Unsichtbar

„Ich bin nicht hier.“, sagte ich und hielt mir die Augen zu.
„Doch, ich kann dich sehen.“, sagte Peter. Zumindest glaubte ich, dass es Peter war, der sprach. Sicher konnte ich mir nicht sein. Ich hielt schließlich meine Augen zu.

Vielleicht war es ja gar nicht Peter. Vielleicht hatte in dem kurzen Zeitraum, in dem ich nun meine Hände vor die Augen hielt, ein außerirdischer Stimmenimitator nicht nur Peter lautlos vertilgt, sondern nun auch seine Position eingenommen, um mich zum Narren zu halten.

Doch so leicht konnte ich nicht zum Narren gehalten werden. Solange ich meine Augen zuhielt, war ich nicht sichtbar, nicht für Peter, nicht für den schrecklichen peterverschlingenden Stimmenimitatoraußerirdischen, nicht für mich selbst. Und solange ich meine Hände nicht entfernte, konnte mir nichts passieren.

Ich atmete auf, ganz leise, denn wer wusste schon, wie gut die Hörorgane des peterverschlingenden Stimmenimitatoraußerirdischen waren. Wenn sie nur vergleichsweise so gut waren wie seine Fähigkeit, Peters Stimme zu imitieren, konnte ich leicht in Schwierigkeiten geraten, wenn ich zu viele Geräusche von mir gab.

Ich hielt die Luft an. Vorsichtshalber. Lange würde ich das nicht durchhalten, das war mir klar. Aber auf diese Weise würde ich ein paar wertvolle Sekunden gewinnen, um mein weiteres Vorgehen zu planen.

„Alles klar?“, fragte der peterverschlingende Stimmenimitatoraußerirdische mit einer Stimme, die so überzeugend peterisch klang, dass ich beinahe genickt hätte. Doch ich durfte mich nicht bewegen. Wenn die Bewegungswahrnehmung des peterverschlingenden Stimmenimitatoraußerirdischen genau so gut war wie seine Fähigkeit, Peters Stimme zu imitieren, steckte ich in Schwierigkeiten, sobald ich auch nur daran dachte, meine Reglosigkeit aufzugeben.

Doch wie lange würde ich meine Hände vor den Augen und die Luft in meinen Lungen halten können? Wie lange, bis der peterverschlingende Stimmenimitatoraußerirdische mich fand, verschlang und dann so tat, als wäre er ich? Wie lange?

Moment, mahnte ich mich zur Ruhe. Vielleicht war der peterverschlingende Stimmenimitatoraußerirdische gar kein peterverschlingender Stimmenimitatoraußerirdischer. Vielleicht war dort draußen noch immer Peter, der sich wunderte, wo ich geblieben war. Vielleicht.

Vielleicht musste ich einfach die Hände von den Augen nehmen und sähe Peter, Peter, wie ich ihn seit Jahren kannte, Peter, wie er leibte und lebte, Peter, wie er aussähe, wenn der peterverschlingende Stimmenimitatoraußerirdische ihn verschont hätte. Vielleicht.

Vielleicht aber war der peterverschlingende Stimmenimitatoraußerirdische auch ein Gestaltwandler, vielleicht sah er Peter so erschütternd ähnlich, dass noch nicht einmal ich, der sein bester Freund war, ihn vom echten Peter unterscheiden könnte. Vielleicht.

Und noch schlimmer: Vielleicht hatte der peterverschlingende Stimmenimitatoraußerirdische Peter nicht gerade eben, nicht in dem Augenblick, da ich meine Augen mit meinen Händen bedeckte, verschlungen und ersetzt, sondern viel früher, vielleicht sogar schon vor Monaten! Vielleicht hatte ich mit einem Peter gespielt, der längst kein Peter mehr war, sondern ein peterverschlingender gestaltwandelnder Stimmenimitatoraußerirdischer, der seinen Platz eingenommen hatte.

Ich spürte Panik in mir aufsteigen. Was sollte ich tun? Was sollte ich nur tun? Die Luft wurde knapp, meine Arme wurden schwer, Schweißperlen formten sich auf meiner Stirn. Konnte der peterverschlingende gestaltwandelnde Stimmenimitatoraußerirdische auch nur ansatzweise so gut riechen wie er Peters Stimme imitieren konnte, dann würden nur noch wenige Augenblicke vergehen, bis er mich gefunden hatte.

Ich hatte keine Wahl! Ich musste atmen! Ich musste mich bewegen, die Hände von den Augen nehmen, mich sichtbar machen!

Noch einmal mahnte ich mich zur Ruhe. Vielleicht war alles in Ordnung, Peter noch immer Peter, ich außerhalb jeder Gefahr und die Welt frei von peterverschlingenden gestaltwandelnden Stimmenimitatoraußerirdischen. Vielleicht war jede Sorge unberechtigt, jede Furcht unnötig.

Ich nahm die Hände von den Augen, schleuderte die verbrauchte Luft aus meinen Lungen, atmete tief ein und blickte zu Peter. Er war nicht da. Weder er noch ein peterverschlingender gestaltwandelnder Stimmenimitatoraußerirdischer.

Die einzige Person, die hier war, war ich selber. Allerdings doppelt.
„Hallo!“, lächelte der michverschlingende gestaltwandelnde Stimmenimitatoraußerirdische, und es klang, als redete ich mit mir selbst.