Herrn Schreibtisch konnte man zurecht als sonderbaren Menschen bezeichnen.
Sicherlich, es ist bekannt, dass jeder Mensch irgendwelchen Sonderlichkeiten frönt, dass es also so etwas wie einen normalen Menschen gar nicht geben kann, doch Herr Schreibtisch war besonders sonderbar.
Man sah ihm das nicht an; nach außen hin wirkte er unscheinbar und unauffällig; nicht selten übersah man ihn aufgrund seiner wenig bemerkenswerten Erscheinung, Herr Schreibtisch hatte es nie geschafft, zu außergewöhnlicher Größe heranzuwachsen; nein, er war durchschnittlich groß, vielleicht ein wenig zu klein, von durchschnittlicher Figur, vielleicht ein wenig zu rund, und das Haar ging ihm langsam aus wie bei vielen Männern seines Alters.
Niemand wußte genau, wie alt Herr Schreibtisch eigentlich war, doch wenn er seufzte, beispielsweise, wenn wieder einmal ein alberne Bemerkung über seinen Nachnamen erfolgte, wirkte er noch älter.
Herr Schreibtisch lebte seine Sonderbarkeit im Geheimen. ‚Es hat niemanden zu interessieren, dass ich Karfunkel Obstsalat mit Vornamen heiße.‘, dachte er manchmal. ‚Und es hat niemanden zu interessieren, womit ich mich in meiner Freizeit beschäftige.‘
Karfunkel Obstsalat Schreibtisch war kein mürrischer Mann. Eigentlich war ihm das meiste, was um ihn herum geschah, ziemlich egal. Nur, was mit ihm selbst geschah, war wichtig. Und das hatte einer Ordnung zu folgen.
Beispielsweise schaute Herr Schreibtisch gern Monsterfilme – aber nur montags. Oder er betrachtete die Fotografien seiner Urlaube in Montenegro und Montreal, beobachtete das bleiche Gelb des Mondes am Nachthimmel, telefonierte mit Monika, seiner freundlichen Nachbarin, oder saß vor dem Monitor und schrieb monotone Monologe von Mönchen in Montevideo nieder. Aber nur montags.
An Dienstagen liebte er es, sich als Diener oder Dieb zu verkleiden oder Dieselöl zu kaufen. Dienstags bewunderte er die Disteln in seinem Vorgarten, sortierte seine DIN-A4-Blätter oder dinierte bei gedimmtem Licht im „Diamant“, dem teuersten Restaurant der Stadt, wo Kellner Dietmar ihm Pizza Diavolo und Diätcola servierte.
Mittwochs gab es viel zu tun: Das Mittagessen war der Höhepunkt des Tages und mußte genauestens vorbereitet werden. Nicht selten begann Herr Schreibtisch bereits um Mitternacht mit der Zubereitung. Oft gab es mittelalterliche Speisen, nicht selten Köstlichkeiten aus dem Mittelmeerraum. Herr Schreibtisch war Mitglied in einem Verein für Hobbyköche, die sich untereinander mittels Briefen neueste Rezepte zusandten. Hin und wieder enthielten die Briefe Mitteilungen über gemeinsame Treffen, doch Herr Schreibtisch war kein Freund des Miteinanders und weigerte sich zumeist, dort mitzumachen. Das erntete oft Bedauern und Mitleid.
Donnerstags spazierte Herr Schreibtisch gerne zur Donau. Dort kaufte er sich oft einen Donut und versuchte, mit dessen Süße sein Gemüt zu besänftigen. Denn nicht selten kam es an Donnerstagen vor, daß Herr Schreibtisch schlechte Laune hatte und mit donnernder Stimme heden vertrieb, der sich ihm näherte.
Herr Karfunkel Obstsalat Schreibtisch hatte sich diese Beschäftigungen nicht ausgesucht. Sie waren ihm vielmehr zugefallen.
Eines Sonntags hatte er beschlossen, nach draußen zu gehen, um die letzten Sonnenstrahlen des Tages zu genießen. Natürlich hatte er sich zuvor mit Sonnencreme eingeschmiert und seinen gepunkteten Sonnenschirm nicht vergessen, weil er weder SOnnenbrand noch Sonnenstich bekommen wllte. Er lief an der Sonderschule vorbei, summte einen Song oder eine Sonatine, dachte an Weltraumsonden und die Sonnenbrille, die er vergessen hatte, bis ihm etwas auffiel: ‚Sonderbar, wie schön es ist, mich an diesem Sonntag mit Dingen zu beschäftigten, die allesamt mit „Son“ beginnen…‘ Er fühlte sich erleichtert, befreit, als hätte man ihm eine Last abgenommen, derer er sich vorher gar nicht bewußt gewesen war.
