MiSt: Rockfabrik Ludwigsburg

Obwohl der Routenplaner sich als guter Wegweiser erwiesen hatte und ein Neonschriftzug grell leuchtend darauf hinwies, schaffte ich es, an der Ludwigsburger Rockfabrik vorbeizufahren. Der Rückwährtsgang half nur bedingt, brachte er mich doch auf einen akkurat befüllten Parkplatz, der sich weigerte, auch nur eine einzige autogroße Lücke zu präsentieren. ‚Ganz schön groß.‘, dachte ich, die vielen Fahrzeuge um mich herum betrachtend.

Ich wendete, angefüllt mit Optimismus. Industriegebiete neigen schließlich vor allem nachts dazu, diverse Freiplätze zu bieten. Ich hatte Recht, parkte, stellte nachträglich fest, dass sogar ein Parkdeck existierte, und lief in Richtung Neonschrift. Ich kannte nichts und niemanden und war aus irgendeinem Grund nervös. Nach außen jedoch versuchte ich mich als Wissender zu geben, lief ohne Zögern an den üblichen Vor-dem-Eingang-Rauchern vorbei, betrat das Gebäude, sichtete die Kasse, passierte angenehm überrascht aber mit regloser Miene zahlreiche abschließbare Schränke, zahlte 4 Euro Eintritt, ließ mich von den Türstehern unsichtbar bestempeln [Woher wissen die, wann die Stempelfarbe alle ist?] und war drin.

Die Erstblickgröße der Lokalität wollte mich innehalten lassen, doch ich wandte mich nach rechts, alle anderen Optionen kurz aber eindringlich musternd: Dort sah es nach Toilette aus, da nach Treppe, vermutlich zum zweiten Floor führend. Direkt neben mir befand sich eine Art Rundbar mit polstrigen Sitzmöbeln, gut genug vom Lärm abgeschottet, um in einigermaßen normaler Lautstärke miteinander reden zu können. Ich war erfreut und lief weiter, Richtung Musik.

Gitarren tönten, kein Metal, wie gehofft, sondern Hardrock, irgendwo in den 80ern angesiedelt. Der Name Whitesnake fiel mir ein, doch bezweifelte, dass er seine Richtigkeit hatte. Immerhin war die klangliche Befüllung angenehm, nicht völlig meinem Geschmack entsprechend, aber dennoch gut genug, um bleiben zu wollen.

Die Wände waren bedeckt mit düsteren, aber qualitativ hochwertigen Gemälden, denen es weder an Tötenköpfen noch an weiblichen Brüsten mangelte. Zudem war es hell, unnötig hell für mich, der es gewohnt war, sich in bewusst schlecht beleuchteten Clubs der Musikalbewegung hinzugeben. Dennoch fühlte ich mich wohl.

Die Tanzfläche war groß und für ihre Ausmaße überraschend dicht bevölkert. Um sie herum befand sich eine Art Geländer, an das sich allerlei wartende, schauende und im Takt wippende Gestalten lehnten und das an diversen Stellen für Tanzflächenzugänge unterbrochen war. Hinter dem Geländer gab sich eine Art Sitzbank, der Tanzfläche zu, natürlich ebenfalls in Blickrichtung des Tanzgeschehens, an das sich wieder eine Art Geländer anschloss.

Beide erwähnten Geländer beinhalteten etwas, das ich spontan Balkonkästen nannte und dazu diente, abgestellte Trinkgefäße, egal ob befüllt oder nicht, zu beherbergen und somit deren Umfallrisiko zu schmälern. Zunächst glaubte ich, dass die Balkonkästen auch eine Abflussvorrichtung enthielten, doch erfuhr recht rasch, nachdem ich ein wildfremdes Desperados, das unsachgemäß positioniert worden war, versehentlich in den B-Kasten stieß, dass der Kasten nicht zuletzt aus Löchern bestand, die jede Vergussflüssigkeit gen Erdboden laufen ließen.

