wiedersehen

das wiedersehen war kurz und doch zu lang.
wie schwer doch stille wiegen kann.
ich erinnere mich daran, noch gestern dein foto geküßt zu haben.
jenes bild, auf dem du lachend aus meinen armen auftauchst.
doch die, die ich küßte, war eine andere.
warst nicht du.
irgendwie.

wir versuchen, die last des schweigens mit einem lächeln zu vertreiben.
wir versuchen, themen zu finden, die wir kennen.
wie versuchen, einander zu finden.
doch die vergangenheit trennte uns.
in der gegenwart bleiben narben und klüfte zurück.
ich lächle dir zu, doch du weißt, daß ich lüge.

dein mund äußert bedauern.
„wir sollten mal wieder etwas zusammen machen.“
ich stimme dir zu, doch sehe mich schon in mein schneckenhaus zurückkriechen.
die wirklichkeit soll mich nicht finden.

das war alles.
wenige worte, die so unendlich schwer waren, daß sie noch immer am boden herumkriechen, ohne gefunden zu werden.
bilder, auf denen wir aus irgendeinem unverständlichen grund lachen.
eine leere, die nicht befüllt werden kann.
vage gesten, die wohl nichts bedeuten.

die vertrautheit zerbrach längst.
irgendwann hatten wir uns verloren.
der schein der freundschaft schmerzt.

waren wir einander immer schon so fremd gewesen?

betrübt blicke ich dir nach.
irgendetwas in mir vermißt das mädchen auf dem foto.
das mädchen, das du längst nicht mehr bist.
vielleicht nie warst.

zäsur

zum zweiten mal an diesem tag überkommt mich der wunsch nach einer zäsur.

ich möchte die augen schließen und für einen augenblick lang mir selbst entfliehen, irgendwohin, wo ich nicht ich bin, wo ich nicht denke, wo ich nicht weiß, wo ich keinen grund zur furcht mit mir herumschleppen muß. ich möchte die augen schließen, um irgendwann wieder zu erwachen, das trübe vergessen, mit frischem elan den neuen momenten begegnend.

vermutlich sind diese gedanken nur eine illusion, der ich mich hingebe, ohne daß sie in der wirklichkeit bedeutung besitzt. vermutlich werde ich in altem trübsal erwachen, neuerlich müde, neuerlich erschöpft und mit meiner existenz belastet. vermutlich.

doch meine anwesenheit im jetzt gleicht einem ziellosen herumdümpeln, auf ein niemals eintreffendes unding wartend, das zu benennen ich noch nicht einmal imstande bin. mit jeder sekunde, die vergeht, steigt mein unmut, meine traurigkeit, zerrt mich mein dasein tiefer in die düsteren gefilde des eigenbedauerns. ich will das nicht, beobachte mich in meinem fall und störe mich daran. doch die weigerung, die ablehnung all dessen, was geschieht, verstärkt es nur. jeder sich in mir regende unmut gesellt sich zu dem bisherigen und mehrt diesen. ein kreis, aus dem es kein entkommen geben kann. kein entkommen, aber vielleicht eine pause, ein neuanfang, eine zäsur.

die erste stille war kurz, zu kurz, um meine erschöpfung zu beseitigen. geschlossener sinne weilte ich unter weichem tuch und ließ die wärme mich davontragen. ein klopfen entzog mich meiner dämmerung, zog mir sanft die augen auf. ich ließ herein, was mich erfreute: eine begegnung mit dem lächeln. wenige worte flossen durch den abgedunkelten raum, zwei hauchzarte berührungen wurden verschenkt. dann war es vorbei, ich blickte dem leuchten hinterher und erhob mich lächelnd.

doch mein weg im jetzt war kurz. bald schon fand mich mein inneres, vertrieb meine leuchtende krone, verscheuchte das unwirkliche. in meinem schädel wächst das trübsal. ich spüre die wolke, die meine sinne vernebelt, die mich verdunkelt, mich von innen mit tränen begießt. was verbleibt, ist der wunsch nach ruhe, vielleicht auch der wunsch nach menschen, nach worten. vielleicht sollte ich meine augen erneut schließen, mein haupt in weiche träume betten und darauf hoffen, daß später alles besser sein wird…

der morgendliche wurm im ohr 8

rotkäppchen: „warum schaust du denn so betrübt?“
ich: „weil ich mal wieder gegen einen baum lief und das erst bemerkte, als ich blutend am boden lag…“

vielleicht bemerkt man zuweilen schon von vorneherein, daß ein tag nur schlecht werden kann, vielleicht versprüht der tag sein gift schon in die morgenstunden und läßt einen erahnen, welches übel noch bevorsteht. vielleicht jedoch legt man bei einem unangenehmen morgen im geiste selber fest, wie dieser tag zu verlaufen habe, definiert ihn als „schlecht“, weswegen er gar nicht anders kann als so zu werden.
ich versuche ja aufzusehen und darauf zu warten, daß die sonne, die durch mein fenster lugt, auch mein gemüt zu erhellen weiß, doch der zweifel in mir ist stark.

in den letzten beiden tagen kroch morgens stets ein kleines würmchen durch meinen gehörgang. doch seine erwähnung ist wenig spektakulär, waren es doch lieder, die ich am vortag bewußt und teilweise mehrmals vernommen hatte.
heute jedoch spukte mir ein song von empyrium im schädel herum. allerdings stellte ich dies erst fest, nachdem ich schon mehrere minuten unter den aufrecht gehenden wandelte. das wiederum führte mich zur wiederholung einer beobachtung, die mich schon einige male aufblicken und nachdenken ließ: nicht selten huscht das morgendliche lied erst im letzten moment in mein ohr. werde ich also geweckt und döse anschließend noch ein paar augenblicke, kann ich darauf wetten, daß zum zeitpunkt des weckerklingelns mein schädel liedfrei ist, daß ich aber nach dem dösen ein paar klänge in mir finde. das wiederum läßt den logischen schluß zu, daß irgendwelche gedanken, die mich in morgendlicher trägheit heimsuchen und vom kommenden künden oder über das gewesene berichten, in meinem geiste mit liedern assoziiert und zu morgendlichen würmern gewandelt werden. wer weiß.