vergessen

und mit jedem augenblick, den ich weiterlebe, frißt die zeit mehr und mehr an meinen erinnerungen, raubt sie, verfärbt sie, zeichnet sie neu und löscht sie aus. selbst der innige wunsch festzuhalten, selbst das fiebrige vorhaben, nicht, niemals, loszulassen, kann sich diesem prozeß nicht widersetzen. ich kann worte schreiben, gedanken im geiste wiederholen, bilder ausgraben und in mir verinnerlichen, ich kann anderen erzählen, was in mir blieb, um es aufzufrischen, zu erneuern. doch nützt all das nicht viel gegen die übermacht der zeit, gegen die übermacht des vergessens.

das ereignis war traurig, wohl die traurigste zeit meines daseins, war so unfaßbar unwirklich, daß ich womöglich noch heute nicht begreife, noch heute nicht fasse, was geschah. und doch zerrinnt es in mir, fließt hinfort, ein teil des gewesenen, sich aus der gegenwart verabschiedend. noch immer fühle ich ein echo meines schmerzes von damals, das hin und wieder wellen schlägt und meine sinne überflutet, tränenbäche gerinnen läßt. doch das alles ist so unfaßbar schwach, so unendlich weit fern, daß das ohnehin unwirkliche in mir noch mehr an substanz verliert, daß es von mir weicht, als wäre es nie geschehen.

und doch geschah es. ich weiß es, irgendwo im kopf, tief in meinem rationalen denken. doch mit jeder sekunde, die ich weiterlebe, kann ich es weniger fühlen, weniger fassen.

ich genieße die augenblicke, in denen meine erinnerungen zurückkehren, in denen alte bilder das vergangene aufzeigen und facetten vor mir ausbreiten, derer ich längst nicht mehr gewahr bin. kleinigkeiten kommen mir in den sinn, und ich freue mich darüber, freue mich, sie wiederentdeckt zu haben wie einen alten, längst vergessenen schatz. in solchen momenten breite ich alles in mir aus, eine galerie des lebens, die vom tode kündet. und doch, selbst der schmerz ist mir dann ein treuer freund, ziehen mit ihm doch weitere erinnerungen einher, dinge, die ich vermißte, ohne daß ich sie hätte betiteln können, dinge, die entwichen, ohne daß ich ihr fehlen bemerkt hätte. für einen augenblick bin ich imstande, dich zu greifen, die vergangenheit zu greifen und in mir festzuhalten, dich mit meinen tränenüberströmten augen zu sehen.

ich will nicht vergessen, will niemals vergessen, weil zuviel schönheit in dem steckt, was längst verging, weil zuviel liebe dort wohnt, wo ich dein bild in mir trage. ich will nicht vergessen, wer du warst, wer du in meinem herzen noch immer bist, will die zeiten nicht vergessen, die wir teilten.

niemals will ich, daß einzig ein stein, ein bepflanzter fleck erde, ein starrer name inmitten vieler, ein trüber ort in meiner ferne, mich an dich erinnert, will nicht, daß es eines solchen platzes bedarf, um dich noch immer in mir zu wissen.

jede erinnerung schenkt mir ein lächeln, jeder gedanke an dich hält dich in mir. so vieles, was ich nicht wußte, was ich niemals wissen werde. so vieles, was ich wußte, spürte, erlebte.

ich will es nicht vergessen, will niemals vergessen…

tagesausklang

beeindruckend, wenn man rückblickend feststellt, daß der tag als solcher von immenser eigenfreude geprägt wurde, wenn man merkt, daß alles erdenklich mögliche in den letzten stunden sich zum guten wendete oder zumindest eine derartige richtung einzunehmen erwog, wenn man begreift, daß das lächeln auf dem eigenen antlitz nicht nur echt war, sondern auch in der tiefe perlte, nach außen drängte und versuchte, andere anzustecken.

ernüchternd, wenn aber der moment des rückblicks geprägt ist von einer unerklärlichen schwere, ja fast schwermut, wenn trotz allem die welt trüb und grau wirkt und sich keinen millimeter weitergedreht zu haben scheint, wenn das lächeln längst entschwand und nur noch die stille erinnerung daran verblieb.

womöglich ist dann der rechte zeitpunkt gekommen, die augen zu schließen und den tag für sich selbst sterben zu lassen, in die vergangenheit zu rücken, als den tag, an dem viel so gutes geschah, an dem das lächeln nicht schwieg. vielleicht ist dann der rechte zeitpunkt gekommen, dankbar zu sein und sich darüber zu freuen, was war, anstatt sich selbst tiefer und tiefer in unsinnige trübnis zu versenken. vielleicht ist dann der rechte zeitpunkt gekommen, sich selbst ein letztes lächeln zu schenken und mit vorfreude auf den nächsten tag zu warten, selig träumend dem jetzt in das nahende irgendwann zu entfliehen.

