Flucht

Alles in mir strebte nach Flucht. Ich wollte fliehen, wegrennen, wollte alles Hiesige hinter mir lassen. Doch ich weigerte mich.
‚Diesmal nicht!‘, dachte ich störrisch. ‚Diesmal werde ich nicht nachgeben. Diesmal werde ich ausharren.‘ Ich schob die Unterlippe vor und verschränkte die Arme. ‚Diesmal bleibe ich.‘
Mein Herz jedoch sprach eine andere Sprache. Wild geworden pumpte es in meiner Brust, schwellte mir die Adern. Meine Muskeln waren angespannt, bereit zum Lauf, bereit zur Flucht. Meine Backenzähne rieben sich knirschend aneinander. Ich wollte hier weg.
Doch ich blieb.
Zu oft war ich geflohen, hatte mich den Umständen gebeugt, hatte innere Stärke gesucht und nicht gefunden, hatte mich heimlich aus dem Jetzt entfernt, um irgendwann in einem anderen wieder aufzutauchen. Viel zu oft war ich gerannt, viel zu oft hatte ich die Welt hinter mir gelassen, hatte allen Sorgen den Rücken zugekehrt und war geflohen, irgendwohin, wo ich einen Moment lang Ruhe und Einkehr finden konnte.
Doch diesmal nicht.
Viel zu oft hatte ich die Augen verschlossen, hatte verdrängt, was mich belastete, hatte mich klammheimlich aus meinen Sorgen gestohlen, war geflohen, wenn ich in innerem Chaos zu versinken drohte.
Doch diesmal nicht.
Ich würde bleiben, mich den Problemen stellen, die in vielfacher Form auf mich zukamen, deren wildes Äußeres selbst den Mutigsten vertrieben hätte. Ich würde bleiben. Hier. Jetzt. Mit beiden Füßen innehalten. Mich allem stellen, was kommen würde. Egal, was es kostete.
Mein Puls raste. Schweißperlen glitzerten auf meiner Stirn. Meine Zehenspitzen zeigten in die Ferne, und sehnsüchtig folgten ihnen meine Blicke.
Doch ich blieb. Verharrte. Würde nicht länger fliehen. Nicht länger aufgeben.
Ich blieb.
Binnen weniger Sekundenbruchteile hatten mich die Wölfe eingeholt. Plötzlich schien der ganze Wald nur aus grauen Leibern zu bestehen.
Doch ich floh nicht.
Blieb.
Die Welt wurde zu Krallen und Zähnen.