In der Badewanne

Ich bade selten. Mit vier Gleichaltrigen eine Wohnung zu teilen bedeutet, sich in den Bädern niemals wirklich heimisch fühlen zu können. Schließlich wartet vielleicht schon der nächste potentielle Nutzer vor der Tür, sich ärgernd, daß jemand sich erdreistete, ein ausgiebiges Bad zu nehmen.

Es hat sich durchgesetzt, daß Baden-Wollende die anderen Anwesende über ihr Vorhaben in Kenntnis setzen. Ein von höchsten Dringlichkeiten getriebenes Türgerüttel kann somit vermieden werden. Dennoch mißfällt mir die Vorstellung, daß irgendwer, und sei er mir auch noch so gut bekannt, die im Bad gesuchte Entspannung durch versehentliche Badtüröffnungsversuche zunichte machen könnte.

Obgleich ich als Kind nahezu täglich badete, stellt für mich heute ein Wannenbad tatsächlich etwas Exklusives dar, das nicht durch Kannst-dU-dich-bitte-beeilen-Profanitäten zunichte gemacht werden sollte. Wächst also in mir der Wunsch nach einem Bad, so harre ich geduldig aus, bis ich die Wohnung nur noch mit mir selbst teile und ein Eintreffen der anderen innerhalb der nächsten Stund auch nicht erwartbar ist.

Ich bade selten, und vergesse deswegen immer wieder, was mir während des Badens jedesmal bewußt wird: Baden ist öde und unspektakulär. Angeblich die beste Art, Entspannung zu finden erweist sich bereits nach wenigen Minuten als unnützes Warten auf die sich einstellende innere Ruhe.

Erst vorgestern badete ich. In Ermangelung besserer Badezusätze hatte ich dem Wasser ein paar Tropfen Kneipp-Erkältungsbad beigefügt und ein angenehmes, Nase befreiendes Aroma geschaffen, das mir glücklicherweise zusagte. Ich liebe es, heiß zu baden, so heiß, daß ich es nahezu nicht mehr ertrage, daß mir jede Pore zu brennen, zu jucken scheint, wenn ich meinen Körper langsam in das heiße Wasser versenke. Als Kind versuchte ich bei jedem Bad, die Wassertemperatur ein kleines Stückchen näher an Unerträgliche anzunähern – und mich durch Gewöhnung abzuhärten.

Vermutlich gibt es nur zwei Momente am allein konsumierten Wannenbad, die wirklich von Bedeutung sind: Das Ein- und das Auftauchen.

Das heiße Wasser verschlingt, verbrennt meine Haut, und ich erfreue mich des Gefühls, wenn der anfängliche Schmerz gewichen ist und wohliges Hitzeempfinden zurückläßt. Ich benetze jeden Quadratmillimeter Haut langsam, mit Vorsicht, behutsam, will auskosten, was sich allzu schnell in Gewöhnung wandelt.
Irgendwann liege ich. Wasser verschlingt, bedeckt meinen Körper, nur der Kopf bleibt verschont, gekrönt von bereits feuchtem Haar. In die Stille des Badezimmers, der leeren Wohnung atme ich Eukalyptus- und Metholdämpfe, und ein Lächeln findet meine Lippen, als ich begreife, daß ich mich wohl fühle, daß in diesem Moment alles in Ordnung ist.

Der Augenblick jedoch ist kurz, viel zu kurz. Denn alsbald empfinde ich das heiße Wasser nur noch als unbedeutendes, heißes Wasser. Schon entdecke ich die erste Frage, ob ich es mir erlauben dürfe, die Wanne bereits wieder zu verlassen, in meinem Denken, gekoppelt mit dem schlechten Gewissen des Verschwenders. Ich bleibe..

Unnütz liegt meine Brille auf dem Wannenrand; beschlagen erblindeten die Gläser. Ich versuche, in einem guten Buch zu lesen, die Badezeit künstlich zu verlängern, doch ohne Sehhilfe erweist sich das eigentlich Angenehme als unerwartet anstrengend. Ich kämpfe mich durch die Zeilen und spüre, wie ich unruhig werde, mich bewegen möchte, mich nicht länger auf die gedruckten Worte konzentrieren kann.
‚Was soll am Baden so toll sein?‘, wudnere ich mich, lege das Buch weg, erledige die üblichen Waschformalitäten und reiße den Stöpsel aus dem Wannengrund. Schon will ich aufstehen, als ich innehalte. Der zweite gute Moment: Das Auftauchen.

Lächelnd lehne ich mich zurück, spüre das Wasser langsam aus der Wanne entweichen, an meinem Leib vorbeigleiten, sich in den Ausfluß stürzen. Mein Körper taucht auf, ohne sich zu bewegen, ist der feucht-warmen Badezimmerluft ausgesetzt, doch friert nicht. AUfgehitzt erfreue ich mich der Ruhe, die mich endlich gefunden hat. Während die letzten Tropfen Wasser der Wanne entweichen, verspüre ich zum zweiten Mal völliges Wohlbefinden, tauche ein in die Entspannung, die mir das Badewasser erst durch dessen Fehlen geben konnte. Ich friere nicht, mein Herz klopft laut, aufgepeitscht von der nun entwichenen Hitze; ich fühle mich leben. Zufrieden schließe ich die Augen und verharre im Moment. Es ist ruhig; keine Musik belästigt meine Ohren, keine Stimmen. Nur Stille. Und Wärme. Und ich.

Als die Hitze meines Leibes zu entfliehen beginnt, stehe ich auf. Meine Haut ist längst getrocknet, und selbst das Haar wirft keine Wasserperlen auf den Fliesenboden, als ich der Wanne entsteige. Das weiche Handtuch reibt die letzten Topfen weg.
‚Ein Bademantel wäre nicht schlecht.‘, denke ich und schlüpfe glücklich in frischgewaschene Kleidungsstücke.

[Im Hintergrund: Dementi – „Für Heute Reicht’s“]

3 Gedanken zu „In der Badewanne“

  1. Baden ist schön, obwohl ich in einer WG wahrscheinlich gar nicht baden könnte, allein die möglichen Geräusche der Anderen stören mich! Das Eintauchen und Austauchen ist wirklich das Beste, getoppt wird es nur vom Unterwasserbleiben, für Sekunden nichts hören, nichts sehen…wie ein Embryo! 😉

  2. REPLY:
    Ha! Ich wußte, daß du dich zu diesem Text äußern würdest.
    Untertauchen fetzt, das stimmt – aber nur in Verbindung mit möglichst langandauerndem Luftanhalten…

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