Morgendlicher Ohrwurm 38: Der frühe Vogel fängt den Hund

Ich mag es zu erwachen.

Vor wenigen Tagen noch erwachte ich vom grellen Sonnenlicht, das sich viel zu früh unter meine Lider drängte. Ich drehte mich weg und ignorierte die Hitze im Zimmer, hoffend, noch ein paar Minuten Schlaf zu finden. Wenig später erwachte ich erneut, weil das Telefon klingelte, doch schlief wieder ein. Ich glaube, wenn ich eine Sache gut kann, dann ist das Einschlafen. Egal wann, egal wo.
Ich schlief also wieder ein, und als ich das dritte Mal erwachte, fühlte ich mich ausgeschlafen wie nie.

Heute erwachte ich, weil die Küche Geräusche von sich gab. Nach nur sieben Stunden Schlaf meinerseits erdreistete sich meine Mitbewohnerin, in der Küche abzuwaschen, obgleich offensichtlich war, daß außer ihr noch niemand wach war. Nun ja, bis dahin.
Und während ich überlegte, ob es mir gelingen könnte, den Küchenkrach zu ignorieren, klingelte das Telefon. Mein Mibtewohner und ich teilen uns einen Anschluß, und natürlich war es für ihn.

Mit dem Nochmal-Einschlafen-Wollen war es nun vorbei. Ich horchte vergeblich in den taubstummen Hörer und entschloß mich aufzustehen, um endlich mal fleißig zu sein, die frühe Morgenstunde zu nutzen und den sprichwörtlichen Wurm zu fangen.

Leider war das einzige, was ich fand, ein Ohrwurm, der mir seit dem Erwachen im Schädel herumschwebte, obgleich es dafür keinen Anlaß gab. Immerhin gefiel er mir:

I Am X – „Bring Me Back A Dog“

Obiger Text ist der Versuch, eine totgeglaubte Rubrik wiederzubeleben. Keine Ahnung, ob es gelingt.

Morgendlicher Ohrwurm 37: Fliegende Pferde

Ein Tagesbeginn, der höchste künstlerische Qualitäten offenbart. Ein Ohrwurm in meinem Schädel, der mich zu Verzweiflung treibt.

Ich bin mir der Karnevalszeit bewußt, auch der Existenz alberner Lieder, von denen die Mehrzahl so klingt, als hätte sie ein betrunkener Wolfgang Niedecken verfaßt. Doch mit fehlendem Fernseher und unegnutztem Radio fällt es mir leicht, dem Klamauküberschuß zu entkommen. Außer natürlich, den Spar-Filiale-Hintergrundmusik-Designern fällt an, ihre ohnehin zumeist unangenehme Beschallung auf die Karnevalszeit einzustimmen und Kunden und Kassiererinnen gleichermaßen mit gräßlichen Unklängen zu vertreiben.

Dennoch wurde ich bisher von dem verschont, was nach dem Aufwachen heute meine Gehörgänge bewohnte und nicht von mir weichen wollte: Ein Ohrwurm der anhänglichsten Sorte:

Achim Reichel – „Fliegende Pferde“.

Wie er in meinen Kopf kam, weiß ich nicht, doch ich bin bemüht, ihn von dort zu entfernen. Sofort. Mit allen mir zur Verfgung stehenden Mitteln.

[Im Hintergrund: Samsas Traum – „Oh Luna Mein“]

Morgendlicher Ohrwurm 35: schneespaziergang

Es ist wie verhext. Als ich erwachte, entdeckte ich einen Ohrwurm im Schädel, de mich schon am gestrigen Tage mit seiner Anwesenheit erfreut und nun offensichtlich beschlossen hatte, weiterhin [durch] mein Denken zu s[tra]pazieren.
Das Merkwürdigste an diesem Exemplar ist vermutlich, daß es kein Lied ist, jedenfalls keines, was bereits existiert, das mich plagt, kein bekannter oder zumindest eingängiger Song, dessen Meldoie oder Textbruchstüke mir durch den Geist schweben und mich nicht loslassen.

