Regenbogenelefanten

Peter und Felix waren den Elefanten bereits dreieinhalb Tage gefolgt. Es war ihrer erste Safari, und keiner der beiden wusste, was zu tun war, wenn sie wirklichen Gefahren ausgesetzt waren. Doch bisher war alles gut gegangen. Sie hatten sich ruhig verhalten, in Büschen gesessen und die Elefantenherde beobachtet, als gäbe es in ihrer Mitte einen Schatz zu entdecken.

„Regenbogenelefanten.“, hatte der Einheimische in überraschend verständlichem Deutsch ihnen erklärt. „Das sind Regenbogenelefanten.“ Dann war er, mit einem wissenden Grinsen auf den Lippen verschwunden, irgendwo in der Menschenmenge eines Basars, aus dem ihn weder Rufe noch Verfolgungsversuche zurückzuholen vermochten.
„Regenbogenelefanten.“, murmelte Peter nun und schüttelte den Kopf. Er hatte von ihnen gehört. Eine alte Geschichte. Eine Legende.
Regenbogenelefanten waren von herkömmlichen afrikanischen Elefanten nicht zu unterscheiden. Zumindest nicht für Uneingeweihte. Es sei denn, sie gebaren Kinder. Regenbogenelefantenkinder waren bunt, schillerten nach ihrer Geburt in den verrücktesten Farben und glichen sich erst nach und nach, innerhalb mehrerer Wochen, an das eintönige Grau der Älteren an. Regenbogenelefantenbabys waren, wollte man den Legenden glauben, das Schönste, was Mutter Natur hervorgebracht hatte, und wer eines erblickte, würde Zeit seines Lebens nie wieder unglücklich sein.
„Regenbogenelefanten.“, seufzte Felix und strich sich einen Ast aus dem Gesicht. Zum dritten Mal, doch war es egal. Ihm war langweilig.

Seit Mittag hatte sich die Herde nicht mehr weiterbewegt. Die hochschwangere Elefantenmutter stand in ihrer Mitte und wurde von riesigen Leibern vor allem Äußeren geschützt. Es würde jeden Augenblick so weit sein, sagten sich Peter und Felix bereits seit Stunden.

Plötzlich: ein Geräusch. Peter sprang auf, zückte sein Fernglas. „Es geht los!“, raunte er Felix zu.
Tatsächlich. In der Herde war Unruhe entstanden. Viel war nicht zu sehen, doch die Bewegungen waren hektischer, nervöser, als noch Sekunden zuvor.
Felix nickte. Nun ging es los.

Sie hielten Wache. Wechselten sich ab. Immer einer starrte durch das Fernglas, beobachtete die Elefantendame. Der andere schlief, besorgte Nahrung. Hielt Ausschau nach Gefahren. Nach anderen.
Die Nacht war erfüllt von den merkwürdigsten Geräuschen. Die Elefantendame stöhnte. Das Kalb in ihr wollte heraus.
Peter schüttelte müde den Kopf. Es war noch nicht soweit.

In der zweiten Nacht schliefen sie beide. Felix war bei der Wache eingenickt, ein Speichelfaden lief sein Kinn hinab. Sie schnarchten leise, und manchmal schien es, als würden sich die Rhythmen ihrer Geräusche zu einer faszinierenden Komposition ergänzen.

Als die Sonne aufging, erwachte Peter. Sprang auf. Zückte sein Fernglas.
„Es ist soweit.“, flüsterte, stieß Felix mit dem Fuß an. „Es ist soweit!“
Felix knurrte.
„Steh auf!“, flüstere Peter etwas lauter und trat – nicht ganz ohne Absicht – etwas fester zu.
Felix riss die Augen auf.
„Wasnlos?“
„Es ist soweit.“, wiederholte Peter und zeigte zur Herde.

In diesem Augenblick teilte sich der Block grauer Leiber und gab die Sicht frei. Auf die Elefantendame. Und ihr Kalb. Ihr Baby.
Peter schossen die Tränen in die Augen. „Nicht doch.“, sagte Felix mit belegter Stimme und reichte ihm ein Taschentuch.
Das Regenbogenelefantenbaby stand bereits auf eigenen Füßen. Nicht sehr sicher, doch es stand. Der Rüssel der Mutter blieb in steter Nähe, berührte es, gab Gleichgewicht. Ein erster Schritt.
„Es läuft!“, rief Peter beglückt.
„Schhhhht.“, mahnte Felix und wischte sich eine Träne von der Wange.

Als die Herde weiterzog, ließen sie Peter und Felix zurück, in ihrem Busch versteckt, die Ferngläser vor die Augen gepresst – und selig lächelnd.
„Das war vielleicht das Schönste, was ich je sah.“, sagte Peter nun schon zum vierten Mal. „Das Schönste.“
Felix nickte. „Aber es ist nicht bunt. Das Baby ist nicht bunt.“
Peter nahm das Fernglas herunter und schüttelte mit dem Kopf. „Nein, nicht bunt. Ein ganz normales graues Elefantenbaby. Kein Regenbogenelefant.“ Er seufzte. „Leider kein Regenbogenelefant.“ Er machte eine kurze Pause und lächelte zufrieden. „Und trotzdem.“
„Trotzdem.“, wiederholte Felix und nickte nochmals.

Er blickte ein letztes Mal auf den neugeborgenen Elefanten, dessen Schritte längst nicht mehr unsicher und holprig wirkten, seufzte kurz und nahm das Fernglas ebenfalls herunter.
„Zeit zu gehen.“, sagte er.
„Zeit zu gehen.“, sagte Peter und packte seine Ausrüstung zusammen.

Nur wenige Hundert Meter entfernt pupste ein Elefantenbaby, und für einen Augenblick schillerte die entweichende Luft in allen Farben des Regenbogens.