.

Im Allee-Center besuchte ich die Apotheke, erwarb zwei Kühlakkus und eine Salbe, die in solchen Fällen helfen sollte, und setzte mich dann auf eine Bank. Aus irgendeinem Grund war mir nicht danach, das Allee-Center zu durchqueren, um Mozarella zu kaufen. Das Sternchen kam bald zurück, brachte nicht nur Mozarella, sondern auch Erdnussflips und salzige Chips mit. Ein DVD-Abend stand bevor.

Wir begaben uns zu Haltestelle, eine 4 stand bereits da, doch ich weigerte mich zu rennen. War auch nicht nötig, wir erreichten sie trotzdem, stiegen alsbald um und erreichten die Videothek. Längere Suche war vonnöten, dann entschied ich mich spontan für „Hairspray“, weil mir nach Amüsanz war, und wir humpelten heim. Der Knöchel war geschwollen, wir salbten und kühlten, so gut es ging.

Der nächste Tag brachte nichts Neues; der Knöchel sah unverändert aus. Mein Laufstil war noch immer sehr unansehnlich. Ich beschloß, die Notaufnahme aufzusuchen. Es regnete, und Sternchens mühevoll herbeigezauberte Frisur schwamm hinfort. Der Arzt wünschte ein Röntgenbild, und ich humpelte durch unzählige Gänge bis zur entsprechenden Abteilung. Mehr als eine halbe Stunde lang saß ich untätig wartend herum, beobachtete Paienten auf Betten und in Rollstühlen, bis ich endlich an der Reihe war, mich meiner Fußbekleidung entledigte und fotografiert wurde. Eine Bleischürze reudzierte die Gefährdung potentieller Nachkommen. „Fertig.“, sagte die Schwester dann, und ohne ein weiteres, wegweisendes Wort wurde ich entlassen. Ich humpelte zurück und wartete auf den Neuaufruf beim diensthabenden Arzt.
„Nichts gebrochen.“, erklärte er nach einer Weile des Wartens. Eine Schwester stürmte herein: „Ich mach das schon.“, und in Sekundenschnelle erhielt ich einen stützenden Verband und durfte gehen. Naja, „gehen“ war übertrieben.

Zu Hause angekommen rief mich mein Bruder an. „Humpelstilzchen„, nannte er mich, und ich schmunzelte.

Tageswort Nr. 46

Damit die altbekannte Rubrik mal wieder Nahrung bekommt und ich daran gehindert werde, einfach nur ein einzelnes Wort unkommentiert in den Blog zu stellen, präsentiere ich nun das heutige „Wort des Tages“.

Selbiges fand ich in einer getippten Stichpunktliste, die mir noch nicht einmal gehörte, aber dafür sorgte, dass ich bei der zufälligen Lektüre laut lachen musste:

Krakenversicherung

Und so.

[Im Hintergrund: Isole – „By Blood“]

Ganz normal?

Die Bildungselite Deutschlands wartet an Universitäten und Fachhochschulen darauf, endlich ihr umfangreiches Wissen und Können in die Welt hinaustragen zu können, um diese nachhaltig zu verbessern.
Von wegen. Studenten sind genauso unschlau und widerlich wie der Rest der Bevölkerung. Zwei Beispiele:

Beispiel 1: Der Automat

Die Speisen der Mensa mögen nicht unbedingt jedem zusagen, dennoch werden sie von erstaunlich vielen Nutzern Tag für Tag konsumiert. Zu einer vollwertigen Mahlzeit gehört nicht selten ein Getränk, und obwohl niemand misstrauisch beäugt wird, der sein eigenes Getränk mitbringt, herrscht doch allgemeines Interesse am Mensa-Getränkeangebot vor.

Ich selbst genieße nicht selten eine Halbliterflasche Cola, die während des Essens fast nebenbei geleert wird – was mir als notorischem Zu-wenig-Trinker durchaus behagt. Doch wohin mit der leeren Flasche?

Die Milchflaschen bringen nichts, doch für die anderen steht ein Automat bereit, der freizügig im Tausch gegen eine passende Flasche 15 Cent herausrückt. Nicht selten wurde ich Nutznießer der Erstsemesterdummheit, wenn die neuen Studenten ihre Pfandflaschen irgendwo stehen ließen – weil sie ja noch nicht wissen konnten, dass Glasgut problemlos gegen Kleingeld getauscht werden kann.

Der Automat ist ein großer Kasten mit drei Fächern, in die jeweils eine Flasche gestellt werden darf. Drückt man einen Knopf, schließen sich alle Fächer; die darin enthaltenen Flaschen werden geprüft und für gut oder schlecht befunden. Nach bestandener Prüfung klimpert es kurz, und man kann sein Vermögen aus dem Geldrückgabefach herausfriemeln. Je nach Anzahl der Flaschen wird es sich also um 15, 30 oder 45 Cent handeln – stets in 5-Cent-Stücken ausgezahlt.