Nein, es handelt sich tatsächlich um dieses Gedicht, dessen Zeilen vereinzelt in meinem Kopf umherpurzeln und mich beschäftigen.
Es gibt keinen Anlaß dafür, keinen wirklichen Grund, warum ich mich ausgerechnet heute, da die Sonne scheint und die Luft angenehm spätsommerliche Temperaturen annehmen wird, mit einem winterlichen Gedicht auseinandersetze.

Insbesondere die letzte Strophe

ich lache den schneewesen zu
die grüßend den wegesrand säumen:
vergangenheit treibt hinfort
verblaßt in schönstem weiß.

hallt in meinem Kopf wider. Doch leider kann ich mich nie des gesamten Textes entsinnen, und so verbleibt dem ruhelosen Ohrwurm nichts weiter, als Eigenes zu dichten und das Neue mit der Erinnerung zu mischen.
Das Ergebnis sieht so aus:

ich blicke den schneewesen nach
die lachend sich die bäuche kraulen

Auch nicht schlecht…

[Im Hintergrund: Tristania – „Midwintertears“]

Morgendlicher Ohrwurm 34: Gartenspaziergang

Erstaunlich ist, wenn man [scheinbar] ohne äußere Einflüsse erwacht, auf die Uhr blickt, die behauptet, man hätte noch dreißig Minuten bis zum penetranten Aus-Dem-Bett-Läuten Zeit und feststellen darf, daß man sich bereit fühlt, schon jetzt, nicht erst in einer halben Stunde, dem Tag zu begegnen.

Nicht minder erstaunlich ist, wenn man aufgrund einer physikalisch unmöglichen Zwei-Körper-am-selben-Ort-zur-gleichen-Zeit-Situation das Bad nicht betreten kann und all die zeitverschwendenden Lernverzögerer [inklusive Zeugs-In-Die-Schüssel-Milch-Und-Honig-Drauf-Frühstück], die man sonst nach dem Duschen stundenlang auf sich selbst anwendete, schon vorher, innerhalb von 15 Minuten erledigt und nun nur auf die Bad-Vakanz und das anschließende, eigene Zur-Bibliothek-Streben wartet.

Errstaunlich ist es auch, gleich nach dem Erwachen festsellen zu dürfen, daß gleich zwei Lange-Nicht-Gehört-Ohrwürmer die beiden Hörorgane in Anspruch zu nehmen scheinen, beide – selbst unsittlich gemischt – angenehm tönen und den Tag mit wohlig geformten Hintergrundklängen begrüßen – und das, obwohl selbiger unter dem Schatten eines dunklen Morgen-Sterns steht.

Und während das Wasser auf den eigenene Schädel einstürzt, singen die Gedanken immer wieder die gleichen Zeilen…

„Ja ja ja, ich bin ein Blender
und verschwinde mit der Zeit
der Rest der Welt war schon vorher da
ich verschwinde mit der Zeit
dort wo die Nacht anfängt zu schrei’n…“

[aus: Selig – „Ich Geh Nochmal Spazieren“]

und

„She´s the one I adore
she´s the one…“

[aus: Chamber – „In My Garden“].

Morgendlicher Ohrwurm 33: Der Spiegel sieht mich nicht

Als ich erwachte, vermißte ich den üblichen Lärm. Es ist albern, dergleichen zu vermissen, wenn der eigene Wecker sich alle Mühe gibt, möglichst viel Krach zu verbreiten, um sein Opfer aus den weichen, mit schier magischer Anziehungskraft bestückten Kissen zu vertreiben. Und doch vermißte ich das Hämmern und Bohren, das Sägen und Schreien. Es war zu ruhig.

