In der oberen linken Ecke des Badezimmers saß eine kleine Spinne und gähnte.
„Ey Spinne!“, rief ich hinauf. „Hier wohne ich. Such dir einen anderen Platz zum Leben.“
Die Spinne schaute mich an und erwiderte dann mit einem Stimmchen so zart wie ein Spinnenbein:
„Geht nicht. Ich trau mich nicht.“
„Wieso denn?“, fragte ich und hoffte, die Spinne nicht mit Gewalt aus meinem Badezimmer vertreiben zu müssen.
„Wegen der Maus.“, hauchte die Spinne.
„Wegen der Maus? Wegen welcher Maus?“
„Na wegen der Maus, die mich frisst, sobald ich mich bewege.“, erklärte die Spinne, und ihr Stimmchen zitterte ein wenig. „Da unten, hinter der Toilette, dort wohnt sie.“ Zwei ihrer dünnen Beinchen zeigten zur beschriebenen Stelle.
Ich kniete mich vor das Mäuseloch, das ich vorher nie bemerkt hatte.
„Ey Maus!“, rief ich hinein. „Hier wohne ich. Such dir einen anderen Platz zum Leben.“
„Och nö!“, piepste es von drinnen.
„Ich gebe dir auch etwas Speck.“, versprach ich, denn mit Speck fing man bekanntlich Mäuse.
Die Maus überlegte kurz, dann vernahm ich ein Geräusch, das so klang, als ob ein winziger Koffer gepackt wurde, und dann verließ die Maus das Loch.
„Hier.“, sagte ich und reichte ihr den vorderen Teil eines Spekulatius-Plätzchens. Sie griff danach, betrachtete das Plätzchenbruchstück misstrauisch und nickte dann bestätigend.
„Da fehlt aber noch ein C.“, sagte sie, biss mir in den Zeh und rannte davon.
„Wo sie Recht hat, hat sie recht.“, hauchte die kleine Spinne in der oberen linken Ecke meines Badezimmers und packte ihr Köfferchen.
8 Gedanken zu „Begegnungen 22: Spinne“
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Naja…
Die Maus greift den vorderen Teil des Spekulatius, also „Spek“. Weil man aber nunmal mit Speck Mäuse fängt, fehlte da tatsächlich noch ein C, das wiederum in anderer Form besorgt wird.
Und so.
Ou man -.-
Musste ich aber auch drei mal drüber lesen bis ich das verstanden habe 😀
So an sich…sehr kreativ^^
Ich kannte bisher nur die lieben Fred-Comics, von denen ich wenn möglich, keinen verpasse aber… Ich habe gerade die letzten vier Seiten deiner kleinen Texte gelesen und ich kann gar nicht sagen wie wunderschön sie sind.
Dieses Feingefühl, mit dem du der Sprache eine Lebendigkeit und Weichheit und Tiefe entlockst ist einfach wundervoll.
Ich hoffe wir bekommen noch viel davon zu lesen!
Begeisterte und berüherte Grüße,
Funkelfinchen
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Danke. Das ist wahrlich ein schönes Kompliment.
Es wird auf jeden Fall noch weitere „Begegnungen“ geben. Und andere Geschichtchen.
Und notfalls gibt es ja schon haufenweise ältere Texte, die manchmal auch ganz gut sind… 🙂
Habe mich jetzt auch noch durch einen Großteil der anderen Rubriken gelesen und als Öffentlicheverkehrsmittelvielnutzerin haben mir die Bahnbegegnungen sehr gefallen. Ich glaube es gibt wenig Orte an denen man soviel über Menschen erfährt.
Einen wunderschönen Tag noch,
Funkelfinchen
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Allein dafür ein Kompliment zurücK: Sich durch diverse Rubriken zu lesen. Fetzt.
Das mit den Bahnbegegnungen habe ich in letzter Zeit irgendwie vernachlässigt. Vermutlich weil mein Fokus derzeit eher auf alberneren Sachen liegt oder so. Aber da ich die „Öffis“ durchaus noch nutze, ist nicht auszuschließen, dass es eines Tages auch hier wieder einen neuen Text geben wird.
Und so.
Wirklich eine schöne Geschichte, mit viel Fantasie und Geschick. Ich find Spinnen zwar eigentlich echt eklig, aber von der Spinne aus deiner Erzählung habe ich den Eindruck, dass sie total niedlich ist. Außerdem hat deine Geschichte mich an ein Erlebnis von einer Freundin von mir erinnert: Sie hat panische Angst vor Spinnen und eines Tages saß auch bei ihr eine Spinne über der Tür im Badezimmer und hat meine Freundin angestarrt! 😉 Den Teil fand ich schon besonders gut. Dann hat sie die Spinne beobachtet während sie sich die Zähne geputzt hat und die Spinne hat sich nciht gewegt. Nachdem meine Freundin sich ihr Gesicht gewaschen hatte und wieder aufschaute war die Spinne weg! Daraufhin rief sie mich an, erzählte mir die Geschichte und hat mich gefragt, was sie machen soll und was sei, wenn sie nun in ihr Schlafzimmer gerannt ist… Wirklich niedlich…. 😉
Find die Geschichte toll. Aber Ihr müsst mir helfen! Was bedeutet denn das C. in diesem Satz: „Da fehlt aber noch ein C.“, sagte sie, biss mir in den Zeh und rannte davon.
Bin wohl zu doof.
Danke, Ralfi