Das kitzelt

„Hihi!“, lache ich. „Das kitzelt!“
Das tut es nicht, doch liegt mir nichts ferner, als Kinderaugen mit Tränen zu füllen. Wenn also mein Neffe Ronald der Ansicht ist, mit recht ungeschickten Fingerbewegungen ein Kitzeln zu verursachen, indem er mich irgendwo am Körper berührt, nicht zart, feinfühlig, mit ausgewogenen, nur hauchenden Bewegungen, sondern grob, plump, fast unkontrolliert, während insgesamt drei Lagen Stoff meine Haut von der seinen trennen, dann werde ich mich nicht weigern, werde ich nicht mit ratgebendem Wort auf seine unausgereifte Motorik und die Vergeblich-, ja Sinnlosigkeit, seines Bemühens hinweisen, werde ihn nicht mit Unwohlsein und Unfreundlichkeit seinen Kitzelversuch, seine Sehnsucht nach eigenhändig erweckter Heiterkeit, nach einem Schmunzeln auf meinem sonst sorgenzerfurchten Antlitz, zerschmettern, auf seinen Krabbeleiimitaten herumtrampeln, als gelte es horrorfilmigigste Widerwärtigkeiten zu vernichten, nein, ich werde tun als ob, lüge fast, versuche mich an hochwertigster Schauspielerei, und lache, zaubere aus den Tiefen meiner Erinnerung das echteste falsche Lachen hervor, das hervorzuzaubern ich imstande bin, und erwarte, ersehne, meinerseits, dass selbiges ihn zum Lachen brächte, dass sein bemitleidenswerter Versuch, als Heiterkeitstriebfeder zu fungieren, trotz aller Künstlichkeit des bei mir erwirkten Ergebnisses wiederum der Fähigkeit frönte, echte Heiterkeit in demjenigen zu verursachen, der die Amüsanzkette begann, der also in diesem Augenblick mit seinen ungeschickten Hand-Enden meinen dick verpackten Leib knetet und somit mangels besseren Wissens und besseres Könnens eine Art Kitzeln nachahmt, das jedoch…
„Onkel Peter!“, werde ich in meinen Überlegungen unterbrochen. Mein Neffe hat das Kitzeln eingestellt und sieht zu mir auf. Nicht erheitert, nicht lachend, wie ich es angesichts meines Ausrufs, meiner Bereitwilligkeit zum Gekitzeltwordensein, erhoffte, nicht einmal mit dem Ansatz eines Schmunzelns benetzt, nein, mit vielleicht erstmalig zerfurchter Stirn, mit zu einem leicht vorstellbaren V manifestierten Augenbrauen, mit einem Funkeln in den Augen, das Ungutes erahnen lässt, und Mundwinkeln, denen Grimm innewohnt.
„Onkel Peter!“, ruft Roland, und tatsächlich ist es nicht Frohsinn, der da aus seiner Stimme spricht, sondern gebändigter Zorn, ein Grollen fast, das, würde sich sein Besitzer nicht beherrschen, leicht in Wutesschreie und Unflat auszuarten imstande wäre, das, gäbe es nicht…
„Onkel Peter! Ich kann deine Gedanken lesen!“, ruft Ronald aus, und in meinem Kopf explodiert die Flut aus Betrachtungen und Ersonnenem, aus …
„Ist ja gut!“, rief Ronald. „Ich kann deine Gedanken lesen!“
Tränen schießen in Ronalds Gesicht, und alles, was mir bis zu diesem Zeitpunkt durch den Kopf wirbelte, weicht einer Leere, tropft fahl und jeder Existenz beraubt von den Wänden der Gedankengänge, verblasst zu Scham und Trauer, sucht irgendwo in den Winkeln meines Einfühlungsvermögens nach eigenen Tränen, die jene Rolands begleiten, die den plötzlich auftretenden Schmerz aus meinem Herzen, meinen Sinnen, spülen könnten, die mich meiner Schmach beraubten und sie vielleicht, möglicherweise, nur ein bisschen, ein winzigkleines bisschen korrigierten, in die richtige Richtung rückten, ihre Bosheit abzumildern imstande wären, und auf nahezu magische…
„Ich kann deine Gedanken lesen.“, wiederholt Ronald. „Doch ich tu‘s nicht. Denn niemand, niemand auf der ganzen Welt, kann diesen umständlichen, gestelzten Kram ertragen, den du die ganze Zeit von dir gibst!“

