Da ich gerade amüsierter Laune bin, erzähle ich mal eben einen Schwank aus meiner Jugend.
Es begab sich in meinem letzten Schuljahr, daß unsere Klasse beschloß, eine Abschlußfahrt zu organisieren und durchzuführen. Tatsächlich landeten wir dann inmitten einer dieser spanischen Pseudostädte, die nur für alberne, trinkwillige, diskowütige, sonnenglutheischende, zahlungswillige Touristen aus dem spanischen Boden gestampft worden waren; in einer der Städte, in deren Namen immer ein doppeltes L vorkommen muß, das man dann ur-katalanisch wie ein J zu artikulieren [siehe auch Mallorca] hat, und die immer an irgendeiner sinnbefreit betitelten Küste herumliegen: Weiße Küste, Wilde Küste, Sonnenküste, …
Unser Hotel war nicht das schönste, aber vermutlich noch bessere Wahl in Anbetracht der Alternativen. Selbst das Bordell direkt gegenüber schreckte uns nicht ab [schmutziges Grinsen auf meinen Lippen]. Ich lernte meine erste große Liebe kennen, und die Welt schien in Ordnung. Doch dann…
[spannungsheischende Pause]
Eines Nachmittags duschte ich mich in der Badewanne. Mein damals noch funktionstüchtiger Walkman hatte ganze Arbeit geleistet und mir ein wunderschönes Würmchen ins Ohr gesetzt: Blind Guardian mit „Lost In The Twilight Hall“. Mit dem Wissen bestückt, allein im Hotelzimmer zu sein, trällerte ich fröhlich eben erwähntes Lied vor mich hin, in dem eine durchaus bedeutsame und stetig wiederkehrende Zeile lautete:
„Look behind the mirror…“
Nachdem ich eben jene Zeile mehrmals über meine Lippen perlen lassen hatte, wurde ich mir ihres Inhalts bewußt. „Sieh hinter den Spiegel…“. Neugierig schaute ich in den Spiegel und versuchte herauszufinden, ob sich irgendetwas dahinter zu verbergen vermochte. Ich hatte genug Fantasy-Romane gelesen, um daran zu glauben, etwas finden zu können. Doch ich fand nichts.
Aber halt! War nicht die Rede von „hinter den Spiegel“ gewesen?
Vorsichtig löste ich den Spiegel aus seiner Halterung. Wer wußte denn, welche Schätze dahinter verborgen waren, welche Geheimnisse ich nun entdeckte?
In einem unbedachten Augenblick glitt mir der Spiegel aus der feuchten rechten Hand und knallte auf das Keramikboard, auf dem meine Zahnbüste stationiert war. Ein Blitz zuckte durchs Glas und manifestierte sich: Von oben links bis unten rechts war der angeblich geheimnisvolle Spiegel von einem riesigen Riß durchzogen, den zu verbergen mir schwerfallen würde.
Am nächsten Tag hatte die Putzfrau die Riß-Information an ihren Chef weitergegeben, dieser sich an irgendeinen meiner Lehrer gewandt, der wiederum mir ankündigte, ich hätte den lächerlichen Betrag von 20 DM für diesen Schaden aufzuwenden.
Ich zuckte mit den Schultern. Es war mir egal, berührte mich nicht. Denn mit dem Spiegel hatte auch meine Traumwelt einen Riß bekommen: Hinter dem Spiegel befand sich nur die nackte, häßlich-graue Wand.