MiSt: Die Röhre

Es sei erwähnt, dass die Beiträge der Reihe „MiSt – Morast in Stuttgart“ keineswegs einer chronologischen Ordnung unterliegen. Es ist also durchaus möglich, dass ein Text von frühlingshaften Temperaturen erzählt und der nächste Winterbekleidung beinhaltet.

Die Maklerin, die mir vor etwa zwei Monaten meine Wohnung vermittelte, hatte behauptet, dass es in Stuttgart kaum regnen würde. Seitdem erlebte ich jeden der durchaus zahlreichen Regentage mit besonderer Intensität, immer ihre Worte im Hinterkopf hörend.

Zum Glück mag ich Regen, und daher störte es mich auch nicht, dass Nieselregen den Tag befüllte, an dem ich mit kollegialer Begleitung die Stuttgarter Loaktion namens „Röhre“ suchte. Unweit des Hauptbahnhof sollte sie sein, also mitten im Zentrum gelegen, perfekt erreichbar mit allerlei Arten öffentlichen Personennahverkehrs. Doch obwohl Kollege T ihre genaue Position zu kennen glaubte und ich in weiser Voraussicht googlige Karten befragt hatte, verirrten wir uns.

Immerhin war eins klar: Die Röhre ist ein kleiner Club, der in eine Brücke eingelassen ist, dementsprechend auch röhrenförmigen Charakter besitzt. Allein dieses Wissen schränkte das Suchfeld ein, und alsbald stießen wir auf ein paar Schwarzgewandete, die offensichtlich zum gleichen Konzert wollten wie wir, jedoch ungeachtet des Wetters kurzbeinlig und -ärmlig bekleidet waren.

Wir folgten unauffällig, und als wir einen schmalen, aber betonierten Pfad durch einen kleinen, wild wuchernden Park begangen hatten, trafen wir auch schon auf die überall zu findenden Raucher, die den Eingang zum Club mit Zigarettenstummeln markierten.

Letzte Instanz sollte auftreten, eine Band also, die durchaus gemischtes Publikum lockt, dementsprechend meine Studien zur Existenz einer Schwarzen Szene in Stuttgart nicht unbedingt vorantreiben würde. Der Eingang führte in einen Vorraum, in dem sich gleich rechts der Merchandisebereich befand. Noch vor diesem konnte ich mittels Türsteherbefragung die Garderobe ausmachen und freute mich, meine winterliche Oberbekleidung und den Rucksack in bewachende Obhut geben zu können. Die Kleidungsstücke wurden sämtlich auf Bügeln abgelegt, die wiederum stilecht und platzsparend an stählernen Ketten hingen.

Vom nicht sehr großen Vorraum gingen links und rechts die Toiletten ab, die, wie ein späterer Besuch zeigen sollte, keineswegs zu Stuttgarts Sehens- und Riechenswürdigkeiten zählten.

Eine Treppe führte in den Hauptraum, der zunächst mit dem Barbereich begann. Ich erinnere mich nicht daran, was ich für meine Cola bezahlte, doch weiß, dass die Plastikbecher Pfandgut waren und dass die Barleute, selbst als irgendetwas am Boden zerschellte, ungewohnt gute Laune hatten.

Während sich also links der Getränkeausschank befand, existierte rechts die umzäunte Klang- und Lichtsteuerei. Vor dieser begann dann der eigentlich Rumsteh- beziehungsweise Rumhüpfbereich, und tatsächlich standen bereits zahlreiche Konzertbesucher wartend herum. Niemand hüpfte.

Die Röhre wirkt klein, und ich bin kein guter Publikumsmassenschätzer, doch reicht sie für mainstreamferne Bands durchaus aus. Gut gefüllt ergeben sich Menschenmengen, die imstande sind, angenehmste Konzertstimmung zu erbringen. Auch die Bühne war nicht sehr groß, schien gerade ausreichend zu sein für die immerhin sieben Instanzler zu sein, die nachher selbst mich Konzertrumsteher und „Die-neuen-Sachen-mag-ich-nicht-so“-Sager zur begeisterten Körpermovation treiben würden.

Zunächst jedoch lärmte die Vorband herum, eine zweiköpfige Formation, deren Namen ich nicht verstand und mich in Anbetracht ihrer Darbietung auch nicht sehr interessierte. Es war unangenehm, was da von der Bühne tönte, und damit meine ich nicht nur die 0815-Keyboard-Samples und den schiefen Gesang. Ich hatte bei jedem Liedimitat das Gefühl zu wissen, wohin der Song eigentlich gehen sollte – ohne dass dieses Ziel auch nur ansatzweise in Sichtweite gewesen wäre.

Ich nutzte die Zeit zur Lokationsbeschauung. Die Röhrenförmigkeit und die Brückeninnerei waren offensichtlich und sorgten für ein abgewrackt-bauhausig-fabrikiäres Flair, das mir durchaus behagte, war es mir doch aus zahlreichen anderen Clubs bereits bekannt. Ich konnte mir gut vorstellen, hier Abende mit Schneeschnieberei und Kopfschüttelei zu füllen, auch wenn das Programm der Röhre anscheinend eher Technoorientierung zeigte.

Letzte Instanz fetzten. Ich hatte von den letzten drei Alben so gut wie nichts mitbekommen, doch konnte mich nicht der Begeisterung verwehren, die diese Band auslöste. Der Klang war anfangs ungut, wurde aber nachgebessert, so dass auch die eher zarte Sängerstimme mit dem krachigem Instrumentarium konkurrieren konnte. Und natürlich wurde nicht auf Klassiker wie „Rapunzel“ verzichtet. Und natürlich wurde das Publikum einbezogen, durch Wörter und Taten. Und natürlich war es unmöglich, still stehen zu bleiben.

Das anschließende Abholen meiner Garderobe dauerte ein wenig zu lang, und der Prasselregen, der uns am Ausgang empfing, war unfreundlich kalt. Doch mein zum Bersten gefüllter Gutelauneakku blendete all das aus, ließ mich innerlich glühen – und sorgte dafür, dass ich nicht nur die Letzte Instanz, sondern auch die Stuttgarter Röhre in positivster Erinnerung behalten würde.