wie wäre es

wie wäre es dachte ich mir und ein verschmitztes grinsen erfüllte mein antlitz würde ich einen text schreiben der sich weigerte dem auge einen halt zu geben der keine pause machte keinen absatz einfügte der sich jedem satzzeichen jedem innehalten gegenüber weigerte der mit der unlesbarkeit flirtete der nur darauf wartete dass der zeilenbetrachter erschauernd seinen blick abwendete um dann in tiefstem mittendrin zwischen wortketten und belanglosigkeiten bedeutsamstes innovativstes kreativstes darzubieten provokative kunst vielleicht in ihrer einfachheit sprachraubende tiefsinnigkeit möglicherweise oder gar ein fehlen derselben an prominenter stelle wo sie nicht nur erwartet werden würde sondern auch nötig gewesen wäre um dem text nicht nur einen hauch von nutzen zu verleihen sondern überhaupt einen kern ein zentrum zu schaffen um das zu drehen gedanken und buchstaben sich erlauben könnten wie wäre es dachte ich mir wenn ich auf jedes vordenken verzichtete wenn ich schriebe was mein geist produzierte hoffend dass meine finger mit den flackernden bildern in meinem schädel mitzuhalten imstande sein und nicht versehentlich ungewünschte großzeichen und satzzäsuren einem antrainierten automatismus folgend in das verfasste einfließen lassen würden wenn ich also worte atmete anstelle von luft auf digitales papier exhalierte anstelle in das unfreiwillig lauschende mobiliar eines raumes wenn das beruhigende klacken der tasten minutenlang mein denken darstellte und das eigentliche das echte verdrängte wenn ich am anfang einer zeile nicht wüsste was deren ende bereithielte wenn ich mich bereits zu beginn meines satzbaukastens weigerte auch nur erahnen zu wollen welche wege dieser berg aus nichtigkeiten zu beschreiten willens wäre wenn sich irgendwann nach zahllosen nebensätzen nach zahllosen aufzählungen nach zahllosen fehlenden zeichen herausstellte dass ich imstande war ein vielzeiliges äquivalent von leere zu schaffen das liebevoll mit fülle und reichhaltigkeit beschriftet worden war obgleich beides zu finden ein vergebliches unterfangen darstellte wie wäre es dachte ich mir und schmunzelte noch immer leise in mich hinein wenn ich über etwas spekulierte das doch längst entstand zu seiner entstehung aber der spekulationen bedurfte wenn ich mich also im kreis drehte und am ende nicht nur zum anfang zurückgekehrt wäre sondern feststellte zwischendrin zwar zahlreiche schrittähnliche bewegungen ausgeführt zu haben tatsächlich aber keinen einzigen millimeter vorangekommen zu sein wie wäre es überlegte ich dann und seufzte bereits präventiv beim innerlichen betrachten dieser möglichkeit wenn jemand daherkäme mit wissen und wollen behaftet und behauptete in alledem eine fabel auf das dasein auf mein dasein einen spiegel für meine eigene existenz zu finden wenn er gar bücher schwenkend darauf verwiese dass selbst die wortreiche inhaltsarmut interpretierbar sei bedeutung habe dass nichtkommunikation in bereichen der unmöglichkeit liege dass es vielleicht gar zu preisende kunst sei die soeben meinen fröhlich aber nicht sonderlich sorgsam auf der tastatur hin und hergleitenden fingern entsprang es wäre albern beantwortete ich meine frage lächerlich und sinnfrei zugleich und grinste wie ein russisches panamakänguruh beim gedanken daran die welt mit einem solchen unnützen ungetüm belästigen zu wollen

augenblick

verzückt halte ich inne, schlage meine krallen in die zeit und lass die welt vorübertreiben, sich weiterdrehen, seiner fahlen bedeutung folgen. doch die bedeutung bin ich, ist der moment, war das jetzt und wird es ewig sein. mein lächeln zirkuliert durch alle sinne, und funken entfliehen meinen augen. ich gleiße. der atem wispert zaubernamen, hallt als sterngedanke durch das all. jedes wort ein silberschmunzeln, jede tat ein hauch aus licht und nichts. ‚wenn ich wäre‘, lautlos glimmt mein mund zu klang, ‚dann für dich.‘ und zwischen uns, zwischen den beginnenden ewigkeiten, bröselt zeit zu kichersternen, glimmen pfade ihr göttersanftes antlitz in unser zweisein, lassen sich greifen, scheu zu zarten schwingen flechten, als harrte alles existieren unseres schwebeschrittes, eines augenblickes der verzückung, in dem ich innehalte und berühre, innehalte und gleiße, innehalte und zu leben werde.

