Dose

Bereits als Kind wusste ich, dass aus mir eines Tages etwas Großes werden würde. Deswegen ging ich jeden Tag einkaufen. Ich kaufte nicht viel, mal ein Brötchen, mal gar nichts, und manchmal brachte ich sogar etwas zurück.
Es war an einem Donnerstag, als ich die Dose Bohnen zum Supermarkt zurückbrachte. Ich hatte sie am selben Tag gekauft, geöffnet, geleert und dann auf das Etikett geschaut. Das Verfallsdatum war 23 Jahre überschritten. Sofort begann mein Magen zu rumoren.
Der Weg zum Supermarkt war nicht weit. Sobald ich bei meinen Eltern ausgezogen war, hatte ich dafür gesorgt, unweit des Supermarktes zu wohnen. Herr Wadensumpf, der Inhaber, kannte mich gut, und bis zu der Sache mit seinem Hund hat er mich auf regelmäßig zum Grillen eingeladen. Ich mochte ihn nicht, doch ich mochte seinen Laden.
Ich lief zum Supermarkt. Meine Beine fühlten sich komisch an, meine Arme fühlten sich komisch an, und es sah aus, als würde sich der graue Asphaltboden mit jedem Schritt weiter von mir entfernen.
„Guten Morgen.“, grüßte ich Herrn Wadensumpf und winkte mit der leeren Bohnendose. Wenn ich mit Gegenständen winkte, wusste Herr Wadensumpf stets, dass eine Reklamation bevorstand, und sein ohnehin mürrisches Gesicht verzog sich noch ein wenig mehr.
Herr Wadensumpf wirkte kleiner als sonst, und zum ersten Mal bemerkte ich, dass ihm die Haare ausgingen. Und dass er mit jeder vergehenden Sekunde zu schrumpfen schien.
Ich reichte ihm die Dose. „Das Verfallsdatum ist 23 Jahre überschritten.“, sagte ich, und meine Stimme klang ungewohnt tief.
Herr Wadensumpf betrachtete das Etikett. Dann betrachtete er mich. Dann noch einmal das Etikett.
„Das kann nicht sein!“, rief er und fuchtelte mit den Armen. Er war wirklich sehr klein.
„Das hast du manipuliert!“, rief er. Wütend warf er mir die leere Dose an das Knie. Höher konnte er offensichtlich nicht werfen.
„Ich werde diese Dose nicht umtauschen!“, rief Herr Wadensumpf schließlich und stürmte zu seinem Laden zurück.
„Aber…“, begann ich und machte einen Schritt vorwärts. Es knirschte kurz unter meinem Fuß.

Die Wirkung der Bohnen ließ ein paar Stunden später nach. Der Richter sprach mich frei, und der Supermarkt brauchte einen neuen Besitzer. Freudestrahlend begann ich meinen neuen Job.
Vor der Ladentür würde noch lange ein dunkler Fleck an Herrn Wadensumpf erinnern, und immer wieder würde ich den Kunden die Geschichte der mysteriösen Dose Bohnen erzählen. Und jedesmal würde ich lächeln, weil es etwas gab, das nur ich wusste:
Tief im Keller wartete eine große Kiste voller Dosen darauf, 23 Jahre alt zu werden.

Ein Gedanke zu „Dose“

  1. … da war er aber platt, der Herr Wadensumpf, hihi
    Ich werde morgen gleich mal etwas Gänseleberpastete im Keller einlagern – vielleicht klappt’s auch mit der Gold-Gans.

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