Stromausfall

‚Stromausfall!‘ Schlagartig war ich hellwach, sprang aus dem Bett und eilte zum Sicherungskasten.

Zumindest theoretisch. Die Wirklichkeit jedoch sah anders aus.
6.54 Uhr schaute ich auf das Telefon, das gleichzeitig mein Wecker war. Beziehungsweise hätte sein sollen, wenn ich nicht regelmäßig im Halbschlaf jedes Läuten und Klingeln deaktivieren und mich weiterem Schlummer übergeben würde. Eine Stunde hatte das selbst erwirkte Verschlafen diesmal gedauert, bevor ich die Augen öffnete, das Telefon betrachtete und die Informationen über die augenblickliche Uhrzeit langsam in mein Bewusstsein rieseln ließ. Der Stromausfall lauerte noch irgendwo in den Schatten und wartete hämisch darauf, dass ich ihn bemerkte.

Die Leuchtuhr auf dem Nachttisch schwieg. Keine Ziffer leuchtete verschwommen in meine unbebrillten Augen, nur dämmriges Dunkel hauste in diesem Raum.
‚Stromausfall!‘, dachte ich panisch und rannte zum Sicherungskasten. Zumindest theoretisch.

Die Wirklichkeit jedoch sah anders aus: Noch immer halb in Traumwelten wandelnd vermochte ich zwar, das Fehlen leuchtender Ziffern zu realsieren, doch Hektik in jeder Form lag mir fern. Statt dessen stöpselte ich träge den Stecker der Uhr aus und wieder ein, ohne jedoch eine Zustandsveränderung zu bemerken. Der Uhr fehlte es an willigen Leuchtsegmenten.

Mit mir erwachte allmählich der Forscherdrang. Drei Lichtschalter später, deren Betätigung nur plastenes Klacken, jedoch keinerlei Licht erwirkte, stand ich vor dem Sicherungskasten. Meine Panik schlummerte noch immer tief und fest.

Der fensterlose Korridor wob Dunkel um mich herum, und meine noch immer halbblinden Augen erahnten die Sicherungsschalter eher, als dass sie sie erkannten. Ich legte alle um. Hin und zurück. Schaltete das Licht an. Und stand noch immer im Dunkeln.

Auf dem Nachttisch lag meine Brille bereit, und als sie endlich den Weg in mein Gesicht gefunden hatte, warf ich einen Blick gen Außen. Der Tag näherte sich nur langsam, doch keine Nachbarwohnung schien Licht zu kennen. ‚Stromausfall!‘, nickte ich nun langsam in mich hinein und begab mich ins Bad.

‚Die Kontaktlinsen könnten ein Problem werden.‘, überlegte ich, und würde mir Mühe geben müssen, sie im allgemeinen Dunkel nicht versehentlich dem Boden zuzuführen.
‚Der Fön könnte ein Problem werden.‘, dachte ich, doch verwies mich selbst auf Handtuch und Mütze.
Der Stromausfall versagte darin, mich zu beeindrucken.

Das Wasser war heiß und angenehm. Mich in absoluter Finsternis zu duschen, kümmerte mich nicht. Ob ich nun wegen fehlenden Lichts oder fehlender Sehstärke nichts sah, spielte keine Rolle.
Und auch die Kleidungsstücke, die mir mein gestriges Ich bereitgelegt hatte, hüllten sich problemlos um meinen Leib.

‚Stromausfall.‘, dachte ich, schmunzelte abschätzig und zuckte mit den Schultern.

Im Wohnzimmer leuchtete etwas.
„Strom!“, rief ich überrascht aus. Doch es war nur mein Notebook, das zumindest vorübergehend stromfrei zu arbeiten vermochte. Also kein Strom.

‚Der Tiefkühlschrank könnte ein Problem werden.‘, dachte ich noch, dann erstrahlte das Licht im Korridor.

„Strom!“, rief ich noch einmal, diesmal begeistert. ‚Welchen Schalter sollte ich zuerst probieren?‘, fragte ich mich, aber keiner von ihnen schien große Bedeutung zu besitzen.
‚“Bis auf einen.‘, lächelte ich und kochte mir Tee.

Später, als ich versuchte, mir die Kontaktlinsen in die Augen zu legen, ging mir tatsächlich eine verloren. Für einen Augenblick bedauerte das Fehlen des Stromausfalls.
Er wäre immerhin ein guter Grund gewesen.