Am nächsten Tag, Montag, hatte er begonnen, auf seine Tätigkeiten zu achten. Er hatte eine Tafe an der Wand montiert, auf der er Dinge niederschrieb, die mit den gleichen Buchstaben begannen wie die einzelnen Wochenentage. In den folgenden Tagen und Wochen stellte er fest, wie sehr es ihm behagte, seine Tätigkeiten den Tagen anzupassen.
So waren die Jahre vergangen. Herr Schreibtisch hatte seinen Gewohnheiten gefrönt, hatte die Tafel hin und wieder um einen Begriff ergänzt und sich nicht daran gestört, als Sonderling betrachtet zu werden. Schließlich brachte ihm dieses Handeln, so merkwürdig es auch sein mochte, Freude.
Eines Freitags jedoch freute er sich nicht. Er saß in der Kneipe beim Freibad „Zur Freiheit“ und hatte beim ersten Freistoß des Freiburger Fußballvereins das Freibier geleert, das der Wirt ihm als freitäglichen Stammgast spendiert hatte. Seine Gedanken waren aber nicht beim Spiel. Er dachte an Freibeuter und Freimaurer, an Freiherren und Freiheitskämpfer. Er seufzte leise, wie er es heute breits zehn oder zwanzig Mal getan hatte, und starrte traurig in seine leere Flasche.
Herr Schreibtisch dachte an seine Freizeit und wie er sie zu befüllen pflegte. Ein weiterer Seufzer glitt über seine Lippen.
Das Fußballspiel war längst beendet, als Herr Schreibtisch träge von seinem Stuhl auftand und die Kneipe verließ.
„Bis nächsten Freitag.“, verabschiedete ihn der Wirt freundlich.
„Freilich.“, antwortete Herr Schreibtisch so wie immer. Doch zum ersten Mal fühlte er sich nicht wohl dabei.
Auf dem Heimweg versuchte Herr Schreibtisch, sich aufzuheitern. Normalerweise brauchte er sich dabei nur auszumalen, was er denn am nächsten Tag tun würde, aber heute wollte sich keine Vorfreude einstellen.
„Morgen ist Samstag.“, murmelte Herr Schreibtisch vor sich hin. „Ich werde mein Samtjacket aus der Reinigung holen und meine Sammlung samoischer Samen sortieren. Ich werde vielleicht in einem Sammelband lesen oder mir einen Sampler mit Sambamusik anhören. Oder ich koche einen Tee mit meinem Samowar, während ich einen Samuraifilm schaue…“
Doch sämtliche Möglichkeiten vermochten nicht, Herrn Schreibtisch zu gefallen. ‚Der immergleiche Trott.‘, dachte er und seufzte.
Müde lief er die letzten paar Meter, schloß die Haustür auf und schleppt sich die vierundreißig Stufen hinauf zu seiner Wohnung. Er kramte das Schlüsselbund aus seiner Tasche, und während er sich bemühte, im matten Licht der Treppenhausbeleuchtung den Wohnungsschlüssel ausfindig zu machen, öffnete sich hinter ihm die Tür. Überrascht drehte sich Herr Schreibtisch um.
„Monika!“, stieß er aus. Und tatsächlich: Dort stand Monika, die freundliche Nachbarin, und hielt eine riesige Sonnenblume in der Hand.
„Die habe ich aus meinem Garten.“, erklärte sie und lächelte so warm, daß Herrn Schreibtisch das Herz aufging.
„Sie ist für dich, Karfunkel.“
Karfunkel Obstsalat Schreibtisch wußte nicht, wie ihm geschah. Mit Monika durfte er dich nur montags telefoniert, Sonnenblumen nur sonntags bestaunt werden! Alles geriet durcheinander!
„Danke.“, lächelte Herr Schreibtsich und gab Monika einen Kuß.
Naja, bei derartig (im besten Fall) exzentrischen oder (im schlimmsten Fall) sadistischen Eltern muss man sich nicht wundern, wenn der Sohn ebenfalls wunderlich wird.
Andererseits ist „Karfunkel Obstsalat Schreibtisch“ auch nicht sehr viel schlimmer als „Moon Unit Zappa“ oder „Diva Muffin Zappa“.
Dennoch düften die ersten Schuljahre für ihn die Hölle gewesen sein.;)