Der morgendliche Wurm im Ohr 31: Gehirnwäsche

Ich erwachte exakt 8 Uhr. Irgendein Idiot hatte vergessen, den Wecker meines Handys auszustellen, so daß es vibrierend und klingelnd mein Zimmer akustisch verseuchte und mich aus den Träumen riß. Doch der Schreibtisch, auf dem es lag und von dem es – aufgrund der durch Vibration hervorgerufenen Eigenbewegung – dann auch noch lärmend hinunterfiel, war weit genug vom meinem Bett entfernt, um die Entfernungsüberbrückung als übertriebenen Aufwand zu erachten.

Irgendwann schwieg es endlich, und ich überlegte, ob ich aufstehen sollte. Schließlich war ich mittlerweile nahezu wach. Allerdings nicht wach genug, fielen mir doch nach wenigen Augenblicken die Äuglein wieder zu.
‚Nur noch ein paar Minuten.‘ dachte ich selig.

Viertel vor Zehn klingelte es erneut, diesmal lauter, intensiver: Kirchenglocken.
‚Das geht vorbei.‘, dachte ich, die Alternative „Aufstehen“ vollkommen vergessend.
Doch es ging nicht vorbei. Minutenlang klingelte, klongte, bingte und bongte es von draußen herein. Vielleicht hätte ich das Fenster schließen sollen, doch auch daran dachte ich nicht.

‚Was soll das?‘, fragte ich mich, ‚Das ist Lärmbelästigung!‘ Bohren darf man sonntags schließlich auch nicht.
War vielleicht jemand gestorben? Ich dachte an die Besatzung der Raumfähre Discovery, die womögliche gerade inder Atmosphäre verglüht war. Und an die sieben Leute in dem russischen U-Boot, die vielleicht nicht geborgen werden konnten. Ich dachte an Hiroshima und überlegte, ob das andauernde Glockenläuten den Opfern Tribut zollte. Doch das kam einen Tag zu spät [oder zwei Tage zu früh, galt das Geläut den Opfern der Atombombenabwürfe auf Nagasaki].
Wer sonst? Buena-Vista-Social-Club-Sänger Ibrahim Ferrer ist tot, las ich vorhin. Doch dem galt das Glockengeräusch bestimmt nicht.

Vermutlich stellte der Lärm einen äußerst dringlichen Aufruf zum sonntäglichen Gottesdienst dar.
‚Ziemlich penentrant.‘, stellte ich fest.

Und trotzdem erfolgreich. Nachdem der Lärm verklungen war und ich – nun endglütig wach – in Gedanken vertieft an die Decke starrte, dachte ich erstmalig darüber nach, an einem Gottesdienst teilzunehmen. Ich kann mich nicht daran erinnern, so etwas jemals mitgemacht zu haben – außer vielleicht irgendwann mal zu Weihnachten.

‚Gehirnwäsche mittels Glockengeläut.‘, wunderte ich mich und lauschte dem morgendlichen Ohrwurm in meinem Schädel – Die Sterne mit „Was Hat Dich Bloß So Ruiniert?“:

Wo Fing Das An Und Wann
Was Hat Dich Irritiert
Was Hat Dich Bloß So Ruiniert?

[Daß „ruiniert“ sinnloserweise zu „uriniert“ verdreht werden kann, fiel mir allerdings erst unter der Dusche auf.]

2 Gedanken zu „Der morgendliche Wurm im Ohr 31: Gehirnwäsche“

  1. da hast du recht.
    handys sind nichts anderes als moderne kirchenglocken,
    die alle gläubigen zum dienst rufen.

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