Ich erinnerte mich Traumes, der noch immer wie ein Schleier vor meinen Blicken schwebte. Sehnsucht vermischte verschiedene Gestalten meiner Vergangenheit, meiner Gegenwart, formte ein süßes Bild, das mich gefangenzunehmen versuchte, mich festhielt und den Abschied aus der Traumwelt zu einem bitteren Schmerz wandelte, zu einem Stein inmitten federleichter Gedanken, der die unangenehme Erkenntnis in sich barg, daß der Traum eben nur ein solcher gewesen war.

Seufzend erhob ich mich, ignorierte den Wecker, der sich noch immer bemühte, unerträglichen Lärm von sich zu geben, und lauschte den Klängen in meinem Kopf, dem heutigen Ohrwurm:

„Das da ist ein Mann,
Sieh‘ ihn Dir noch einmal an,
Der mit langen oder kurzen Messern
Brot in Scheiben schneiden kann.

Doch wer nicht einmal das schafft,
Hat erst recht nicht die Kraft
Dazu, fünf Kinder zu ernähr’n
Und eine Frau so zu begehr’n
Wie sie es mag, Tag für Tag.“

[Aus: Samsas Traum – „Der Spiegel sieht mich nicht“]

Morgendlicher Ohrwurm 32: Running

Nachdem der gestrige Abend später geworden war als geplant, erwachte ich – die Bauarbeiterbohrmaschinen als Wecker nutzend – gegen zehn und quälte mich aus den Federn. In meinem Kopf hummelte ein Lied herum, wollte nicht weichen, verwunderte mich, berührten doch die Worte eine Thematik, die ich erst heute Nacht erwähnt hatte:

„I’m running
Running for cover
I’m running
Far, far away / for my life.
Running faster and faster and faster.
And falling. Far away.
Falling down one more day.“

[aus: Evereve – „One More Life“]

Der morgendliche Wurm im Ohr 31: Gehirnwäsche

Ich erwachte exakt 8 Uhr. Irgendein Idiot hatte vergessen, den Wecker meines Handys auszustellen, so daß es vibrierend und klingelnd mein Zimmer akustisch verseuchte und mich aus den Träumen riß. Doch der Schreibtisch, auf dem es lag und von dem es – aufgrund der durch Vibration hervorgerufenen Eigenbewegung – dann auch noch lärmend hinunterfiel, war weit genug vom meinem Bett entfernt, um die Entfernungsüberbrückung als übertriebenen Aufwand zu erachten.

Irgendwann schwieg es endlich, und ich überlegte, ob ich aufstehen sollte. Schließlich war ich mittlerweile nahezu wach. Allerdings nicht wach genug, fielen mir doch nach wenigen Augenblicken die Äuglein wieder zu.
‚Nur noch ein paar Minuten.‘ dachte ich selig.

Viertel vor Zehn klingelte es erneut, diesmal lauter, intensiver: Kirchenglocken.
‚Das geht vorbei.‘, dachte ich, die Alternative „Aufstehen“ vollkommen vergessend.
Doch es ging nicht vorbei. Minutenlang klingelte, klongte, bingte und bongte es von draußen herein. Vielleicht hätte ich das Fenster schließen sollen, doch auch daran dachte ich nicht.

‚Was soll das?‘, fragte ich mich, ‚Das ist Lärmbelästigung!‘ Bohren darf man sonntags schließlich auch nicht.
War vielleicht jemand gestorben? Ich dachte an die Besatzung der Raumfähre Discovery, die womögliche gerade inder Atmosphäre verglüht war. Und an die sieben Leute in dem russischen U-Boot, die vielleicht nicht geborgen werden konnten. Ich dachte an Hiroshima und überlegte, ob das andauernde Glockenläuten den Opfern Tribut zollte. Doch das kam einen Tag zu spät [oder zwei Tage zu früh, galt das Geläut den Opfern der Atombombenabwürfe auf Nagasaki].
Wer sonst? Buena-Vista-Social-Club-Sänger Ibrahim Ferrer ist tot, las ich vorhin. Doch dem galt das Glockengeräusch bestimmt nicht.

Vermutlich stellte der Lärm einen äußerst dringlichen Aufruf zum sonntäglichen Gottesdienst dar.
‚Ziemlich penentrant.‘, stellte ich fest.

