Begegnungen 64: Bogen

Ich hatte gerade den Park hinter mir gelassen, als ich eine Stimme vernahm.
„Hallo.“, sagte sie.
„Hallo.“, antwortete ich verwundert. „Wo bist du?“
„Hier.“, sagte die Stimme. „Hier am Himmel.“
Ich sah nach oben. Ein paar vereinzelte Regentropfen fielen mir ins Gesicht und ließen sich nicht davon stören, dass die Sonne fleißig schien.
„Wo denn?“, fragte ich und blickte in den Himmel. Ich sah nur Blau. Ein dunkles Blau, das auch Grautöne enthielt. Und das in Richtung der Sonne heller wurde.
„Hier.“, sagte die Stimme. „Ich bin der Regenbogen.“
Ich sah mich um. Nirgends gab es einen Regenbogen.
„Was für ein Regenbogen?“, fragte ich. „Ich sehe nur blauen Himmel.“
Der Regenbogen seufzte. „Ich weiß.“
Ein paar Regentropfen plätscherten fröhlich auf mein Haupt. Theoretisch war es tatsächlich möglich, dass irgendwo ein Regenbogen entstand. Doch ich sah keinen.
„Ich bin noch sehr jung.“, sagte der Regenbogen. „Daher bestehe ich bisher nur aus einer Farbe.“
Noch einmal sah ich zum Himmel. Nirgends war ein Regenbogen zu sehen.
„Dummerweise ist diese Farbe auch noch Blau.“, seufzte der Regenbogen.
Und tatsächlich: Jetzt, wo er es sagte, konnte ich ihn sehen, einen schmalen blauen Bogen, der sich über den blauen Himmel erstreckte.
„Du bist sehr hübsch.“, sagte ich, und der Regenbogen errötete ein wenig.

Begegnungen 63: Prinz

Als ich am Teich vorbeikam, sah ich einen kleinen Prinzen. Die Krone saß ihm schief auf dem struppigen Haar, und in seinen Augen schlummerte tiefe Traurigkeit.
„Was ist denn los?“, fragte ich besorgt.
„Ach.“, seufzte der kleine Prinz. „Diese Rose ist so wunderschön.“ Er zeigte auf eine prächtige Seerose, die inmitten des Teichs in voller Blüte stand.
„Sie ist wirklich wunderschön.“, bestätigte ich.
„Wunderwunderschön.“, meinte der kleine Prinz und seufzte erneut. „Aber so weit weg.“
Ich nickte. Die Seerose war wirklich weit weg.
So standen wir da und schwiegen. Dann seufzte der kleine Prinz ein drittes Mal.
„Ich kann dir vielleicht helfen.“, sagte ich, und bevor er wusste, wie ihm geschah, hatte ich den Prinzen geküsst. Es donnerte kurz, und siehe da: Wo eben noch ein trauriger Prinz eine Seerose ersehnt hatte, saß nun ein hübscher kleiner Frosch.
„Quak.“, sagte der Frosch glücklich und sprang in den Teich.

Begegnungen 62: Möwe

Ich stand gerade am Herd, als es plötzlich klopfte.
„Nanu?“, wunderte ich mich, denn es war schon spät, und um diese Uhrzeit besuchte mich normalerweise niemand.
Es klopfte erneut.
„Nanu?“, wunderte ich mich, denn das Klopfen kam nicht von der Wohnungstür, sondern von der Terrasse.
Und tatsächlich: Vor der Terrassentür hockte eine Möwe und war gerade dabei, ein drittes Mal mit ihrem Schnabel gegen die Scheibe zu picken.
„Guten Abend.“, grüßte ich die Möwe.
„Ist hier das Meer?“, fragte sie. Sie hatte es offensichtlich eilig und wollte sich nicht lange mit Begrüßungen aufhalten.
„Was für ein Meer?“, wollte ich wissen.
„Das Meer. Das mit dem salzigen Wasser.“, erklärte die Möwe ungeduldig.
„Hier ist kein Meer.“, antwortete ich verwundert. „Das nächste Meer ist Hunderte Kilometer weit entfernt.“
„Kein Meer? Kein Salzwasser? Nichts?“, hakte die Möwe nach.
Ich schüttelte mit dem Kopf.
„Und was ist das da in der Küche?“
„Ich koche gerade.“, antwortete ich und ergänzte: „Kartoffelsuppe.“
„Die ist versalzen.“, meinte die Möwe und flog davon.

1. Treppenhauslesung der Welt!

1. Treppenhauslesung im Sankt OberholzWeil der Staat viel Geld in mich investierte, indem er dafür sorgte, dass ich lesen lernte, werde ich genau das tun. Denn der berühmte Vergrämer lädt ein zur 1. Treppenhauslesung der Welt am 18.2. im Sankt Oberholz in Berlin.

