Schwelende Zeilen

In meinem Mund warten Geschwader unausgesprochener Worte auf den richtigen Augenblick, die richtige Situation, auf den [er]lösenden Gedanken, der sie befreit, von mir befreit, in die Welt und fremdes Gehör entläßt. So vieles wünsche ich zu sagen, das erst auf meiner Zunge schwelt, wenn ich längst vorüber geeilt, wenn das Gespräch längst beendet.

Die Worte sammeln sich in mir.

Manchmal flüstere ich sie heimlich in das mitternächtliche Dunkel, in die Bilder, die ich im Geiste male. Manchmal entschlüpfen sie mir mit einem Seufzer in die Leere, wo ich sie schwinden, sich verlieren sehe.

Dennnoch schweige ich nicht. Doch während ich rede, höre ich mir zu. Ich schüttle innerlich den Kopf ob des Gesagten, ob des Gemeint-aber-nicht-Gesagten. Ich höre mich um Kopf und Kragen reden, befehle mir Themenwechsel, als könnte ich etwas retten, als könnte ich der richtigen Worte Weg finden.

Schwer liegt die Zunge in ihrer Höhle, versperrt der Worte Weg. Erst später wird sie weichen, nachgeben unter dem steigenden Druck des Ungesagten.

Zuweilen schreie ich.

Wenn ich verstumme, höre ich die Gedanken sprechen, die Möglichkeiten sich durch meinen Schädel wälzen, neue Silben kreierend, zu Worten, Sätzen knüpfend. Ich will aufstehen, losrennen, die Zeiten zurückdrehen, ihr gegenüberstehen und alles sagen, ausspeien, freilassen, was darauf wartet, ihr Antlitz zu streifen und in ihre Sinne einzudringen.

Manchmal renne ich tatsächlich.

Unterwegs jedoch purzeln einzelne Buchstaben auf meinem atemschweren Mund, stürzen hinab auf den Boden, hinterlassen eine unsichtbare Spur des Ungesagten. Ich halte inne, klaube auf, auf, was mir entfiel, stopfe eilig die Fragmente zurück in ihre Höhle, werfe sie wild durcheinander.

Als ich sie erreiche, ihr meine schwelenden Zeilen schenken will, entrinnt meinem Mund nur wirres Wortwerk, nur namenloses Stottern.

15 Gedanken zu „Schwelende Zeilen“

  1. Genau so ist das mit den ungesagten Worten.
    Manchmal kann man sie aufschreiben, an einem sicheren Platz.
    Wenn sie einen Adressaten und wirklich wichtig sind, warum nicht einen Brief schreiben?

  2. zu sein: Schreiben Sie. Schreiben Sie die Höhle zur Heimat und die Abgründe zu Rampen wunderschöner Flugdrachen; schreiben Sie Briefe voller Gesang, ohne Scheu vor dem dunklen Moll, den Tiefen (Andante) und schrillem Jazz, der sich aus dem Füller plappert. Schreiben Sie Landschaften Ihrer Seele, kleine Tümpel oder gewaltige Gebirge, Gezeiten, Wetter, Jahreszeiten Ihrer inneren Welt. Schlicht: Schreiben Sie sich zum Wort, das sich so – step by step – leichter sprechen lässt. Sie werden dann keine „Geschwader“ mehr brauchen.

    Herzlich,
    Jana

  3. REPLY:
    Unterschiedliche Gründe:
    Manchmal, weil ich alles bereits tausende Male auf verschiedenste Weise ausdrückte – ohne daß die erwünschte Wirkung eintrat..
    Zum anderen vielleicht auch, weil mir die Eigenschaft innewohnt, Zeichen zu sehen, die keine sind, mich in Wünsche, Träume, hineinzusteigern. In solchen Fällen hilft – hoffentlich – das teetrinkende Abwarten, das zum einen – vielleicht – eine Art Normallevel wiederherzustellen vermag, zum anderen aber schon mögliche Trends und vorhersehbare Aussichtslosigkeiten zu Tage bringt…

  4. REPLY:
    Schön ausgedrückt.

    Schreiben…
    … in den letzten Monaten ging mir der Wunsch zu schreiben verlustig. Manchmal dringt es durch; und entweder ich bin schnell genug oder ich vertage es ins [N]Irgendwann.

    Doch ich werde mir den Rat zu Herzen nehmen…

  5. REPLY:
    ähm… nochmal kurz aufgrund der dortigen schlechten laune:

    meiner eine ist aufnahmetechnisch inzwischen bei take 40(!) angelangt…

    weia, weia,
    die outtakes sind jetzt schon der hammer!

    beschwichtigende schlaf-nachhol-grützße

    fomm frollein dö.

    ächz.
    wird schon.
    alles.

  6. REPLY:
    40?!? Ich hätte schon längst aufgegeben!
    „Ich bin sehr gespannt.“ zu schreiben, wäre maßlos untertrieben.
    Vielleicht beabsichtigen Sie aber auch, unter dem Vorwand, Ordentliches zu Kreieren, einen Outtakes-Podcast zu schaffen, der sich alsbald in die Riege der A-Blogs mit einfügen wird, weil ja derzeit derartiges gefragt ist [siehe Sendekonzepte von RTL&Co]…

    Und die Laune? Die wird schon.
    Und so.

  7. REPLY:
    nein, jetzt kann ich erst doch recht nicht mehr aufgeben!
    das ganze liegt auch nur an dem tollen neuen mikrofon, das zwar ganz prima für gesangs- aber für sprachaufnahmen fast schon zu empfindlich ist.
    da rauscht der rechner wie ein düsenjet bei der aufnahme und man hört die katze ameise ein stockwerk höher im schlaf maunzen.
    ächz.
    plötzlich auftretende störungen des sprachzentrums bzw. völliges sich-vertüddeln in einem der mammutsätze geben dann der sache den rest.

    aber ich schaff das.
    pah.
    wär doch gelacht…

  8. REPLY:
    Großer Kampfgeist und so.

    Ich entsinne mich dunkel, mal eine Aufnahme mittels eines Notebooks gemacht zu haben, das so laut war, das selbst die fieseste Nachbearbeitung nichts retten konnte. Schlümm schlümm. Katzenmiauen dagegen fetzt.

    [Hatten Sie in Ihrer Zu-Tun-Liste das Podcast-Dingens nicht bereits durchgestrichen?]

  9. REPLY:
    nun ja: ich weiß nicht, ob das gemaunze so sehr fetzt…
    sogar das am-kratzbaum-kratzen ist bei einer aufnahme so laut zu hören, als kratzte das viech direkt am mikro.

    idee: werde das höllengerät (mikro, nicht katze) demnächst mal zum belauschen der merkwürdigen nachbarschaft missbrauchen, hrhr.

    und: ich habe das „podcast-dingens“ nur bis zum anfang von „und bloggen“ durchgestrichen.
    ist also alles völlig korrekt, da ja auch etwas aufgenommen wurde. vom „finalen“ take war nie die rede… 😉

  10. REPLY:
    Tolles Mikro. Meines nimmt kaum auf, wenn ich reinschreie
    Tolle Idee. Der Merkwürdige-Nachbarschafts-Podcast. Die werden sich froin.
    Tolle Ausrede. Für mich sah usprünglich es so aus, als müßte der Kram nur noch veröffentlicht werden.
    Aber ich harre geduldig aus, um mich dann über die perfekte Aufnahme zu froin…

    Wie symbolisch ist es eigentlich, das Wort „perfekt“ falsch zu schreiben?

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