Das Wort des Tages 20

Das heutige Wort des Tages erfand ich schon vor einer kleinen Weile. Doch als ich vorhin darauf stieß, war ich von meiner Erfindung so begeistert, daß ich es gleich in diese Rubrik aufnehmen mußte.

Es gab also einen Tag, an dem ich meine Existenz nicht sondelrich gutheißen konnte, sie beschimpfte als „Drecks-Existenz“. Noch bevor ich das Wort ausgesprochen oder niedergschrieben hatte, verknüpfte ich es zu einem Neologismus.

Das Wort des heutigen Tages lautet also
Drecksistenz.

Das Wort des Tages 19

Das erste Wort des heutigen Tages sei
drall,
weil es auf angenehme und lautmalerisch schöne Weise zu umschreiben vermag, ohne zu verhöhnen, ohne zu erniedrigen.
Danke dafür an meine Mitbewohnerin A, die „drall“ aus gleich mehrmals meinem Kopf hervorkramte.

Das zweite Tageswort sei
verflixt.
Ich entdeckte es inmitten von Salman Rushdies Werk „Mitternachtskinder“, ebenfalls mehrmals.
Vermutlich ist es einzig und allein dem Übersetzer geschuldet, daß das Wort überhaut verwendet und nicht einer Alternative wie „verdammt“ oder „verflucht“ der Vorzug gewährt wurde.
Doch das macht nichts, stellte ich doch fest, „verflixt“ zu mögen, weil es trotz der darin eingschlossenen Verwirrung, trotz seiner eindeutig negativen Tendenz liebenswert und verharmlosend klingt.

Das Wort des Tages 18

Nachdem ich einen Teil des Nachmittages damit füllte, mir zusammen mit meiner Mitbewohnerin die Jugendmusikveranstaltung „The Dome“ anzuschauen und nicht umhin zu können, als mich über die Schlechtigkeit der musikalisch untermalten Hampeldarbietungen auszulassen, über die Primitivität des Gezeigten und die offensichtliche Kopfleere nicht nur des begeistert jubelnden Publikums, sondern auch der sich selbst als überwichtig erachtenden Moderierenden aufzuregen und derlei unschöne Umstände mit allerhand unnetten, aber amüsanten Kommentaren zu bestücken, bleibt mir resümierend nur, das heutige Wort des Tages zu erwähnen, bei dem es sich ausnahmsweise um eine ganze Wortgruppe handelt, die mich schpon immer störte, mich aber insbesondere im Zusammenhang mit erwähnter Musiksendung negativ berührte:

„… [Hier beliebigen Namen eines pseudoberühmten Deutschlandsternchens einsetzen.] ist die deutsche Antwort auf … [Hier beliebigen Namen einer international anerkannten bekannten Berühmtheit einsetzen.]

Das Wort des Tages 17

Es geschah am gestrigen Tage, daß ich nichtsahnend durch das Institut für Psychologie irrte, versuchend einen Raum bzw dessen Nutzerin ausfindig zu machen, sämtliche Hinweisschilder und -schildchen mit neugierigem Interesse musternd.

Ich bin mir nicht darüber im Klaren, ob die Kapazitäten des Insituts voll ausgeschöpft werden, ob es sich über Studentenmangel beklagt und jeden neuen Psychologiestudenten mit herzlichem Lächeln und unzähligen Dankesworten Willkommen heißt, doch muß ich gestehen, daß ich schon ein wenig verwirrt war, als ich an mehreren Stellen auf das durch Folie geschützte, wegweisende A4-Blatt mit der auffälligen Beschriftung
„Studentenkopierer“
stieß…

Das Wort des Tages 16

Das Wort des heutigen Tages sei Computersimulation.

Auf dem Magdeburger Stadtfest tummeln sich allerlei Stände und Gestalten. Dort findet man Riesenräder und Bierzelte, Süßkramläden und indianische Schmuckverkäufer, Hüpfburgen und Stadtbildverbesserer.

Stadtbildverbesserer?
Ja, tatsächlich. Auf dem Domplatz soll ein im Krieg zerstörtes Tor wieder aufgebaut werden, das Sterntor. Dazu bedarf es natürlich entsprechender Gelder. Mit ein paar wenigen Euro in Spendenform kann man sich glücklich schätzen, nicht nur etwas für die Stadt, sondern auch etwas für eigene Gewissen getan zu haben.