In Zeiten des Mensa-Hochbetriebs bildet sich an jenem Automaten rasch eine entmutigend große Menschenschlange, deren einzelne Glieder stets nur eine Flasche, maximal zwei, in den Händen halten und geduldig darauf warten, auch endlich an der Reihe zu sein, auf den Knopf drücken zu können und das Kleingeld klimpern zu hören.

Und jedesmal, wenn ich diese Schlange sehe oder Teil von ihr bin, will ich meine Hand an die Stirne klatschen und dezibelintensiv ausrufen:
„Ihr ineffizienten Idioten! Seht ihr denn nicht, dass der Automat DREI Fächer besitzt, dass er stets nur 5-Cent-Stücke herausrückt und dass es somit ein Leichtes wäre, mehr als eine Flasche gleichzeitig in den Automaten zu stopfen und dann das Geld untereinander aufzuteilen?!?“

Zuweilen fragte ich tatsächlich, höflich aber, meinen Vorder- oder Hintermann, ob es sich nicht lohne, auf diese simple Weise das Anstehen zu verkürzen. Doch ehe meine Botschaft angekommen war und somit vielleicht Verbreitung gefunden hätte, war ich bereits an der Reihe, stellte meine Flasche in das Fach, drückte den Knopf und erfreute mich am Klingeling der drei 5-Cent-Stücke.

Beispiel 2: Toiletten

Dass öffentliche Toiletten selten ein Musterbeispiel für Hygiene sind, ist sicherlich keine Neuigkeit. Dennoch erstaunt es mir immer wieder, dass selbst Toiletten, die sich im tiefsten Inneren von Institutsgebäuden befinden, derart verschmutzt sein können. Ich selbst würde mich nicht als Inkarnation der Ordnung bezeichnen; dennoch ist es mir ein innerer Wunsch, nach einem Toilettenbesuch dafür zu sorgen, dass diese den Umständen entsprechend benutzbar aussieht. Ich werde also nicht die Klobürstennutzung oder gar das Spülen vergessen, werde nicht ganze Klopapierrollen in die widerliche Brühe werfen, die ich angerichtet habe, werde darauf verzichten, andere per Filzstiftbotschaft zu grüßen oder zu beleidigen und Harnflüssigkeiten gleichmäßig auf dem Toilettensitz und dem Boden zu verteilen. Derlei stellt für mich keine Schwierigkeit dar, und ich bin immer wieder erstaunt, dass andere nicht ähnlich denken, insbesondere wenn zu vermuten ist, dass sie dasselbe WC in ein paar Tagen wieder werden nutzen müssen.

Vielleicht wäre das noch erträglich. Schließlich bin ich ein Mann, kann Nötigstes auch im Stehen erledigen, ekle mich nicht allzu leicht und bin auch imstande, einmal wegzusehen. Doch was ich nicht ertrage, sind maskuline Wesen, die es nicht für notwendig zu halten scheinen, sich nach dem verrichteten Geschäft ihre Hände zu reinigen. Ich rede dabei nicht von stundenlangem Einseifen, intensiver Spülung und pedantischem Trockenreiben, sondern tatsächlich nur vom Mindesten: Seife, Wasser, Hände kurz abwaschen, abschütteln, abhauen.

Doch das ist schon zuviel. Ich staune immer wieder darüber, wie viele Menschen diese simplen und wenig zeitaufwendigen Handgriffe „vergessen“, wie oft ich vor dem Spiegel einer öffentlichen Toilette stehe, die Hände unter einen Wasserhahn haltend, wenn plötzlich ein Mann vom Pissoir oder aus einer Kabine kommt, desinteressiert an mir und den Waschbecken vorbeiläuft, die Tür aufklinkt und aus dem WC verschwindet, als würde es dort an Handreinigungsmöglichkeiten fehlen, ja, als wäre derlei mit größter Unnötigkeit bestückt.
Angewidert schüttle ich Kopf und Hände, finde kein papiernes Handtuch und frage mich, wie ich die WC-Tür aufbekommen soll, ohne der Türklinke zu nahe zu kommen. Denn der Gedanke, dass die Hand, die zuletzt Türklinkenkontakt hatte, zuvor ein vorderes oder hinteres Stoffwechselendprodukt-Ausscheidungsorgang berührt hatte, stößt mich ab. Und der Gedanke, dass der eben Erlebte nicht der Einzige seiner Art war, umso mehr.