Wie du

„Ich wäre gern wie du.“, sagte ich leise zu dem Elefanten, der sich nahezu lautlos an mich heranschlich. Doch meine Ohren sind groß, und ich bemerke viel. Der Elefant stank ein wenig, nicht viel, nur ein bisschen. Er hatte sich sogar gewaschen, bevor er hier eingedrungen war. Doch meine Nase ist lang, und ich bemerke viel.

„Ich wäre gerne wie du.“, sagte ich leise zu dem Elefanten, der mich verwundert anschaute.

„Du … du bist wach?“, frage er mich, und ich konnte fast fühlen, wie er erbleichte. Der Speer in seiner Hand fiel zu Boden, und ungeschickt hob er ihn wieder auf. Hielt die steinerne Spitze in meine Richtung.

„Du wolltest mich töten.“, stellte ich fest, sachlich, ruhig, wie es meine Art ist. „Im Schlaf.“
Der Elefant nickte betreten.
„Du wolltest mich töten!“ wiederholte ich und erhob mich langsam. „Mich – eine Tonne Muskeln und Fleisch. Mich – mit stärksten Zähnen bewaffnet! Mich – der dich mit einem Schwenk seines Schädels zerschmettern, mit einem Fuß zertreten könnte!“
Der Elefant nickt erneut.

„Und du bist allein.“, stellte ich fest, doch hatte mich bereits beruhigt. „Allein. Nur mit einem lächerlichen Holzstab bewaffnet.“
Der Elefant nickte wieder, dieses Mal jedoch energisch, fast kraftvoll.

„Ich muss essen.“, sagte er, und ich spürte, wie seine Stimme mit jeder Stimme an Stärke gewann. „Ich muss mich ernähren, muss meine Familie ernähren, muss meine Horde ernähren. Wir alle müssen essen.“
Er hob den Speer.
„Ich war bereit, dich zu töten, und bin es immer noch!“
„Ich weiß.“, sagte ich leise. „Und deshalb wäre ich gern wie du.“

Der Elefant hob den Kopf, schaute mir in die Augen und wartete darauf, dass ich fortfuhr. Er hat seine Angst überwunden, spürte ich. Jeder Muskel in seinem Leib war angespannt. Der Speer zeigte in meine Richtung, und zum ersten Mal begriff ich, dass er mir damit tätsächlich Wunden zufügen könnte. Und würde.

Ich war ein Koloss, ein König unter meinesgleichen, ein Gott für jene, die hier lebten. Ich ließ den Boden zittern, konnte Fels zermalmen. Sich mir entgegenzustellen, bedeutete den Tod. Und doch wagte es der Elefant, und doch stand er hier, bewaffnet mit Mut und Speer, und wartete auf meine Worte. Auf meine Entscheidung.

„Ich bewundere dich.“, sagte ich. „Bewundere den Funken, der dir innewohnt, bewundere den Willen, der dich vorantreibt, die unbändige Kraft deines Geistes. Du bist dumm und klug zugleich, bei aller Schwäche stark, ein wandelnder Widerspruch, ein Faszinosum der Schöpfung.“
Ich sah ihn an. Er begann zu verstehen.

„Ich überrage Bäume.“, fuhr ich fort. „Es ist leicht, mächtig zu sein, wenn man Bäume überragt. Wenn niemanden einen aufhalten kann. Wenn man Steine tragen und die Welt mit lautem Ruf erschüttern kann. Wenn niemand den eigenen Frieden zu stören wagt. Es ist leicht.“

Der Elefant flüsterte nun. Es klang wie ein Gebet, wie ein Mantra, ein immer wieder ausgestoßenes „Nein! Nein! Nein!“

Ich lächelte, und meine Worte waren voller Liebe.
„Du bist anders. Anders als wir alle. Du und deinesgleichen.“
„Bitte nicht.“, flüsterte der Elefant, und seine Augen waren schreckensgeweitet.

„Ich bewundere dich. Bewundere euch. Wäre gerne wie du. Wünschte, wir alle wären so wir ihr!“
Ich brüllte nun; meine Worte waren ein oOkan, fegten sich über die Steppe und ließen die Nacht verstummen.
„Und so sei es!“, posaunte ich heraus, und meine Stimme ballte sich zu einem Fluch.
„Nein!“, schrie der Elefant ein letztes Mal, hob schützend seine Hände vor das entsetzte Gesicht.
„So sei es!“, rief ich, und Donnerschläge stürzten vom Himmel herab, alle Wirklichkeit zu vernichten.