Meine Begleiterin, selber relativ spendenunwillig und haarsträubende Ausreden erfindend, interssierte sich dafür, fragte nach. Auf einer Karte wurde gezeigt, wo sich das Tor befunden hatte. Auch betrachteten wir mehrere qualitativ hochwertige Photographien des Tores aus jenen schönen Tagen, da das Tor noch stand und ein junger, dynamischer Schnauzbartträger das Sagen hatte…
[Ich schweife ab.]

Nachdem die Spendenaufruferin in meiner Begleiterin eine Zuhörerin gefunden hatte, begann sie zu berichten. In ihrem Monolog erwähnte sie mindestens drei Varianten, sich mit finanziellen Mitteln am Wiederaufbau des Sterntores zu beteiligen.

Die Ausreden meiner Begleiterin wurden immer fadenscheiniger – aber auch amüsanter. Underdessen war sie zu einem Aufsteller geführt worden, das den Domplatz zeigte.
Interessiert hörte ich der Spendensucherin zu:

„Und hier sehen Sie den Domplatz. Mittels einer Computersimulation [… applausheischende Pause …] haben wir einmal nachgestellt, wie das Ganze aussehen wird…“

Moment mal! Computersimulation? Was wurde denn da „simuliert“?

Natürlich nichts!
Irgendjemand hatte eine der alten Photographien des Sterntores eingescant, in Photoshop oder Photopaint ausgeschnitten und auf eine neuere Photographie des Domplatzes geklatscht.
Und das noch nicht mal gut. Eigentlich sogar ziemlich schlecht.

Meine Begleiterin ließ sich einen Flyer geben, lehnte noch einmal das Spendengesuch ab und verabschiedete sich.
Ich schüttelte mit dem Kopf, als ich mir das Wort noch einmal auf der Zunge zergehen ließ. Computersimulation.

Das Wort des Tages 15

Die Schaufensterscheibe spiegelte mein Äußeres wider. Ich lächelte mir zu.
‚Wenigstens einer, der lächelt.‘, freute ich mich und dachte an die grimmigen Gesichter auf den Straßen. Runzelfalten und herabhängende Mundwinkel, wohin das Auge blickte.

Sicherlich, dem Himmel fehlte die Sonne. Doch auch dem Herzen?

Ich riskierte einen zweiten Blick. Das Schaufensterscheibengesicht lächelte noch immer. Die dazu gehörige Gestalt stiefelte mit federnden Schritten durch die Welt, zielgerichtet, doch gemächlich.
‚Heute gefalle ich mir.‘, stellte ich fest.

An der Ampel blieb ich stehen, gesellte mich unter die wartenden Menschenmassen, warf einen Blick zurück auf das lächelnde Wesen im Schaufenster.

‚Schlaksig.‘, kam es mir in den Sinn.
Das Wort gefiel mir, fühlte sich gut an, schien zu passen.

Die Ampel schaltete auf Grün, und eine schlaksige Gestalt schlenderte lächelnd über die Straße.

Das Wort des heutigen Tages sei also schlaksig.
Offensichtlich besitze ich eine Vorliebe für Wörter, bei denen sich Klang und Bedeutung perfekt zusammenfügen…

Das Wort des Tages 14

Das Wort des heutigen Tages sei
Geifer.

Bevor ich die geifernden Stimmen aus dem imaginären Publikum vernehme, die sich darüber auslassen, wie eklig dieses Wort doch sei, biete ich eine kleine Erklärung an:

Ich wohne im Dachgeschoß. Dächer verfügen über die zuweilen unerfreuliche Eigenschaft, sich in den oberen Regionen eines Bauwerkes aufhalten zu wollen, weswegen meine Etage nur über inexistente Fahrstühle oder unzählige Treppenstufen erreichbar ist.

Einhundertunddrei. 103. Das ist die Zahl der Stufen, die ich täglich mehrfach begehe. Hoch und runter. Runter und hoch.

Wenn ich mich beeile, schaffe ich es, in weniger als zwei Minuten den Müll runterzubringen. Wenn ich aber einen schlechten Tag erwische, benötige ich deutlich länger, krieche die einzelnen Stufen herauf, schleiche mühevoll an von der Putzfrau übersehenen Einkaufszettelfetzen und unter das Geländer geklebten, durchgekauten Hubbabubba-Kaugummis vorbei, ärgere mich über den gehässigen Feuermelder, der mir anzeigt, daß ich noch zwei weitere Etagen, also vierzig unüberwindbare Stufen, zu erklimmen habe.

