Zu Charlotte Roches „Feuchtgebiete“

Ich habe es gelesen, das Buch, das derzeit durch aller Munder wirbelt, die Worte „Pornographie“ und „eklig“ weckt und somit noch mehr Neugierde erwirkt, als ohnehin durch die Person der Autorin geschaffen wurde. Die Rede ist von Charlotte Roches Werk „Feuchtgebiete„, das zu lesen ich plante, seitdem Frau Roche in irgendeinem Interview erwähnte, an einem Buch zu arbeiten. Denn obgleich ich weitestgehend ohne Fernsehen und somit auch ohne Viva und dessen zweiten Teil aufwuchs, war es der Fernsehwelt doch bisweilen gelungen, mittels dieser jungen Frau bei mir bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Und auch später, nachdem sie von den gängigen Musiksendern verabschiedet wurde, behielt sie meine Sympathien und vermochte sogar, diese zu steigern, indem sie bei sporadischen Medienauftitten eine Direktheit an den Tag legte, die ich bewunderte.

Nun also ein Buch. Den eigenen, bekannten Namen auszunutzen, um die Verbreitung des eigenen Werkes anzukurbeln – die Idee ist nicht neu. Überall findbare Interviews taten ihr Übriges, mich zu verlocken.

Kurz nach dem Veröffentlichungsdatum besuchte ich diverse Buchhandlungen – und fand nichts. Die Mitarbeiterin des Hannoverschen Bahnhofs-Virgin-Stores kramte sogar für mich in den Neuerscheinungen herum, leise murmelnd: „Das müsste doch zu finden sein. Der Umschlag hat so eine häßliche Farbe.“ Don’t judge a book bei it’s cover., dachte ich, doch schwieg.

Eine Nachfrage ergab, dass der Verlag nicht imstande gewesen war, ausreichend viele Exemplare zur Verfügung zu stellen. Lächerlich.

Ein paar Tage später dann erwarb ich „Feuchtgebiete“, auch wenn ich mich fragte, ob knapp 15 Euro für knapp 200 Seiten berechtigt sein würden. Ich begann zu lesen, doch war nicht schockiert. Die Interviews mit Frau Roche hatten mich schon darauf vorbereitet: Hier geht es um Rosetten, um Analfissur, um Haare, Pickel, Sex und natürlich alle Arten von Körpersäften.

Das war es aber auch schon fast. Die eigentliche Handlung lässt sich in einem einzigen, nicht sonderlich langen, Satz zusammenfassen. Das Füllwerk besteht aus Smegma und Eiter, aus Blut und Kot.

Ich ekelte mich nicht. 13 Monate verbrachte ich als Zivildienstleistender im Krankenhaus und sah genug, um diesbezügliche Sensibilität reduziert zu haben. Und auch das Verhältnis zu meinem eigenen Körper ist entspannt genug, um das, was die Romanheldin treibt, als nicht sonderlich beeindruckend zu empfinden.

Natürlich; sie ist extrem. Doch während ich anfangs glaubte, sie bildete den Gegenpol zum zunehmenden Hygienewahn in unserer Gesellschaft, stellte ich nach und nach fest, dass sie selber einem körperbezogenen Wahn frönt, ja, dass sie sich intensiver, besessener, mit ihrem Körper beschäftigt als die Menschen, die sie mit kritischen Gedanken überhäuft.

Und noch etwas stört: Die Romanheldin Helen ist permanent geil. Jede einzelne ihrer Körperflüssigkeiten scheint sie in Stimmung zu bringen, zu Spielchen anzuregen, deren Hauptbestandteil ihr eigener Leib ist.

Und nebenbei ein wenig Handlung. Geschiedene Eltern und ein sorgsamer Pfleger – alle bilden blasse, unwirkliche Nebenfiguren in einer Geschichte, in der anscheinend nur Helen existiert. Helen, die im Krankenhausbett liegt, sich auflehnt, ihre Körpersäfte großzügig verteilt und sich eigentlich nur ein bißchen mehr heile Welt wünscht.

Ich habe das Werk gelesen und bereut, dafür 15 Euro ausgegeben zu haben. Es ist kein Buch, das gemocht werden möchte, das steht fest, doch konnte es mich auch nicht faszinieren oder nachhaltig beeindrucken. Sicherlich, es ist erwähnenswert, wieviel hier zur Sprache gebracht wird, worüber sonst geschwiegen wird, wieviele Dinge für Helen normal sind und partiell vielleicht auch für uns normal sein sollten. Es ist erwähnenswert, dass das Buch nur aus Arsch, Muschi und Penis besteht und trotzdem 200 Seiten füllt, dass es interessant genug geschrieben ist, um es nicht gleich weglegen zu wollen, dass der Widerwärtigkeitsfaktor trotz allem gering genug ist, um weiterlesen zu können.
Es ist angenehm zu wissen, dass es möglich ist, über solche Dinge zu schreiben, und ich glaube, dass es Jugendlichen einen Teil ihrer selbstbezogenen Unsicherheiten rauben könnte.
Dennoch zweifle ich daran, ob dieses Werk nötig war, frage mich, ob die darin enthaltene Kritik am Gegenwärtigen nicht längst in den Interviews, die Frau Roche bereits gab, abgearbeitet worden war.

Ich habe es gelesen, das Buch, dessen Autorin ich schätze, dessen Inhalt jedoch mich raum zu berühren vermag, dessen Handlung zu schmal ist, um Bedeutung zu haben. Ich habe es gelesen und kann nicht davon abraten, es ebenfalls zu lesen, weil es gut genug ist, weil es Sprache und Themen nutzt, die man so in anderen Büchern kaum finden wird. Und dennoch war ich enttäuscht, enttäuscht davon, nicht genügend beeindruckt gewesen zu sein.

2 Gedanken zu „Zu Charlotte Roches „Feuchtgebiete““

  1. Ich habe eine Interview von ihr gesehen, da war sie nur provokant. So schätze ich auch ihr Buch ein. Gutes Marketing.

  2. REPLY:
    Ja, ich glaube, darauf läuft es hinaus. Auch die Hauptfigur ist ständig von dem Drang getrieben zu provozieren. Wenn es zum Nachdenken anregen soll: fein, das hat das Buch geschafft. Aber das hatte Charlotte Roche auch schon in ihren Interviews bewirkt.
    Nun ja.

    [Meine Oma wollte das Buch legen und ich muss noch überlegen, ob ich es wagen kann, ihr das Buch zu leihen. Und zwar nicht, weil ich befürchte, dass sie angewidert oder schockiert sein wird, sondern weil das Buch, lässt man den ganzen Schleim-Blut-Kot-Kram weg, relativ flachist und ihr daher sicherlich missfallen wird…]

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