Begegnungen 45: Klingeln

Es klingelte. Bereits seit mehreren Minuten. Ich seufzte genervt. Konnte nicht irgendjemand dieses dämliche Klingeln abstellen? Was war das überhaupt? Eine Alarmanlage? Eine Türklingel? Ein Wecker?
Ich ging dem Geräusch nach. Es schien von draußen zu kommen. Von meiner Terrasse? Ich öffnete die Glastür und blickte nach draußen. Das Klingeln wurde lauter. Keine Türklingel, schlussfolgerte ich und ging ein paar Schritte nach rechts, in Richtung der Wohnung meines Nachbarn. Er war bereits auf Arbeit, wusste ich, hatte ich ihn doch vor einer halben Stunde in rasantem Tempo wegfahren gesehen.
Das Klingeln wurde noch ein bisschen lauter. Es schien aus einem Busch zu kommen und nicht länger nach einer Alarmanlage zu klingen.
Unter dem Schlafzimmerfenster meines Nachbarn lag ein Wecker. Er war ein bisschen demoliert, fast so, als habe ihn mein Nachbar im Halbschlaf aus dem Fenster geschleudert und dann vergessen. Der Busch hatte wohl größere Schäden abgefangen.
Fröhlich klingelte der Wecker vor sich hin, und ich konnte nicht anders, als seine Ausdauer zu bewundern. Dennoch sprach ich ihn an:
„Hey!“
Der Wecker klingelte weiter.
„Hey!“, rief ich erneut. „Könntest du bitte etwas leiser klingeln?“
Das Klingeln hörte auf, der Wecker brummte etwas vor sich hin und klingelte dann weiter.
„Hey, Wecker!“, rief ich nun in immenser Lautstärke. „Das Klingeln nervt!“
Der Wecker schwieg erneut, murmelte: „Nur noch fünf Minuten, Mutti.“, drehte sich von mir weg und setzte seine Klingelei fort.
Ich seufzte und ließ den schnarchenden Wecker allein.

Begegnungen 44: Grashüpfer

Als ich heute Morgen zur Bahn rannte, begegnete ich einem Grashüpfer.
Verwundert hielt ich inne.
„Was machst du denn hier?“, fragte ich.
„Ich hüpfe durchs Gras.“, sagte der Grashüpfer. „Ich bin nämlich ein Grashüpfer.“
„Ach.“, sagte ich.
„Grashüpfer hüpfen durchs Gras.“, erklärte der Grashüpfer.
„Interessant.“, sagte ich. „Aber hier ist gar kein Gras. Nur Kies.“
„Nee, kann nicht sein.“, sagte der Grashüpfer und schüttelte mit dem Kopf. „Ich bin doch ein Grashüpfer. Und Grashüpfer hüpfen durchs Gras.“
Der Grashüpfer machte eine dramatische Pause.
„Aber niemals hüpfen Grashüpfer durch Kies. Niemals! Dann wären wir ja keine Grashüpfer, sondern Kieshüpfer, und alles geräte durcheinander, und ich bekäme Kopfschmerzen.“
„Das hier ist aber Kies.“, sagte ich, bewegte meinen Fuß und ließ den Kies unter meinen Sohlen knirschen.
„Nee.“, sagte der Grashüpfer. „Das ist Gras. Ich bin doch ein Grashüpfer.“
„Und Grashüpfer hüpfen durchs Gras.“, ergänzte ich.
„Jup.“, nickte der Grashüpfer fröhlich.
„Dann ist der Kies unter meinen Schuhen in Wirklichkeit Gras?“, fragte ich.
„Da bin ich mir ganz sicher.“, bestätigte der Grashüpfer. „Ich bin schließlich ein Grashüpfer. Ich kenne mich da aus. Schließlich …“
„… hüpfen Grashüpfer durchs Gras.“, fiel ich ihm ins Wort.
Der Grashüpfer strahlte. „Stimmt genau.“
Ohne weitere Worte abzuwarten, hüpfte er davon.
„Mach’s gut.“, murmelte ich und setzte meinen Weg fort zur Bahn. Der Kies unter meinen Sohlen knirschte noch ein bisschen, dann hörte er damit auf, fühlte sich plötzlich weicher und irgendwie grüner an.
„Vielleicht hat der Grashüpfer ja recht.“, überlegte ich und lief vergnügt durchs Gras.

Begegnungen 43: Rhabarber

Als ich heute Morgen das Haus verließ, strahlte die Sonne bereits in fröhlichster Wonne auf mein Haupt, Ich schmunzelte vergnügt, und anstatt mich zu beeilen, rasch auf Arbeit anzukommen, schlenderte ich auf dem Weg zur Bahn gemütlich durch den mit fleißig zwitschernden Vögeln gefüllten Park. Dann sah ich den Rhabarber.
„Rhabarber!“, rief ich verwundert aus. „Mitten im Park!“
„Gemeiner Rhabarber, um genau zu sein.“, verbesserte der Rhabarber. „Rheum rhabarbarum.“
„Ach.“, sagte ich.
Der Rhabarber nickte. „Genau so heiße ich.“
„Toll! Und was machst du hier mitten im Park?“, fragte ich den Rhabarber.
„Ich denke nach.“
Ich schaute etwas verdutzt, und bevor ich die Frage ausgesprochen hatte, begann der Rhabarber bereits, sie zu beantworten:
„Über meinen Namen.“
Mein verdutzter Blick hielt an, und der Rhabarber erklärte:
„Ich mag meinen Namen nicht. Überhaupt nicht, um genau zu sein. Noch nicht einmal ein bisschen.“
„Warum denn nicht?“
„Weil niemand den Namen schreiben kann. Selbst die schlauesten Leute schauen vorher bei wikipedia oder im Wörterbuch nach, bevor sie sich sicher sind, wie mein blöder Name geschrieben wird.“ Der Rhabarber seufzte. „Und das nervt.“
„Ich verstehe.“, sagte ich mitleidig.
Der Rhabarber stand eine Weile still und sagte nichts. Dann blickte er mich an und grinste.
„Ich heiße nicht länger Rhabarber!“, verkündet er stolz. „Ab jetzt heiße ich Peter!“
„Aber das ist MEIN Name!“, rief ich noch, doch Peter hatte sich bereits meinen Aktenkoffer geschnappt und rannte in Richtung Haltestelle.