Heute war kein schlechter Tag, doch meine Mitbewohnerin begleitete mich, vom Mensaessen gesättigt und mit innerer Trägheit überflutet. Den Wohnungstürschlüssel in der rechten Hand haltend [Ich hatte meinen versehentlich vergessen.] schlich sie die Stufen hinauf, bei jedem Treppenabsatz aufstöhnend.
Ich hatte genug Zeit, nebenbei den prozentualen Anteil bereits hinter uns gebrachter Stufen zu dem noch zu besteigender im Kopf ins Verhältnis zu setzen und mit allerlei Zahlen zu jonglieren, die Namensschilder der unter uns Wohnenden intensiv zu betrachten, den orangfarbenen Kaugummi einer gründlichen Musterung zu unterziehen und die Dreckkrümel auf dem Boden zu zählen.

„Was ist DAS!?“, fragte meine Mitbewohnerin angewidert und deutete auf einen schwarzen Fleck am Boden.
Im ersten Augenblick hielt ich es für Schmutz, für irgendeine organische Flüssigkeit, die sich nach mehreren Tagen in eine feste, schwarze Substanz verwandelt hatte.

„Ein Brandfleck?“, mutmaßte meine Mitbewohnerin.
Ich gab ihr recht, denn tatsächlich sah der schwarze Fleck aus, als wäre er eingebrannt worden. Nun ja, nicht ganz, eher, als wäre das Linoleum der Treppenstufe kurz Zeit großer Hitze ausgesetzt gewesen – allerdings nur an dieser einen Stelle, deren Durchmesser vielleicht drei Zentimeter betrug.

‚Säure!‘, dachte ich plötzlich, stellte mir vor, wie ein verrückter Wissenschaftler mittels einer Pinzette ein paar Tropfen hochkonzentrierter Schwefelsäure auf den Boden träufelte und wohlig sabbernd die vom verkohlten Linoleum aufsteigenden Dämpfe inhalierte.

Moment. Sabber? Säure? Da war doch was!?
Na klar: Aliens!

Und nun war alles klar.
Kein Brand, keine verderbliche Flüssigkeit, kein verrückter Wissenschaftler hatte zur Entstehung des mysteriösen schwarzen Flecks beigetragen. Nur ein riesiges, häßliches, von Sigourney Weaver verschontes Alienmonstrum, das im Treppenhaus heimlich arglosen Mietern aufgelauert und dabei seinen ätzenden Geifer auf irgendeiner der 103 Stufen verteilt hatte…

Und schon setzte sich das Wort Geifer in meinen Schädel und verleitete mich zu der Feststellung, daß es nicht nur einen interessanten und ungewohnten Klang besaß, sondern unbedingt zum Wort des Tages gekürt werden sollte.

Allerdings werde ich wohl in der nächsten Zeit nicht mehr Rad fahren. Wer weiß, was sich im Fahrradkeller versteckt…

Das Wort des Tages 13

Das Wort des heutigen Tages sei
sinnlos.
Innerhalb der vier Stunden, die ich heute sinnloserweise in der Bibliothek rumsaß, um mich mit meiner Mitbewohnerin zu unterhalten, fiel das Wort dermaßen oft, daß es einfach zum „Wort des Tages“ gekürt werden muß.
Es ist erstaunlich, wieviele Dinge in unserem Dasein das Attribut „sinnlos“ verdienen..

Das Wort des Tages 12

Das Wort des gestrigen bzw. eigentlich des vorgestrigen Tages dürfte
Nachgeburtstag
gewesen sein.
Eigentlich sollte es den Tag benennen, an dem ein Geburtstag nachträglich zelebriert wird.
Doch wenn der „Geburtstag“ der Tag der eigenen Geburt ist, stellt der „Nachgeburtstag“ logischerweise den Tag der Nachgeburt dar.
Ob man diesen jedoch feiern sollte, wage ich zu bezweifeln.

P.S.: Es ist üblich zu sagen: „Zieh dich warm an.“, wenn draußen eisige Temperaturen herrschen und Winterwinde durch die schneebedeckten Gassen pfeifen. Doch erstaunlicherweise gibt es kein frühlingshaftes oder sommerliches Äquivalent.
Man sagt nicht: „Zieh dich kalt an.“
bzw, in abgeschwächter Variante: „Zieh dich kühl an.“, „Zieh dich frisch an.“
Warum nicht?

Das Wort des Tages 11

Das Wort des heutigen Tages [egal, ob damit der vergangene oder der kommende gemeint ist] sei:
Honigkuchenpferd.
Ich denke, es gibt kaum ein niedlicheres Wort, so süß und knuffig. Gern grinse ich wie ein solches oder betitle es mit dem unpassenden, aber amüsanten Attribut „kariert“…