Hinter dem Geländer begann der Gang und hinter diesem befanden sich, zumindest auf der einen Seite der Halle [denn ein Raum war dies gewiss nicht] weitere Sitzmöglichkeiten.

Der DJ residierte an erhöhter Position hinter Glas und bestand aus mehreren Personen, die scheinbar immer wieder ausgetauscht wurden. Es sah nicht so aus, als wären Musikwünsche sonderlich willkommen. Immerhin, und das entdeckte ich erst relativ spät, gab es zwei Schwarz-Weiß-Monitore, auf denen das Cover des derzeit vernehmbaren Musikstücks zu sehen war. Ein guter Gedanke, doch ungut umgesetzt. Das multipersonale DJ hatte offensichtlich eigenhändig dafür zu sorgen, dass die CD-Hüllen vor der Kameralinse landeten und platzierte sie zumeist mit unzureichender Präzision und unnötiger Verzögerung. Letztlich lief es auf eines hinaus: Wenn man das CD-Cover kannte, also mit Musikgruppe und deren Werk vertraut war, konnte man es auf den Bildschirmen erkennen – obwohl man es dann nicht mehr zu erkennen brauchte.

Ich ging einmal um die Tanzfläche herum, verwundert ob der ungewohnten Buntheit der Kleidung, besuchte – vorwiegend aus Neugierde – die erstaunlich saubere Toilette und erklomm dann, anderen folgend, die Stufen, die mich vermutlich zur zweiten Ebene führen würden, jene Ebene, die auf der rockfabrikigen Heimseite für den heutigen Tag als „Gothic-Metal“ beziffert worden war und mich dementsprechend froher Hoffnung sein ließ.

Zunächst jedoch betrat ich eine Raucherlounge. Im Hintergrund lief leise Musik, es gab einen Billardtisch, Sitzmöglichkeiten und eine Bar – ein angenehmer Ort, um sich vom Diskolärm in ein Gespräch zurückzuziehen – wenn man den ersten Wortteil von „Raucherlounge“ ignorierte.
Eine weitere Tür, weitere Stufen, weitere interessante Wandgemälde, und plötzlich Rumsbums.

„Rumsbums“ ist meine favorisierte Bezeichnung für unhelle elektrische Musik, die ich in bewusster Unkenntnis komplett mit diesem Label versehe, wenn mir danach ist. Selbst Nicht-Rumsbums-Musik kann mir zu rumsbumsig sein, extremer Rumsbums hingegen wirkt schon wieder auf unerklärliche Weise attraktiv.

Floor 2 war eine Enttäuschung. Es gab mehr Platz als erwartet, mehr Sitzmöglichkeiten, sogar eine kleine Bühne und eine Bar, aber auch mehr Licht als gewünscht – und natürlich mehr Rumsbums als für Gothic-Metal gesund war.

Hier oben entsprach das Äußere der Anwesenden schon eher meinen Erwartungen, und ich begrüßte das Zurückweichen von Farblichem. Zwar tummelten sich auf der doch recht kleinen Tanzfläche auch ein paar alkoholisierte oder verwzeifelte Normalmenschen, die wohl von unten hineingeschwemmt waren, doch bin ich der letzte, der ihnen Freude verweigern will. Zudem waren die „Grufties“ eher uninteressant, undscheinbar und gering an Zahl. Immerhin gab es ein paar angenehm schillernde Ausnahmen, die mich hoffen ließen, dass Stuttgart und Umgebung tatsächlich so etwas wie eine Schwarze Szene besaßen. Die Zahl der Gestalten, die ich den Metallfreunden zugerodnet hätte, konnte ich an einer Hand abzählen – mich eingeschlossen und nach einem Besuch im Sägewerk.