blurks und rote geräusche

ich gebe zu, daß der nun folgende text wenig sinn haben wird und einzig und allein dazu dient, die überschrift im raum stehen zu lassen. diese, der betreffzeile einer von mir verfaßten email entwendet, gefällt mir so gut, daß ich stundenlang davorsitzen, sie lesen und in mich hineinkichern könnte. eine solche tätigkeit wird von mir selbstverständlich niemals praktiziert werden, und wenn, dann nur kurz. ich habe schließlich fleißig zu sein, emsig wie ein frischgeschlüpftes honigkuchenpferd.

mir fällt gerade auf, daß es unglaublich viele worte gibt, die mir zusagen, die mich freundlich anlächeln, mich liebevoll grüßen, wenn ich sie entdecke, mir heimlich zuwinken, wenn ich mich abwende.

eines jener worte ist „blurks“. ich habe keine ahnung, was ein/eine blurks ist, gebe zu er/sie/es kann nicht wirklich appetitlicher natur sein, doch irgendwie mag ich ihn/sie/es. ein anderes wort, das ich liebe, ist „honigkuchenpferd“. ich gebe zu, dieses schon heimlich in den vorangegangenen zeilen untergebracht zu haben, und zwar einzig und allein aus dem egoistischen motiv heraus, mich an seiner existenz zu erfreuen. „morast“, „nichtsdestotrotz“ und „zuweilen“ stellen befremdlicherweise auch worte dar, über die ich gerne meine blicke streifen lasse. ich wage nicht, derartiges zu hinterfragen, fürchte ich mich doch vor den schauerlichen abgründen, die sich in mir auftun könnten.

was ich aber jederzeit gerne wage, ist, wörter zu hinterfragen. ein gutes beispiel stellt das wort „komisch“ dar, das mir immer wieder zu denken gibt. schließlich verbirgt sich in ihm ein doppelsinn. meint man aber nicht das lustige „komisch“, sondern das andere, benutzt man zuweilen [hihi…] irgendwelche synonyme. bevorzugt wird dabei das wort „merkwürdig“ verwendet. doch „merkwürdig“ bedeutet in meinem denken etwas, das würdig ist, daß man es sich merkt, also einprägt. ich stelle dabei aber fest, daß die inhaltliche gleichheit zwischen „merkwürdig“ und der zweiten bedeutung von „komisch“ nicht immer gegeben ist und suche weiter nach alternativen. ich erwähle „eigenartig“. jedoch deutet dieses alberne [„albern“ liebe ich im übrigen auch sehr.] wörtchen eigentlich nur darauf hin, daß etwas eine eigene art besitzt. und da ich davon ausgehe, daß nahezu jeder existierende gegenstand, jedes lebenwesen auf erden, eine eigene art hat, eigen ist, bereue ich meine wahl und suche erneut nach synonymen. im augenblick hänge ich bei „befremdlich“. dieses wort sagt aus, daß irgendeine sache auf mich fremd wirkt. und wenn ich ausrufe: „hui, das ist aber komisch!“ und nicht meine, daß es lustig sei, dann fremdet mich jene sache durchaus an, und ich kann ruhigen gewissens „befremdlich“ in meinen aktiven sprachwortschatz aufnehmen.

es gibt befremdliche [!] worte im leben, solche, die einen nicht loslassen. bei mir jedenfalls verhält es sich derart. suche ich einen namen, fällt mir als erstes „peter“ ein – es gab mal eine zeit, da war es „otto“. will ich einen zeitpunkt bestimmen, wird es zumeist „donnerstag“, egal ob sinnvoll oder nicht. fällt mir eine bezeichnung nicht ein, benutze ich das von mir erfundene substantiv „knuselwupp“, das zugleich ein name sein kann und auf „knusel“ verkürzt werden darf. „knuseln“ ist das enstprechende verb; ihm kommt im meinem wortschatz ähnliche bedeutung bei wie das wort „schlumpfen“ bei den kleinen, blauen gesellen mit den weißen mützen – eine universale also. es spielt keinerlei rolle, inwiefern das mir in den sinn hüpfende wort passend oder unpassend ist; es liegt mir plötzlich auf der zunge und will ausgesprochen oder niederschrieben werden.

unangenehmerweise muß ich zugeben, daß ich nicht imstande bin, diesem text einen akzeptablen schluß zu schenken, weswegen ich noch einmal grinsend auf die überschrift deute und mich unterdessen heimlich aus dem staub mache…

der morgendliche wurm im ohr

während des mühsamen aufstehprozesses fiel mir heute zum wiederholten male auf, daß mir ein lied im kopf herumschwebt, das meiner erinnerung nach keinen bezug zu irgendwas besitzt; das ich nicht am abend zuvor gehört hatte; das keine rolle in meinen träumen gespielt hatte; an das ich in letzter zeit nicht gedacht hatte; ein lied also, das sich einfach so in meinem ohr niedergelassen und bequem gemacht hatte und mit schöner melodie das aufstehen zu versüßen gedachte.

ich wunderte mich ein bißchen und beschloß, in zukunft darauf acht zu geben, welcher ohrwurm mich morgens begrüßt, also niederzuschreiben, was mir im kopf erklingt.
heute handelte es sich um:

samsas traum – „der wald der vergessenen puppen“