Als der Elefant erwachte, hatte sich die Welt weitergedreht. Sein Leib war nun der meine, sein Denken, sein Fühlen. Ein grauer Klotz mit langer Nase und riesigen Ohren. Ein faltiges Ungetüm, dem sich niemand entgegenzustellen wagte. Die Stoßzähne ragten furchteinflößend aus seinem Maul heraus, doch ich hatte alle Angst längst hinter mich gelassen.

Der Speer lag in meiner Hand, als wäre er dort geboren worden.
Ich hatte Hunger.

Das Kaninchenchen

Und dann sah ich den Hasen wieder.

Kein Hase, natürlich, Hasen gibt es hier selten. Wohl ein Kaninchen, und noch nicht einmal ein großes. Ein Kaninchenchen vielleicht.

Ich bewunderte es um seine Ruhe, seine Unbekümmertheit. Zwei, drei Hopser auf der Wiese, ein kurzes Innehalten, um desinteressiert das Grün zu beschnuppern, ein weiterer Hopser, und dann war es verschwunden.
Nicht wirklich, doch ein grauer Klotz verdeckte meine Sicht. Ich mochte ihn nicht, den Klotz, und seine einzige Funktion schien daraus zu bestehen, mir die Sicht auf das Kaninchenchen zu nehmen, es wie von Geisterhand erscheinen und verschwinden zu lassen. Der graue Klotz war ein magischer Hut. Sozusagen.

Und vielleicht stimmte es ja, vielleicht sollte der Klotz den ganzen Tag nichts weiter tun, als mir und meinen Kollegen das Draußen zu verhässlichen. Dies war schließlich ein Büro, kein Aussichtspunkt. Ich schmunzelte. Ein Kaninchenchen hatte man nicht berücksichtigt, nicht sein flauschiges Fell, nicht seine sich plötzlich aufrichtenden Ohren, nicht sein sporadisches Erscheinen und Verschwinden.

Ich hatte versucht, es zu füttern, hatte ihm Mohrrüben und teure Joghurtdropse aus der Tierfachhandlung hingelegt. Vielleicht, um es an mich zu gewöhnen. Vielleicht nur, um es häufiger zu sehen. Doch es wollte nicht, hatte mein Angebot verschmäht, und ich musste mich mit der Frage konfrontieren lassen, warum ich draußen Nahrungsmittel verstreute.

Dann eben nicht, hatte ich gedacht, und mich wieder vor den Rechner gesetzt, am Bildschirm vorbei auf den grauen Klotz gestarrt, der mich zu verhöhnen schien. Mistkerl.

Wochenlang hatte das Kaninchenchen sich nicht blicken lassen, als wollte es ein Zeichen setzen, als wollte es seine Unzähmbarkeit beweisen. Ich hatte verstanden, doch es kam nicht.

„Du musst doch was essen.“, hatte ich gemurmelt und im Geiste auf die Wiese gedeutet. Das war kein Gras, sondern Schnittlauch. Angeblich sei das pflegeleichter, hatte der Gärtner gesagt, und jedesmal, wenn er mit dem Rasenmäher vorbeikam, roch die ganze Firma nach Schnittlauch.
„Du kannst dich dich doch nicht nur von Schnittlauch ernähren.“, hatte ich gemurmelt und mir selber einen Halm abeknickt. Schmeckte gar nicht schlecht. Trotzdem.

Irgendwann, nach Tagen, hatte ich mich gefragt, ob es überhaupt existiert hatte, ob meine Sinne mir nur einen üblen Streich gespielt hatten, ob alles nur beginnender oder gar fortschreitender Wahnsinn war. Ich wusste es nicht mehr.

Und dann sah ich den Hasen wieder.

Kein Hase, natürlich, ein Kaninchen, ein Kaninchenchen, aber dennoch elegant, ungefangen, ungezähmt – wie ein Hase. Kein guter Vergleich, ich weiß. Adler wäre besser gewesen, doch Adler fressen kleine Nagetiere, und daran wollte ich erst gar nicht denken.

Ich sah es, und mein Herz hüpfte im Kaninchenchentakt. Da war es wieder! Mein Kaninchenchen!

Es hoppelte von dannen, hinter den grauen Klotz. ‚Zurecht‘, dachte ich beschämt. ‚Das Kaninchen gehört allein sich selber.‘ Und als hätte es meine Gedanken gelesen, kam es kurz zurück, hob den Kopf, streckte Ohren gespannt in die Höhe – und hopste wieder fort.

