Begegnungen 22: Spinne

In der oberen linken Ecke des Badezimmers saß eine kleine Spinne und gähnte.
„Ey Spinne!“, rief ich hinauf. „Hier wohne ich. Such dir einen anderen Platz zum Leben.“
Die Spinne schaute mich an und erwiderte dann mit einem Stimmchen so zart wie ein Spinnenbein:
„Geht nicht. Ich trau mich nicht.“
„Wieso denn?“, fragte ich und hoffte, die Spinne nicht mit Gewalt aus meinem Badezimmer vertreiben zu müssen.
„Wegen der Maus.“, hauchte die Spinne.
„Wegen der Maus? Wegen welcher Maus?“
„Na wegen der Maus, die mich frisst, sobald ich mich bewege.“, erklärte die Spinne, und ihr Stimmchen zitterte ein wenig. „Da unten, hinter der Toilette, dort wohnt sie.“ Zwei ihrer dünnen Beinchen zeigten zur beschriebenen Stelle.
Ich kniete mich vor das Mäuseloch, das ich vorher nie bemerkt hatte.
„Ey Maus!“, rief ich hinein. „Hier wohne ich. Such dir einen anderen Platz zum Leben.“
„Och nö!“, piepste es von drinnen.
„Ich gebe dir auch etwas Speck.“, versprach ich, denn mit Speck fing man bekanntlich Mäuse.
Die Maus überlegte kurz, dann vernahm ich ein Geräusch, das so klang, als ob ein winziger Koffer gepackt wurde, und dann verließ die Maus das Loch.
„Hier.“, sagte ich und reichte ihr den vorderen Teil eines Spekulatius-Plätzchens. Sie griff danach, betrachtete das Plätzchenbruchstück misstrauisch und nickte dann bestätigend.
„Da fehlt aber noch ein C.“, sagte sie, biss mir in den Zeh und rannte davon.
„Wo sie Recht hat, hat sie recht.“, hauchte die kleine Spinne in der oberen linken Ecke meines Badezimmers und packte ihr Köfferchen.