Ich sitze im „Spielehaus“, einer alternativ gehaltenen Lokalität inmitten von Halle, und versuche mich auf das Spiel zu konzentrieren, das M und ich – einer unbedeutenden Tradition folgend – ausgewählt haben: 3D-Vier-Gewinnt.
Drei Personen, nur wenig jünger als wir, in unscheinbare Markenklamotten gekleidet, betreten die Kneipe, einen freien Tisch suchen. Ich sehe kurz auf, begegne den Blicken von Person 1, einem leicht angeheiterten Brillenträger, der uns eingehend mustert, sich zum Nebentisch begibt, ein paar Worte mit seinen Freunden wechselt und anschließend laut loslacht. Selten hörte ich ein derart gehässiges Lachen, eins, das bewußt mit immenser Lautstärke in den Raum geschleudert wurde, um sich die Aufmerksamkeit aller zu sichern.
Angewidert wende ich mich ab, schaue auf das Spielbrett.
„Dannnnn-zick.“
Ich blicke erneut auf. Person 2 schaut mich an, hat gerade den Aufdruck meines Shirts vorgelesen. Für einen Moment stutze ich: ‚Kennt er Danzig [eine erwähnenswert gute Metalband]?‘, doch sein Gesicht zeigt blanke Leere – kein Wiedererkennen, keine abwertende oder gar gutheißende Meinung über die Musikgruppe, womöglich noch nicht einmal die Kenntnis der gleichnamigen Stadt in Polen.
Ich beglückwünsche Person 2 zu seiner Fähigkeit, vorlesen zu können und ernte eine genuschelte Entgegnung, deren Inhalt mich nicht erreicht.
Meine Blicke finden das Spielbrett und vertiefen sich darin.
Die Barfrau, klein und stämmig, doch nicht um Worte verlegen, gesellt sich zu den drei Neuankömmlingen, will sie aus ihrer Lokalität entfernen. Sie haben Hausverbot. Ihre Aufforderung zum Gehen wird von den Dreien nicht ernst genommen, sie diskutieren, werden beleidigend, hinterfragen die Gründe, scherzen plump. Die Barfrau bleibt ruhig, erinnert an ihre letzte Anwesenheit, an die zerschmetterten Bierflaschen, an den begangenen Hausfriedensbruch, an das erteilte Hausverbot, droht mit Polizei.
Die Drei lachen abfällig, sonnen sich gar im unrühmlichen Glanze ihrer Untaten, bleiben reglos sitzen.
Die Barfrau geht.
Die Drei holen Bierflaschen aus dem Rucksack, öffnen sie, stellen sie demonstrativ auf den Tisch, schauen höhnisch zur Barfrau hinüber, die gerade in einem Stadtmagazin blättert. „So wird das aber nichts!“, lachen sie.
Ein Vierter tritt hinzu, mit albernem Backenbart und ebensolcher Proll-Jogginghose. Schnell wird er von seinen Freunden über die Geschehnisse aufgeklärt. Er zuckt mit den Schultern, doch bevor er sich setzen kann, taucht die Barfrau wieder auf – flankiert von zwei Männern.
Der erste der beiden, muskulös, mit Pferdeschwanz, verschränkt die Arme vor der Brust, versucht vergeblich, bedrohlich auszusehen, wirft böse Blicke. Der zweite, groß, doch schlanker, kurzhaarig mit beginnender Kahlheit, spricht ein paar ruhige Worte.
Die Drei schauen, verstummen kurz. Der Vierte befindet sich bereits auf dem Rückzug. Die Verbleibenden erheben sich, langsam, wollen sich keine Blöße geben. Die Barfrau verschwindet samt ihrer Begleiter. Zögernd, in künstlicher, provozierender Gemütlichkeit ziehen die Drei sich an, finden ihre höhnischen Worte wieder, setzen sich gar noch einmal, stehen wieder auf – und gehen endgültig.
Ich wende mich wieder meinem Spiel zu – und verliere.