Ich schmunzelte. Dankte leise.
„Was grinst du denn so?“, fragte mein Kollege, und mein Schmunzeln verkroch sich nach innen.
„Nichts.“, sagte ich, schaute wieder auf den Bildschirm.

Als das Kaninchenchen das nächste Mal erschien, stahl sich jedoch erneut ein breites Lächeln auf mein Gesicht. Vorsichtig lugte es hinter dem grauen Klotz hervor. ‚Ich tu dir nichts.‘, dachte ich besänftigend, doch das Kaninchenchen blieb, wo es war. ‚Ich werde dich nicht verraten.‘, schwor ich. Das Kaninchenchen zögerte, doch dann hoppelte es heraus. Sonnenstrahlen wärmten sein Fell, es fand einen Grashalm, der sich zwischen den Schnittlauch verirrt hatte, und knabberte genüsslich.

Mein Lächeln blieb, und selbst, als das Kaninchenchen sich gemächlich wieder aus meinem Sichtbereich entfernt hatte, schien es nicht möglich, meine Mundwinkel in Normalposition zurückkehren zu lassen. Warum denn auch? Ich glühte innerlich vor Freude über dieses unscheinbare Wesen, das mich derart zu erfreuen wusste, gleißte förmlich im Angesicht meines klitzekleinen Geheimnisses, das ich – so wusste ich nun – mit niemandem teilen würde.

Und wem sollte ich es auch erzählen? Wir befanden uns im Dachgeschoss, in der vierzehnten Etage eines Bürogebäudes. Wer sollte mir da glauben, dass auf der Terrasse, jenseits der Schnittlauchbüschel, ein Hase lebte, der eigentlich ein unzähmbares Kaninchenchen war?

„Du grinst ja schon wieder.“, meinte mein Kollege, und ich zuckte mit den Schultern. Lächelnd.

A B C

„A B C, die Katze lief im Schnee. „, sang Peter, während er begeistert durch das weiße Rieseln wanderte. Und tatsächlich, dort huschte eine Katze vorbei, sprang von der Mauer auf den Fußweg und lief, ohne zu zögern, als ob sie Peters Liedchen verstanden hätte, in den Schnee hinein.

Schwarz war sie, kohlrabenschwarz, und Peter kicherte leise, als der schwarze Klecks, der die Katze war, immer tiefer in das weiche Weiß vordrang.

„Und als sie wieder raus kam…“, sang Peter weiter, und siehe da, die Katze drehte zu erst ihren Kopf, dann ihren ganzen Körper um und lief auf Peter zu. ‚Sie hält etwas im Mund.‘, stellte Peter fest, ‚Einen Strick vielleicht…‘

Vergnügt setzte er sein Lied fort: „…da hat sie weiße Stiefel an.“

Die Katze kam aus dem Schnee, und ihre schwarzen Pfötzchen waren ganz weiß. Peter kicherte, doch verstummte schnell wieder. Die Katze war weitergelaufen und zog etwas hinter sich her.
„Hey, das sind doch meine Winterstiefel!“, rief Peter. „Wo hast du denn die her?“

Die Katze rannte los, die weißen Stiefel hinter sich herziehend. Peter zögerte nicht lange und rannte hinterdrein. Doch die Katze war schnell, viel schneller als Peter, und selbst das zusätzliche Stiefelgewicht schien sie nicht merklich zu bremsen.

Dann war sie weg, und Peter hielt keuchend inne.
„Gib sie wieder her!“, rief er, ohne zu bemerken, dass er gerade ein weiteres Kinderlied zitierte.

Der Papagei

„Ich bin müde.“, sagte ich.
„Ich bin müde.“, krächzte der Papagei.
„Ich bin tatsächlich ziemlich müde.“, sagte ich und gähnte ausgiebig.
„Ich bin tatsächlich ziemlich müde.“, krächzte der Papagei und gähnte ausgiebig.
„Papageien können überhaupt nicht gähnen!“, beschwerte ich mich.
„Ich weiß.“, krächzte der Papagei grinsend.
„Ich weiß.“, sagte ich grinsend.
„Arschloch.“, krächzte der Papagei.

apfel

kacke, dass ich das vergaß:
mein apfel liegt doch noch im gras!
am morgen, als ich das begreif
sind gras und apfel schon voll reif.