Die Musik war okay, mehr nicht, und ich gesellte mich zusammen mit einem pfandfreien 0,5er-Bierglas voller Cola an den Raumrand auf eine Sitzbank, wo ich interessierte Blicke auf die Tanzfläche warf, um die wenigen Sichselbstbeweger mit kritischem Blick zu mustern. Sie bestanden die Prüfung – gerade so.

Ich erhob mich, ging nach unten. Die Drück- und Ziehrichtungen der insgesamt drei Zwischenebenentüren zu erraten, sollte ein Vergnügen war, dessen ich am gesamten Abend nicht überdrüssig wurde.
Unten lief Judas Priest. Leider in den letzten Takten. Ich nickte vergnügt mit dem Kopf und hoffte auf das nächste Lied. Später auf das übernächste. Beziehungsweise auf das danach.

Die Musik war nie schlecht, eigentlich sogar meistens gut, doch mir nur selten bekannt. Marilyn Manson vernahm ich irgendwann, leider mit einem Lied, das ich nicht mochte. Und zu Metallica bange ich nur in Ausnahmefällen. Ich setzte mich auf eines der Geländer, hielt mich an meinem Bierglas fest [Dass ich das mal über mich schreiben würde] und beobachtete. Menschen. Und wunderte mich.

Natürlich waren mir längst nicht nur die unschwarzen Kleidungsstücke aufgefallen, die die Diskothekenbesucher mehr oder weniger erfolgreich bedeckten, sondern ich hatte auch bemerkt, dass ich keineswegs – wie befürchtet – ins Ludwigsburger Embryoschubsen geraten war, sondern vielmehr selber zu denen gehörte, die am unteren Ende der Altersskala angesiedelt waren. Doch erst jetzt wurde mir es wirklich bewusst, dass ich in einem schlechten Film gelandet war:

Eine Diskothek mitten in den 80ern, irgendwo in Süddeutschland. Einer sonderbar aussehenden, anscheinend angetrunkenen Gestalt wird der Zutritt verwehrt. Sie bettelt und fleht, geht auf weißen Linien, um ihre Nüchternheit unter Beweis zu stellen, fasst sich an die Nase, springt auf einem Bein, rezitiert Schillers Glocke, lockt fast das ganze Diskothekenpublikum vor die Tür, doch findet keinen Einlass. Die Türsteher bleiben hart, und die Anwesenden lachen sich kaputt.

Da stößt die Gestalt ihre Arme in den Himmel und ruft laut: „Ich verfluche euch, o Südländer! Fortan sollt ihr jeden Samstag hier verweilen, auf ewig die gleichen Lieder hören, zu den geichen Klängen tanzen, die gleichen Menschen sehen! Ihr sollt Runzeln bekommen und Haare verlieren, doch hier, in dieser Tanzlokalität, seid ihr dazu verdammt, euch aufzuführen, als wäret ihr jung für immer! Hardrockklassiker werden euer Leben sein – jeden Samstag für alle Zeit!“

Die Anwesenden lachen, verhöhnen die Gestalt noch mehr, langweilen sich jedoch bald und kehren dann in ihre Diskothek zurück. So wie fortan jeden Samstag Abend.

Hin und wieder gelingt es einem neuen Lied, einem neuen Besucher, sich einzuschleichen und das verfluchte Fabrikgebäude mit neuem Leben zu bereichern; neue Technik hält Einzug, neue Musikmedien, farblose Stempel und Raucherzonen – doch im Grunde bleibt alles gleich: Samstag für Samstag finden sich die Alternden zusammen und zelebrieren die Rockmusik der 80er und ihre erloschene Jugend mit einer Fröhlichkeit, der ein bitterer Beigeschmack von Verzweiflung mitschwingt…

So könnte es gewesen sein, dachte ich schmunzelnd, und zugleich freute ich mich für die Anwesenden, die die rockigen Klänge mit ganzem Leib genossen, die – obwohl es oft albern, oft unpassend, oft sehr bemüht, fast tragisch, aussah – Spaß an „ihrer“ Musik hatten, an Musik, die mich zum Teil wünschen ließ, ein paar Lieder besser zu kennen, um mich ebenso auf der Tanzfläche vergnügen zu können.