Mit mir werden unter anderem wunderfetzige Menschen wie der Vergrämer Jan-Uwe Fitz, Frederic Valin, Martin Oetting, Michael Bukowski, Judith Gliesche (@judetta) sowie die Twitterer @germanpsycho, @griesgraemer, @silvestah und @diepebbs Buchstaben in Laute verwandeln.
Nähere Infos gibt es hier.

Ich würde mich sehr freuen, euch dort zu begegnen.

Und so.

und dann der tag, an dem ich zu atmen begann, an dem ich meine lungenflügel dem himmel entgegenstreckte und umarmte, was mich sanfter stille enthob. lass mich fliegen!, drang es aus mir, und ich sprang in alle höhen, entflammte mich mit gleißendem jetzt, schoss aus meiner brust hinaus in gellendes ich. lass mich fliegen!, rief ich und zerbarst zu lachen.

Begegnungen 61: Grashüpfer

Heute nahm ich die Abkürzung über den Rasen. „Hihi.“, kicherte ich und fühlte mich ziemlich verwegen. Dann sah ich den Grashüpfer.
„Hallo Grashüpfer.“, grüßte ich den kleinen Gesellen.
Der Grashüpfer grüßte zurück. „Hallo und guten Morgen.“ Er schaute mich noch kurz an, dann ging er weiter.
„Moment mal.“, sagte ich. „Grashüpfer gehen normalerweise doch nicht. Sie hüpfen!“
Und nach einer kurzen Pause ergänzte ich: „Deswegen heißen Grashüpfer doch so!“
Der Grashüpfer wippte mit dem Kopf, als könnte er sich nicht zwischen Nicken und Kopfschütteln entscheiden.
„Eigentlich sind wir Grashüpfer zugleich Kleegänger, doch Grashüpfer-und-zugleich-Kleegänger ist zu lang und hat sich deswegen nicht durchgesetzt.“, erklärte er.
„Verstehe ich nicht.“, gab ich zu.
„Ist doch ganz einfach.“, meinte der Grashüpfer-und-zugleich-Kleegänger. „Im Gras hüpfen wir, im Klee gehen wir.“
„Aber warum das denn?“
„Um nach einem vierblättrigen Glückskleeblatt zu suchen.“, sagte der Grashüpfer-und-zugleich-Kleegänger und ging weiter durch den Klee.
„So eins wie das hier?“, fragte ich und zeigte auf das vierblättrige Kleeblatt, das direkt vor meiner Schuhspitze wuchs.
„Genau.“, rief der Grashüpfer-und-zugleich-Kleegänger erfreut.
„Ich schenk es dir.“, sagte ich.
Der Grashüpfer-und-zugleich-Kleegänger strahlte vor Begeisterung.
„Wuhuu!“, rief er und sprang vergnügt in die Luft. Wieder und wieder.
Ich lächelte und ging, weiter über den Rasen. ‚Ich bin ein Grasgänger.‘, dachte ich und lächelte noch ein bisschen mehr.

Begegnungen 60: Ratte

Vor meinem Fahrrad saß eine Ratte.
„Guten Morgen, liebe Ratte.“, grüßte ich sie höflich, denn sie sah recht freundlich aus.
Die Ratte schüttelte mit dem Kopf. „Ich bin keine Ratte.“
„Keine Ratte?“, wunderte ich mich.
Die Ratte schüttelte erneut mit dem Kopf. „Keine Ratte.“ Sie dachte kurz nach. „Zumindest keine ganze.“ Sie grinste.
„Aber was bist du dann?“
Die Ratte schwieg und grinste weiter.
„Eine übergroße Maus?“, fragte ich, und ein dicker Klumpen Zweifel lag in meiner Stimme.
Die Ratte schüttelte mit dem Kopf. Mal wieder.
„Ein Biber, der aussieht wie eine Ratte?“
Kopfschütteln.
„Ein verzaubertes Einhorn?“
Erneutes Kopfschütteln.
„Eine Ratte?“
Die Ratte zögerte kurz, schüttelte dann aber erneut mit dem Kopf.
„Aha.“, rief ich triumphierend aus. „Ratte ist richtig!“
„Fast richtig.“, korrigierte die Ratte.
„Dann bist du … eine Matte? Kaffee Latte? Zuckerwatte? Eine Fregatte? Irgendetwas, das ich hatte?“
Mehrfaches Kopfschütteln. Der Ratte wurde sicherlich langsam schlecht.
„Ich gebe dir einen Tipp.“, sagte sie. „Such, was ich verloren habe.“
Ich lief ein wenig herum, fand aber nichts weiter als einen alten Pfefferminzteebeutel.
„Du hast Tee verloren?“, fragte ich die Ratte unsicher.
Die Ratte grinste.
„Eine Ratte, die ein wenig Tee verlor…“, überlegte ich laut. Dann traf mich die Erkenntnis wie ein Blitz. Nur nicht so stark. Eher wie der Stromschlag eines Weidezauns.
„Du bist eine Rate!“, rief ich begeistert aus.
Die Ratte nickte endlich, grinste noch breiter als zuvor, schnappte sich den Teebeutel und eilte davon.
„Hätte ich gleich drauf kommen können.“, sagte ich und schwang mich auf mein Fahrrad.

