„lebe.“

leere zimmer starren mich an. die kalten wände verhöhnen mich. ein schweigen legt sich auf meinen hals und drückt meine kehle zu. mit letzter kraft richte ich die finger hinauf zum himmel. flehend. vergeblich. längst verlor ich den halt. längst verlor ich mich.

wind heult durch die grauen gänge. ein einsames lied. ich erkenne es wieder.
verwelkend blickt mir das spiegelbild in die sinne, sucht ein lächeln. irgendwo.
„lebe.“, haucht es matt.

fensterblick

der zögerliche blick über die grenzen meiner welt hinaus zeigt einen märchenblauen sonnenhimmel. was will ich mehr, was verweile ich länger an diesem stillen orte, was trage ich länger meine gedanken umher, als wären sie mein schwarzer schild zum schutze vor dem leben, was stürze ich mich tiefer und tiefer in die pflicht des kommenden – wo doch draußen ein silberlächeln meiner harrt, der kühle wind mit meinen haaren spielt und ich irgendwo am wegesrand jenes merwürdigige gefühl entdecke, das sich schüchtern „leben“ nennt?

ich beachte mich nicht.

tausend wege liegen mir zu füßen, lächeln mich erwartungsvoll an. tausend ungeschehene dinge erfreuen sich ihrer möglichkeit, bedecken mich mit wissendem blick. tausend unbekannte zeilen lauern in meinem geist, träumend ihre ankunft im jetzt. tausend reglose taten liegen still im irgendwo, meine willigen hände sehnend. ich könnte welten kreieren mit einem einzigen atemzug.

ich beachte mich nicht, schweige stumm in meine stille, zu keiner bewegung fähig, mich selbst erahnend, mit traurigem lachen verhüllend. das spiegelbild soll weichen, es schmerzt in meinen augen. das spiegelbild soll leben, soll endlich wieder leben…

ein atemzug vergeht

das wissen, daß mit jedem atemzug leben von mir weicht, berührt mich nicht, berührte mich noch nie. die zukunft ist irgendwo und wartet auf mich. ich sehe sie nicht, wollte sie nie sehen. der moment sollte zählen, einzig und allein bedeutung besitzen; doch dieser – viel zu kurz, zu unbedeutend, viel zu schwer zu halten – verliert sich, flieht von dannen, ehe man ihn bemerkt. was bleibt ist die vergangenheit, ein riesiger haufen vergangenheit, der mit jedem atemzug wächst. was verbleibt mir, als in das vergangene zu tauchen, um dort das zukünftige zu ersuchen? was verbleibt mir, als zu hoffen, zu hoffen und immer wieder zu hoffen?

lichtblicke bemächtigen sich meiner. ein lächeln wird mir auf das antlitz gepinselt. doch können sie mich berühren? ich weiß es nicht.

die vergangenheit wiegt schwer in meiner brust, zeichnet pfade für das kommende, zeichnet pfade aus unmöglichkeiten. ich will nicht länger in ihr verweilen, will nicht länger an der flüchtigkeit eines vergessenenen traumes hängen, will nicht länger längst gelebtes leben in mir spüren.

aufstehen und leben. aufstehen, hinausgehen, dem tag entgegenlachen und leben. wie einfach sich das schreibt. wie einfach man zu sich selber sagt, mit dem nächsten augenblick sei alles anders, alles besser. wie leicht die lüge von den lippen gleitet und das spiegelbild verwirrt. ich wollte, ich könnte ihr glauben schenken…

gedanken halten mich zurück; immer wieder sind es die gedanken, die mich zerren, mich verlachen, die mich lähmen und mein dasein vor augen führen. immer wieder sind es gedanken, die schitte vereiteln und mauern bauen. immer wieder.

und ich denke nach, über die gedanken, über die gedanken, die über die gedanken sinnieren, über die gedanken, die über die gedanken nachdenken, die wiederum…

wer vermag mich jetzt noch zu halten; dafür zu sorgen, daß für einen lidschlag meine zeit gefriert, zu licht gefriert; für einen winzigen moment meinen geist auszulöschen und dem blanken nichts zu übergeben?
wie gerne würde ich das nichts mit farben bemalen, mit zauberhaften worten beschreiben, wie gerne würde ich es mit einem dasein füllen, das anders ist – und doch ich.

das lächeln auf meinem antlitz kennt mich längst, hat mich durchschaut, trauert um die wirklichkeit, schenkt mir den mut, den ich irgendwo auf halbem weg verlor.

irgendwo dort draußen wartet das leben. vielleicht sollte ich mich regen, mich bewegen, die pforten öffnen und ihm entgegengehen. vielleicht sollte ich aufstehen und alles gewesene bewahrend das künftige ersehnen, mit lachendem herzen und leuchtem im blick. vielleicht sollte ich einfach aufsehen und der unerwartbaren dinge harren, die mich zu finden versuchen.
vielleicht…

„carpe diem.“ oder so

eigentlich wollte ich schlafen, doch mir ging dieser merkwürdige lateinische sinnspruch nicht aus dem kopf, besser: ich mußte darüber nachdenken, wie albern der derzeit hochaktuelle satz „genieße jeden augenblick.“ doch ist. überall versucht man diesem trend hinterherzuhängen, erfindet neue slogans, die allesamt das gleiche besagen, doch nur eines ausdrücken wollen: der augenblick muß genossen, der moment gelebt werden.