Und trotzdem erfolgreich. Nachdem der Lärm verklungen war und ich – nun endglütig wach – in Gedanken vertieft an die Decke starrte, dachte ich erstmalig darüber nach, an einem Gottesdienst teilzunehmen. Ich kann mich nicht daran erinnern, so etwas jemals mitgemacht zu haben – außer vielleicht irgendwann mal zu Weihnachten.

‚Gehirnwäsche mittels Glockengeläut.‘, wunderte ich mich und lauschte dem morgendlichen Ohrwurm in meinem Schädel – Die Sterne mit „Was Hat Dich Bloß So Ruiniert?“:

Wo Fing Das An Und Wann
Was Hat Dich Irritiert
Was Hat Dich Bloß So Ruiniert?

[Daß „ruiniert“ sinnloserweise zu „uriniert“ verdreht werden kann, fiel mir allerdings erst unter der Dusche auf.]

Der morgendliche Wurm im Ohr 30

Keine Träume von merkwürdigen Fischwurmwesen, morastgrün schimmernd, unterarmlang, mit Piranha-Dinosaurierschädel und unpassend abgerundetem Fischschwanz, unter meiner Haut kriechend, meinen Arm mit unansehnlich-beweglicher Wölbung versehend, aus einem Loch im Handgelenk lugend, wieder verwindend, sich stetig regend unter meiner Haut, abstoßend und faszinierend zugleich, von Fachärzten nicht entfernbar, kilometerweit mit mir herumgetragen, sein Kriechen gespürt, gehaßt, seinen Leib durch das Handgelenkloch bemerkend, schimmernd grün, schließlich von Krankenschwestern nebenbei, stehend, mit einer Pinzette entfernt und voll Stolz und Ekel in die Luft gehalten.

Keine Träume, an die ich mich nach dem Aufwachen erinnern konnte.
Nur das übliche Kreissägen-Bohrmaschinen-Geräusch, das längst zum penetranten Wecker mutierte.

Und ein Gedanke:

Die Wörter „hin“ und „her“ sind an und für sich wenig unterschiedlich, bezeichnen sich doch dasselbe, nur eben in verschiedenen Richtungen.
Wie kommt es dann, daß zwischen „hinrichten“ und „herrichten“ Bedeutungswelten liegen…?

Und ein Ohrwurm:
Die Apokalyptischen Reiter mit „Komm“:

„Komm mit mir zum Sinnenbade in eine andere Welt
Du brauchst nicht viel, nur das Leben selbst.“

Der morgendliche Wurm im Ohr 29

Jeden Morgen erwache ich mit dem Gefühl absoluter Dringlichkeit, mit einem leichten Erschauern ob der Aufgaben, die vor mir liegen, der Dinge, die ich zu verdrängen, zu vernachlässigen pflege – und mich dadurch zusätzlich belasten.

Das Aufstehen fällt schwer, die Last der Augenlider scheint unerträglich. Nur noch ein paar Minuten Flucht vor dem Künftigen, Flucht vor mir selbst. Nur ein paar Minuten…

Der nervige Wecker verstummte vor wenigen Augenblicken. Erleichtert atme ich auf, starre geistesabwesend an die Decke, genieße die weiche Decke um meinen Leib, die Stille in meinem Zimmer.

Und wieder klingelt es. Leise. Eine Kurznachricht. Neugierig richte ich mich auf, suche nach dem Mobiltelefon, lese und lächle, nähere mich dem Wachsein um ein bedeutendes Stück.

Noch bevor ich meine Augen wieder schließen kann, summt eine Fliege fröhlich durchs Zimmer, setzt sich auf das Regal, pausiert, fliegt weiter. Ich beobachte sie, erfreue mich an ihrem Klang, der mich wachhält.

„Danke.“‚, murmle ich und stehe auf.

P.S.: Der heutige Wurm im Ohr war übrigens Die Ärzte mit „Teenagerliebe“