Begegnungen 50: Kapuzineräffchen

Als ich durch den Park lief, begegnete ich einem Kapuzineräffchen. Es wollte gerade eine Buche hinaufklettern und schaute mich, als es meine Schritte vernahm, neugierig an.
„Hallo Kapuzineräffchen!“, grüßte ich fröhlich und wäre am liebsten zum Äffchen gerannt, um sein niedliches Gesichtchen zu küssen. Es sah mich verdutzt an.
„Hallo Kapuzineräffchen!“, grüßte ich noch einmal und winkte. Seine Äuglein funkelten und seine winziges Näschen glänzte ein wenig. Vielleicht vor Freude.
„Hallo Kapuzineräffchen!“, grüßte ich ein drittes Mal und grinste über das ganze Gesicht.
„Ich bin kein Kapuzineräffchen!“, rief das Kapuzineräffchen und versuchte, mich böse anzusehen. Doch Kapuzineräffchen sind selbst dann noch drollig, wenn sie einen böse anstarren. Ich kicherte.
Das Kapuzineräffchen tat zwei Schritte auf mich zu und wiederholte dann: „Ich bin kein Kapuzineräffchen!“ Die Kapuzineräffchenohren wackelten aufgeregt. „Ich bin ein Meerschweinchen!“
Nun war ich verdutzt. Ein Meerschweinchen? Damit hatte ich nicht gerechnet.
„Ich bin ein Meerschweinchen!“, rief das Kapuzineräffchen, das keines war, trompetete kurz mit seinem Rüssel und stampfte davon.

Begegnungen 49: Anzug

Ich betrachtete mich im Spiegel. Zupfte am Jacket. Es passte wie angegossen. Und selbst die Anzughose fühlte sich nun, nachdem ich sie in die Reinigung gegeben hatte, wieder an, als wäre sie maßgeschneidert. Nur die Fliege saß nicht richtig.
Ich seufzte, schaute noch einmal in den Spiegel, schüttelte mit dem Kopf. Nein, so konnte ich mich nicht auf die Straße wagen. Sicherlich war das nur ein kleines unwichtiges Detail, doch der Perfektionist in mir wollte es richtig haben. Richtig richtig.
Ich schaute auf die Fliege. Sie gefiel mir. Ich hatte sie bereits gemocht, als ich sie geschenkt bekam. Andere hätten vielleicht verwundert gefragt, was sie mit einer Fliege sollten. Ich hingegen wusste, dass sie zu mir passte. Nicht nur zu meinem Anzug, sondern tatsächlich zu mir. Eine Fliege war … klassisch.
Doch sie saß nicht richtig.
Ich blickte in den Spiegel. Legte den Kopf schief. Starrte die Fliege an.
„Setzt dich richtig hin!“, sagte ich zu ihr. Sie flatterte kurz mit den Flügeln und brummte missmutig.
„Los!“, sagte ich.
Die Fliege setzte sich richtig hin.
„Du weißt doch, dass du Rückenschmerzen bekommst, wenn du nicht gerade sitzt.“, meinte ich zu ihr in versöhnlicherem Tonfall.
Die Fliege nickte betreten.
„Ich hab dich lieb, kleine Fliege.“, sagte ich zu dem Flügelwesen auf meiner Schulter, strich meine Krawatte ein letztes Mal glatt und ging los.

Begegnungen 48: Stein

Am Wegesrand entdeckte ich einen viereinhalb Meter hohen Stein. Beinahe hätte ich ihn übersehen, denn der riesige Stein war äußerst unauffällig. Meine Blicke glitten immer wieder von ihm ab. Er schien sich große Mühe zu geben, nicht entdeckt zu werden.
„Hallo Stein.“, begrüßte ich ihn.
„Hallo.“, antwortete er leise, mit einer Stimme, die auch Windhauch hätte sein können. Oder das Rauschen eines vorbeifahrendes Autos.
„Du bist ziemlich unauffällig.“, sagte ich.
„Mmmh.“, sagte der riesige Stein und versuchte zu nicken.
„Du gibst dir wohl ziemlich große Mühe, nicht aufzufallen?“, fragte ich.
„Hier drüben bin ich.“, sagte der riesige Stein, und ich drehte mich um. Tatsächlich: Meine Blicke waren von dem unauffälligen riesigen Stein abgeglitten, und ich hatte ihn innerhalb weniger Sekunden völlig aus den Augen verloren.
„Du gibst dir wohl ziemlich große Mühe, nicht aufzufallen?“, fragte ich erneut.
Der riesige Stein antwortete nicht, und plötzlich wusste ich nicht mehr, wo er sich befand.
„Stein?“, fragte ich, doch der riesige Stein hatte seine Anstrengungen verdoppelt und war nun unauffälliger als ein kirschkerngroßes Chamäleon.
Der riesige Stein schwieg, und ich erblickte ihn nicht länger.
„Du bist echt gut.“, lobte ich ihn. Der riesige Stein lächelte, doch ich sah es nicht.
Ich lächelte ebenfalls. Wenige Augenblicke später hatte ich vergessen, warum.

