Still

Vielleicht stand ich noch immer still.

Die Welt rotierte träge in ihren Bahnen, als wäre sie ein gewaltiger Mühlenstein, der, einmal in Bewegung gebracht, immer größeres Momentum erheischte, sich drehte, beschleunigte und wild wuchernder Unaufhaltsamkeit bemächtigte. Die Welt rotierte, und abseits ihrer Kreise stand ich in meinem, stand still und hielt inne, stand still und entbehrte mich jeder Bewegung, stand still und war.

Momente schlüpften vorüber, entschwanden meinen sehnenden Blicken, fanden sich, paarten sich, krochen ineinander und bildeten Sekunden, bildeten Stunden, labten sich am Ticken der Zeiger, am allgemeinen Schreiten hinfort, ins Dort, formten Tage und Jahre, Erinnerungen und Vergessen. Leben liefen davon, entwichen meinen greifenden Fingern, während ich, in Stillstand gehüllt, jenseits aller Zeiten verweilte, ausharrte, als gäbe es einen Augenblick, der meiner bedurfte.

Orte blinkten, blitzten, flitzten vorüber, befunkelten Horizonte mit Pracht, bemalten Fernen mit lockenden Silhouetten, mit Bauten und Werken, mit Straßen und Wegen, die sich genüsslich unter schreitenden Sohlen streckten, sich krümmten, an murmelnden Bächen vorbei, wo Geschichten plätscherten und darauf warteten, erlebt zu werden. Doch meine Füße blieben stumm, schenkten keinem Kies ein Knirschen, keinem Blatt ein Rascheln, hielten atlasgleich die Schwere aus, die mein stehender Leib gebar.

Und dann gab es dich, gab es deinen Namen, aus tausend Silben geformt, in jedem Atemzug anders, als wüsstest du nicht, welche deiner Münder meiner Lippen bedurfte, welche deiner Einzigartigkeiten meine Sinne gen Verzücken entführen, dem Jetzt entrauben, wollten. Meine Sehnsucht folgte dir, folgte dem wirbelnden Silber deines Lachens, dem schwebenden Duft deines Haars, folgten den Momenten, die du mit streichelnden Fingern webtest, den Welten, die deine flammenden Gedanken ersonnen. Ich fing dich, verfing mich tiefer in deine Nähe, füllte meine Lungen mit dir, die Winkel meines Gesichts mit deinen Küssen, entriss mich allem Wollen hinein in wärmstes Du, hinein in innigstes Jetzt.

Dein Flüstern verblasste längst, Monde waren hinter unseren Landen erblüht, und Zeiten lagen zerbrochen zwischen Kieseln im Staub. Irgendwann hatte ich aufgehört, mich weiterzudrehen, irgendwann hatten meine Füße jeden Laut vergessen. Der Mühlenstein walzte Furchen in die Ferne, und keine Regung, kein Name, bemächtigte sich meiner.

Vielleicht stand ich noch immer still.

3 Gedanken zu „Still“

  1. WAR DAS SCHÖN!
    🙂

    Dieser Text transportiert auf irgend eine Art und Weise sehr viel Gefühl.
    Ich finde es toll, wie du immer Personifikationen einsetzt, wie du Dinge zu Personen erhebst und sie etwas tun lässt, gerne auch im übertragenen Sinne (Orte bemalen etwas, Geschichten plätschern), und malst so eher ein Bild durch deine Worte, als einfach nur etwas aufzuschreiben.
    Ich finde es toll, wie du durch deinen Satzbau mit den vielen Kommas und Aufzählungen nicht nur sagst, wie alles an einem vorbeiströmt, sondern dem Leser dieses Gefühl sogar vermittelst, als wäre er es, der da steht, als würde an ihm ein Leben vorbeiziehen, einfach so.

    Erneut bedanke ich mich für deine wunderbaren und sehr inspirierenden Texte. Bitte mach weiter so!
    🙂

  2. Ich glaube, ich werde diesen Kommentar einrahmen und immer dann anschauen, wenn ich gerade der Unfrohe fröne.

    Tatsächlich hast du mich gerade ein bisschen beeindruckt. Die Personifikationen mag ich tatsächlich gerne. Ich schreibe lieber, dass mir der Boden entgegenstürzt, als dass ich ihm entgegenplumpse.

    Ich werde jetzt also das Bett meinen Leib verschlingen lassen, und du kannst dir sicher sein, dass ein Schmunzeln auf meinem Antlitz schlummert.
    Und so.

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