irgendwie mißfällt mir daran, daß versucht wurde, in den spruch „carpe diem.“, der ja eindeutig „pflücke den tag.“ bedeutet, etwas hineinzudichten, hineinzuinterpretieren. ich gebe zu, daß die wörtliche übersetzung etwas holprig klingt, doch schon „nutze den tag.“ wäre weitaus annehmbarer, als jedes „genieße den augenblick.“ jemals sein wird.

ein augenblick währt – im biologischen sinne – 0,3 sekunden, in lyrik und prosa gar noch weniger. innerhalb von 0,3 sekunden habe ich es möglicherweise gerade geschafft, die augenlider zu schließen – eine handlungsweise, die man im allgemeinen ja mit genuß in verbindung zu bringen pflegt, sicherlich aufgrund dessen, daß man versucht, in sich zu gehen, um die außenwelt abzuschalten und sich voll und ganz auf das objekt des genusses zu konzentrieren.

einer minute allein wohnen 200 augenblicke inne. zweihundert. schon wenn man sich fragt, ob man den letzten augenblick genossen hat, ist wieder einer verronnen. tragisch. innerhalb eines augenblicks bin ich zu echtem genuß überhaupt nicht fähig.

vielleicht hätte man es beim original belassen sollen. ein tag umfaßt immerhin 288.000 augenblicke. damit läßt sich schon etwas anfangen.
vermutlich sehe ich diesen sinnspruch viel zu eng, sollte ihn in weiterem rahmen betrachten. doch dazu bin ich im augenblick [hihi] nicht willens, denke ich doch an einen zweiten slogan, der, wenn man ihn überdenkt, genauso albern wie der erste wirkt und sogar mit diesem themenverwandt ist: „leb jeden tag als wäre es dein letzter.“

ohne lange darüber zu sinnieren, würde das für mich folgendes bedeuten: an meinem letzten tag würde ich all die dinge machen, die ich liebe, die mich erfreuen – und jene, vor deren konsequenzen ich stets zurückschreckte. nun, da es sich um meinen letzten tag auf erden handelt, gestatte ich mir… ja, was?

das einfachste beispiel wäre wohl, daß ich mir gestatten würde, den gesamten tag wachzubleiben. notfalls mit den erforderlichen mitteln nachhelfend würde ich versuchen, meinen allerletzten tag vollends zu genießen und nicht mit der untätigkeit des schlafes zu befüllen. kein problem, die konsequenzen blieben mir ja erspart.

allerdings, wenn ich nun versuche, jeden tag so zu leben, als wäre es mein letzter, wenn ich also den ganzen tag auf schlaf verzichte, dann werde ich nach wenigen derartigen tagen merken, daß es mir nicht gelingt, mich vor den konsequenzen zu drücken, daß mein gelebter tag eben nicht der letzte war und daß die folgen grinsend auf mich warten.
der fehlende schlaf sollte also als beispiel dienen und aufzeigen, daß auch dieser sinnspruch sinnentleert ist.

was ist also zu tun, will man diesen weisen worten gehorchen und sich ihnen trotzdem insoweit verweigern, als daß das typische klischee eines alles-erlebenden, eines sich-alles-wagenden, eines jeden-augenblick-mit-allen-sinnen-auskostenden keine erfüllung findet?
ich weiß es nicht.

was mir zuweilen hilft, ist mir bewußt zu machen, daß das leben nicht nur von unendlicher schönheit ist und daß es manchmal nur eines zweiten blickes bedarf, um diese schönheit zu erkennen. wichtig ist auch, das dasein gelassen anzugehen. zeit ist zeit, eine erfindung der menschen. nicht jeder termin ist den streß und die aufregung wert, die man auf sich nimmt, um ihn pünktlich zu erreichen. ruhe ist ein kostbares gut.
was noch?

nicht immer denken, nicht schlimmstes befürchten, zuweilen einfach drauflosgehen, ja sagen und dem unbekannten entgegenspringen. manchmal aber auch innehalten, abwarten, das gegenwärtige, so kurz es ist, genießen und sich daran erfreuen, was ist. und auf das leben vertrauen: es gibt immer unzählige wege in unzählige richtungen. und wenn nicht, so werden sie einem in jenen augenblicken begegnen, in denen man sie am wenigsten erwartet.
erwarte nichts und erfreue dich an dem, was kommt.

mmmh… das klingt wie eine moralische gute-nacht-geschichte, meinem geist entsprungen. ich selbst bin nicht wirklich imstande, mich zu derartigem handeln zu befähigen, glaube zuweilen nicht länger an die schönheit des daseins, nicht länger daran, daß irgendwann alles gut werden könnte.

doch zum glück gibt es andere, andere, deren licht in mein dasein leuchtet und das dunkel zu vertreiben vermag, andere, die in finsteren augenblicken meine eigenen gedanken wahr werden lassen, weil sie mir leben zeigen, wo ich es am wenigsten erwarte…

meine füße sind kalt.
gute nacht.

schneespaziergang

ein sturm gebärt mir winters weiß
ich laß den schnee mich treiben
reiß mantel auf und seele mir
und lache wie ein kind

mit lachendem antlitz erhasche ich sterne
das weiß schmilzt im mund zu süßem gedicht
ich tanze und springe – den flocken entgegen
und stürme gar selbst durch wirbelnden schnee

der blick zurück zeigt meinen pfad:
zum gestern führt die trübe spur;
doch nebelschnee bedeckt mit weiß –
und weckt ein lachen mir

ich lache den schneewesen zu
die grüßend den wegesrand säumen:
vergangenheit treibt hinfort
verblaßt in schönstem weiß.