Der Terrier

‚Alles wird gut.‘, dachte ich gerade, als der Terrier mich anfiel. ‚Anfiel‘ in wahrsten Wortsinn, denn er stürzte vom einem Baum hinab, direkt auf meinen Schädel. „Ich bin eine Zecke!“, bellte er vergnügt, doch weil Hundegebelltranslation nun einmal nicht zu meinen Fachgebieten gehört, verstand ich ihn nicht. Da die Temperaturen aber schon vor Tagen die große runde Schmelznull zurückgelassen hatten und sich nun mit einem dicken Minuszeichen vergnügten, fühlte sich der mich anfallende Terrier auf meinem Kopf sofort richtig an, fast, als hätte er dort seit jeher hingepasst: Mein schütter werdendes Haupthaar wurde nicht nur schützend verdeckt, sondern durch krauses, aber gut gepflegtes und vor allem dichtes Terrierhaar ersetzt; die Wärme des Hundeleibes bewahrte, falls er seine Beine im richtigen Winkel ausstreckte, meine lauschende Extremitäten vor potentiellem Frösteln; und die gute Laune, die das bis eben noch fallende Tier schwanzwedelnd mitbrachte, war nahezu ansteckend.

Ich bin ein Regenfreund, und so störte ich mich nicht am gelegentlichen Träufeln aus dem vorderen oder hinteren Ende der neugewonnenen Mütze, und wenn seine Beine im richtigen Winkel verblieben und mir flauschige Ruhe schenkten, war auch das hin und wieder auftretende Gekläff keine allzu immense Unfreude. Schließlich verhielt sich der Terrier meistens ruhig, verweilte stoisch auf meinem Kopf, als gelte es, der Welt mit besonnener Gelassenheit entgegenzublicken. „Ich bin eine Zecke!“, bellte er hin und wieder erfreut zu mir herab, und ich wünschte mir stets erneut, ihn endlich verstehen zu können.

Als der Winter von dannen floh und wir vergnügt dem blauen Band des Frühling nachjagten, fragte ich ihn, wie es mit uns weitergehen sollte. „Wie soll es denn mit uns weitergehen?“, fragte ich ihn, doch er bellte nur. Ich nahm es ihm nicht übel, denn Bellen war etwas, das Hunde gut können, und besäße ich eine Fähigkeit, die ich zu derartiger Perfektion vorangetrieben hätte, setzte ich sie sicherlich auch bei jeder Gelegenheit ein. „Wie soll es denn mit uns weitergehen?“, fragte ich ihn, und er bellte erneut. Lächelnd streichelte ich sein mittelgescheiteltes Fell, das ich seit ein paar Tagen als moderne Neufrisur trug.

Der Sommer kam und brachte Hitze mit, anderthalb Eimer für jeden von uns. „So geht das nicht weiter.“, sagte ich zu meiner Kopfbedeckung, während sich Schweißperlen auf meiner Stirn sammelten und allmählich mit dem Toten Meer konkurrierten. „Mir ist warm!“ Der Terrier schwieg, doch das Schweigen klang, als dächte er nach. Dann bellte er kurz „Ich bin eine Zecke!“ und schwieg erneut.

„Du hast recht!“, rief ich, obwohl ich kein einziges Wort begriffen hatte. „Du hast ja so recht!“ Ich rannte los, denn meine Genialität lechzte nach sofortiger Umsetzung. „Mir ist warm, im Schatten jedoch ist es kühl.“, erklärte ich schnaufend dem interessiert zuhörenden Hund. „Also brauche ich Schatten!“
Der Terrier stimmte mir zu: „Ich bin eine Zecke!“, und ich fuhr fort: „Was liegt also näher, als der Gedanke, dass ich mir eine Mütze besorge, eine Kopfbedeckung für meine Kopfbedeckung sozusagen?!“ Ich war begeistert von meiner Idee, rannte weiter und freute mich vor.

‚Alles wird gut.‘, dachte ich noch, als mich plötzlich das Zebra anfiel. ‚Anfiel‘ in wahrsten Wortsinn, denn es stürzte vom einem Baum hinab, direkt auf meinen Schädel. Beziehungsweise direkt auf den Terrier, der sich kurz wunderte, dann euphorisch kläffte und den neuen Gefährten freundlich willkommen hieß. „Eine lebendige Mütze!“, jubelte ich und ergänzte die beiden schon vorhandenen Grinsen um mein eigenes.

„Ich bin eine Zecke!“, wieherte das Zebra, doch niemand verstand es.