Begegnungen 47: Frosch

Auf der Wiese saß ein Frosch. Er sah verlockend hübsch aus, und in Windeseile hatte ich den Weg verlassen und mich ihm genähert. Er quakte leise, und ich konnte nicht anders, als sein Quaken wundervoll und niedlich zu finden.
„Hach.“, sagte ich verzückt und setzte mich neben den bezaubernd aussehenden Frosch. Dieser hüpfte ein wenig von mir weg und quakte dann erneut.
„Hihi.“, gluckste ich vor Freude, und bevor ich darüber nachdenken konnte, grifff ich das kleine grüne Tierchen und küsste es.
„Quak.“, sagte der Frosch traurig, und es hätte auch ein Seufzen sein können.
Plötzlich geschah es: Ein Zischen und Wuschen erfüllte die Luft. Die Welt verzerrte sich für einen Augenblick, meine Sinne wurden schwer, und mein Kopf schien explodieren zu wollen. Als ich wieder zu mirkam, war der Frosch verschwunden. Doch neben mir stand ein wunderschöner Prinz.
„Oh nein.“, seufzte der wunderschöne Prinz. „Nicht schon wieder.“
„Wieso?“, wollte ich wissen. „Was ist denn los?“
„Ach.“, seufzte der wunderschöne Prinz. „Ständig küsst mich jemand, und dann verwandle ich mich in einen Prinzen. Ich will aber lieber ein Frosch sein.“
„Ui.“, sagte ich und überlegte. „Kann man dich nicht irgendwie zurückverwandeln?“
Der wunderschöne Prinz schüttelte traurig mit dem Kopf.
„Es geht schon. Ich muss nur jemanden finden, der mich NICHT küsst.“
„Und?“
„Ich bin so wunderschön. JEDER will mich küssen.“
Er hatte recht. Selbst ich, der eigentlich lieber Frösche als Prinzen küsste, konnte mich kaum zurückhalten.
„Wie wär’s hiermit?“, fragte ich und reichte ihm zweieinhalb Knoblauchzehen. „Einfach zerkauen und abwarten.“
Der wunderschöne Prinz schaute mich skeptisch an.
„Und falls das nicht hilft.“, ergänzte ich. „Sag einfach, dass du ein Freund von mir bist. Das schreckt jeden ab.“
„Danke.“, meinte der wunderschöne Prinz unsicher.
„Nichts zu danken.“, antwortete ich und gab ihm einen Abschiedskuss.

Begegnungen 46: Tür

Es klopfte. Träge öffnete ich meine Augen um einen winzigen Spalt und tastete nach dem Wecker. 4.17 Uhr. Wer klopfte denn um diese Uhrzeit? Ich drehte mich um und zog mir die Bettdecke über den Kopf.
Es klopfte erneut. „Keiner da!“, rief ich in Richtung Tür und verkroch mich noch tiefer unter die Decke.
Dann war es still. ‚Endlich.‘ dachte ich und wartete darauf, dass mich der Schlaf wieder umarmte.
Es klopfte.
„Gna.“, brummte ich und stieg aus dem Bett. Langsam schlurfte ich in Richtung Tür. Noch einmal klopfte es. „Jaaah!“, rief ich genervt und riss die Wohnungstür auf. Draußen war niemand.
Ich sah mich um, doch der Flur war leer.
„Gna.“, brummte ich erneut, als es wieder klopfte.
An der hölzernen Tür hing ein Specht.
„Ein echter Specht!“, rief ich verwundert.
„So ist es.“, sagte der Specht und nickte.
„Suchen Sie etwa hier nach Holzwürmern?“, wollte ich wissen, und der Specht nickte erneut.
„Und deshalb hämmern Sie wie wild auf die schöne Holztür ein?“, wollte ich wissen, und der Specht nickte ein drittes Mal.
„Das machen Spechte üblicherweise.“, sagte der Specht.
Ich dachte kurz nach.
„Stimmt.“, gab ich zu.
Der Specht schaute mich erwartungsvoll an.
„Wenn Sie die Holzwürmer suchen: Alle beide liegen noch im Bett.“, sagte ich und ergänzte, mit den müden Augen rollend: „Die stehen normalerweise nicht vor 9 Uhr auf.“
„Ui.“, sagte der Specht. „Dann komme ich später noch einmal wieder.“
„Aber benutzen Sie bitte die Klingel.“, sagte ich und schloss die Tür.