Ich lehnte mein Rad an die Hauswand, ließ das Schloß ein sanftes „Klick“ von sich geben und klingelte. Nicht, dass ich häufig Ärzte besuchen würde, doch eine Praxis, bei der die Haustür bereits verschlossen war und per Gegensprech geöffnet werden musste, war mir bisher begegnet. Niemand reagierte. Sicherlich, ich hatte zaghaft geklingelt, kurz nur, als wäre die versperrte Haustür ein Versehen gewesen, das zu entschuldigen ich gerne bereit war. Vielleicht war aber auch mein Klingeln nicht gehört worden. Wer wusste denn, mit welcher Hörbarkeit der Klingelton im Inneren der Praxis ertönte? Allzu penetrant durfte er schließlich nicht sein; die Patienten könnten das übelnehmen. Vielleicht hatte die Ärztin aber auch Urlaub, und niemand war anwesend. So etwas passierte, und mich hätte es nicht sonderlich überrascht.
Neugierig trat ich einen Schritt zurück, versuchte, irgendeinen Hinweis auf Urlaub zu entdecken. Doch ich fand nichts. Ich klingelte ein zweites Mal, diesmal länger, kräftiger, und trat erneut zurück. Vielleicht hing ja im Fenster ein kleines Schild. Oder irgendwo klebte ein Aufkleber „Urlaub vom ümpften Juni bis zum blorksten Juli.“ Nichts.
Die Tür brummte. Mein Klingeln war erfolgreich gewesen; mir wurde Einlass gewährt.
Doch bevor ich den Türgriff berühren konnte, hatte sich seine kleine, alte Frau an mir vorbeigestohlen, die Tür geöffnet und die wenigen Stufen zur Hochparterre hinaufbegeben. Das gibt’S doch nich!, dachte ich verblüfft. Dreist und kommentarlos hatte sich die Omi vorgedrängelt – und wollte natürlich auch zur Allgemeinärztin.
Das Wartezimmer war voll, nur ein einziger Sitzplatz frei. Ein Kind beschaute sich fasziniert einen Artikel über den „Sex and the City“-Kinofilm, und ich fragte mich, ob es nicht bessere Lektüre für ihr Alter gab. Ein junge Frau blätterte in einer Mode- und Promizeitschrift, und ich entdeckte auf Anhieb neun Gründe, warum ich sie unsympathisch fand. Die anderen Wartenden waren unauffällig, von buntem und weniger buntem Blattwerk gefangengenommen.
An der Anmeldung staute es sich. Die alte Frau wollte wohl unaufdringlich wirken und ließ großen Abstand zu ihrem Vordermann. Genug, um mich schon fast wieder aus der Praxis hinauszubefördern. Genug, um meinen potentiellen Hintermann zum ebenfalls Vordrängler werden zu lassen: Er hatte nicht wahrgenommen, dass wir anstanden und sich spontan in die Riesenlücke vor Omi eingereiht. Omi schwieg, empörte sich nicht.
Interessiert beobachtete ich sie. Entweder sie tolerierte als geübte Vordränglerin fremdes Vordrängeln – oder sie sie fraß ihre Entrüstung in sich hinein.
„Entschuldigung.“, sagte ich in freundlichstem, höflichstem Tonfall zu meinem potentiellen Hintermann. „Wir stehen auch an.“ Mein potentieller Hintermann wurde zu einem richtigen, und Omi fand nun, da jemand die Thematik auf die Tisch gebracht hatte, ihre Stimme: „Genau. Hinten anstellen!“
Darauf hätte ich antworten sollen. Doch ich schwieg.
Da musst du nachsichtiger werden. Ich denke immer: Klar , geht doch vor, ich hab noch mehr Zeit als ihr…..;-)
Habe mal von jemandem gehört, der das sogar dem entsprechenden Tattergreis ins Gesicht gesagt hat, aber das würde ich niemals tun!
Alte Menschen sind manchmal schon furchtbar! Merke das an meinen Eltern, die werden auch „immer wichtiger“ und nörgeliger, und warten ist offensichtlich nicht standesgemäß!
REPLY:
Naja, ich bin eigentlich durchaus ruhig und geduldig. Und auch in diesem Fall hätte ich, wenn ich etwas gesagt hätte, wohl eher einen Scherz gemacht, als wirklich Kritik zu üben.
Ich finde ja alte Menschen nicht generell furchtbar. Ich bin auch oft genug vorgelassen worden [und lasse auch gerne selber vor], doch ich mag es nicht, wenn man sich über Dinge echauffiert, die man wenige Augenblicke noch selber praktizierte. Gemecker fetzt nicht.
[Ich vertrete die durchaus streitbare These, dass der Großteil der Menschen vernunfbegabt ist.]
Oh, das ist in der Tat streitbar…..