Hin und wieder wanderte ich nach oben. Dort änderte sich nicht viel. Ich besuchte das dortige WC, das erstaunlich klein, aber für Diskothekenverhältnisse nahezu reinlich war, setzte mich irgendwohin, noch immer meine schwindende Cola umklammernd, und wartete auf gute Musik. Als sie kam, seufzte ich innerlich. War ja klar, dass ich ausgerechnet zum Mainstreamigsten tanzen würde.
Obgleich ich mich Depeche Modes „Enjoy The Silence“ beispielsweise verweigere, mag ich doch „Never Let Me Down Again“ sehr und bewegte – endlich – meinen Leib. Kurze Zeit später geschah es ein zweites Mal, dass ich aufhorchte: Nine Inch Nails‘ „Closer“. Grund genug, erfreut zu sein.

Wenn ich abends weggehe, fühle ich mich stets, als trüge ich einen Gutelauneakku mit mir herum. Mein Ziel ist es, mich von der Lokalität entfernt zu haben, bevor er den Nullpunkt oder gar den Minusbereich erreicht. Und zwei Gutlieder reichten aus, um den Akku komplett zu befüllen. Ich hoffte noch immer auf Besseres, doch war zunächst zufrieden.

Es kam nichts Besseres. Der Oben-DJ hatte irgendwann ein Einsehen mit mir und erlaubte sogar Gitarristisches, also Musik, die ich entfernt unter Gothic-Rock einordnen würde, die ich auch einigermaßen leiden konnte, doch zu der ich mich nicht bewegen wollte. Nach drei Liedern war es dann auch wieder vorbei, und ich bewegte mich doch – zu Ebene 1.

Dort saß ich ein wenig herum und spürte, wie mein Akku sich leerte. Die Musik fühlte sich an, als müsste jeden Moment ein gutes Lied beginnen, doch nichts dergleichen geschah. Irgendwann zeigte der DJ, in diesem Augenblick eine Frau, auf mich und redete mit einer neben ihr Stehenden DJ-Personifizierung. Vielleicht zeite sie auch nur in meine Richtung, doch ich hoffte, sie meinte mich. Beziehungsweise mein Bandshirt. Danzig war schließlich eine Musikformation, die musikalisch sogar ins Konzept gepasst hätte. Und außerdem hatte ich soeben festgestellt, dass ich zwar schon zahlreichen Menschen beim Zappeln zugeschaut hatte, dass ich sogar ein paar Unter-Zwanziger gefunden hatte, die zum Teil headbangen konnten, sich aber jeden Fall zu – aus ihrer Perspektive – uralter Musik vergnügten – dass ich aber selbst die untige Tanzfläche noch nicht betreten hatte.

Die DJ-Tante schaute schon wieder, und ich fühlte mich unwohl. Zum Glück begann ein Lied, das ich kannte: Iced Earth „The Hunter“. Gelassen legte ich mein Jacket ab, ging auf die Tanzfläche, suchte mir ein Stück Freiraum und begann, mein Haupthaar zu schütteln.

Die Cola war längst geleert, die Musik oben vermochte mich nicht länger zu locken, und auch die alternden Verfluchten vermochten nicht länger, spannend zu sein. Und so kam ich, dass ich ein paar Minuten lang mitging, die Musik lebte, Haare schüttelte, mich freute, mich amüsierte – und dann heimkehrte.

2 Gedanken zu „MiSt: Rockfabrik Ludwigsburg“

  1. Hi,

    ich glaube du wärst Freitags in der Rofa besser aufgehoben.
    Der Laden ist dann voller und dann läuft auch wirklich Metal.

    Wenn du noch mehr junggebliebene Verfluchte suchst kannst du dein Glück im Seestudio in Böblingen versuchen.

    Viel Spaß Rock on!

    Greetz

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