Begegnungen 59: Elefant

Auf dem Weg zur Haltestelle begegnete ich einem Elefanten.

„Ein Elefant!“, rief ich verzückt aus, denn ich mochte Elefanten.
Der Elefant war nicht sehr groß. Eigentlich war er sogar winzig. Sehr sehr winzig. Der Elefant war so winzigklein, dass ich mich außerstande sah, seine Farbe zu bestimmen.

‚Er ist bestimmt grau.‘, dachte ich, denn Grau war die übliche Farbe für Elefanten. ‚Allerdings‘, dachte ich weiter. ‚wäre ein roter Elefant auch nicht schlecht. Oder ein grüner. Der könnte sich dann im Gras verbergen.‘

Der Elefant war so winzig, dass ich ihn noch nicht einmal sah.
‚Es gibt wahrscheinlich gar keinen Elefanten.‘, dachte ich traurig und ging weiter. ‚Schade eigentlich.‘

Hinter einem Löwenzahn trompetete es leise.

Wald

Ich betrat den Wald. Hinter grauen Wolken stahl sich heimlich die Sonne ihrem Untergang entgegen und sandte kühlen Niesel auf bereits schlammige Pfade. Der Schnee des gestrigen Tages versteckte scheu in wenigen Mulden zwischen dunklen kahlen Stämmen. Oben im Geäst entdeckte ich noch letzte Blätter, welke Grüße des vergangenen Sommers, die sich tapfer an kleinste Zweige krallten.

Unten hingegen lief ich, in schwarze Wolle gehüllt, kapuziert, von Stöpselmusik ertaubt, die Hände tief im Mantel vergraben – und atmete. Es roch nach Wald, nach feuchtem Laub, nach Pilzen vielleicht. Meine Schritte waren lang und ohne Ziel. Ich brauchte keines, wollte nichts finden, keinen Ort, nicht mich, wollte nur Meter für Meter nach vorne treiben, den sich allmählich verfinsternden Forst durchschreitend, meinen Gedanken freien Lauf lassend.

Ein alter Mann kam mir entgegen, in seiner Hand einen Golfschläger tragend. Ich schmunzelte, ging meines Weges.

Der Regen nahm zu, schickte auch die letzten verlorenen Fußgänger ins wärmende Heim, doch ich setzte meinen Ausflug fort, hinein ins Ungewisse, hinein in die wachsende Dunkelheit des Waldes. Meine Schritte wuchsen, als wüssten sie, wohin sie mich trugen, und erstmals öffnete ich mich. Ich formte Laute passend zum wuchtigen Klang in meinem Ohren, ließ meine Hände ihr Versteck verlassen, meine Arme sich ausbreiten, als wollte ich Wald und Welt in einer Umarmung bergen. Irgendwo in der Kapuze formte sich ein Lächeln, wanderte seines Weges zwischen schlafenden Bäumen hindurch.

Vom Himmel, aus hüllendem Gewölk heraus, grüßte mich der Mond, spiegelte sich einen Moment lang in den von Tropfen aufgewühlten Pfützen, und noch immer hielt ich nicht inne, kehrte nicht zurück. Nadelbäume formten erste Menschensilhouetten, doch störten nicht den steten Takt meiner Stiefel, hielten mich nicht auf.

Irgendwo inmitten der Sträucher keimte mein Pfad, harrte meines Nahens, von wucherndem Dunkel verborgen. Dies ist mein Ziel, dachte ich und ging voran.

Nachtaktivität

Das Kopfkissen hatte mein Haupt bereits gefunden und in sich gebettet, als die Gedanken sich erst auf den Weg begaben. „Schreib doch die Geschichte zuende.“, drängten sie mich, und wenige Augenblicke des Zögerns später hatte ich mir bereits Kleidung übergeworfen und mich an den Rechner begeben, um bei ruhigem Klang in Kopfwelten zu schwelgen.

Zweieinhalb Stunden raubte ich der Nacht und presste sie in Worte. Und als ich fertig war, saß ein zufriedenes Lächeln auf meinem Gesicht.

‚Ich werde es dem Kissen schenken.‘, dachte ich und kehrte zurück.