Zorn

Schreie branden gegen meine zusammengepressten Lippen, zerbersten tonlos an den Mauern meines Mundes. Ich schlucke sie, presse sie nieder, zerknirsche sie mit stampfenden Zähnen. Drohend ragen mir Wangenknochen aus dem Anlitz, meine Sirn faltet sich in finstere Furchen. Rastlos tasten meine Hände über Tische, Stühle, zitterten begehrlich, erfüllt vom Wunsch nach Zerstörung. Meine Finger formen Fäuste, suchen Ziele, Mauern, Namen.

Mein Mund öffnet sich. Tiefer und tiefer ziehe ich Luft in meine Lungen, schwelle an, lasse sie gehen. Einmal, dreimal. Die wallenden Wogen sinken langsam nieder, meine Finger glätten sich zu sanfter Fläche. Ich halte inne, versuche, unter allen Stürmen mich zu finden, atme.

Eine Frage erreicht mich.

Schüchtern erklimmt ein Lächeln meine Mundwinkel, die Knochen ziehen sich in meinen Schädel zurück. Meine Worte sind ruhig, besonnen, doch nicht frei von Zittern, entschweben den Wirren, die noch immer in mir brodeln.
Langsam kehre ich zurück.
Zu mir.
Zur Welt.

Robbie Williams und ich

Robbie Williams und ich saßen auf einem Stein, der aus den fonflatter-Comics hatte stammen können. Robbie wirkte abwesend, und es scheute mich, ihn auch nur in Gedanken als „Robbie“ zu bezeichnen. Wir kannten uns ja gar nicht, und auch der Umstand, dass ich ihn interviewen wollte, brachte uns nur unwesentlich näher.

Als er zu sprechen begann, verflüchtigten sich meine Bedenken. Er war freundlich und offen, antwortete, ohne dass ich meine Stimme zu einem Fragezeichen erheben brauchte, und auch wenn seine Gedanken niemals völlig bei uns zu sein schienen, plauderten wir eher, als dass wir ein Interview führten.

Ich kann mich nicht daran erinnern, viele Fragen gestellt zu haben, weiß nur, dass kein Zettel auf meinem Schoß lag, keine vorbereiten Stichworte irgendwo in meinem Kopf gespeichert waren, um im richtigen Augenblick auf meine Zunge zu springen. Ich hatte keine Ahnung von dem, was ich tat, war reichlich ungeeignet für meine Aufgabe. Fragen stellte ich generell ungern, mein Interesse für Robbie Williams war gering, und ohnehin erzählte ich viel lieber von mir selber, als dass ich andere aushorchte.

Also erzählte ich. Ich erzählte von meinem geringen Interesse an Popmusik im Allgemeinen, davon, dass ich Take That zwar ganz akzeptabel gefunden hatte, dass sie mich aber nie begeistert und ergriffen hatte und dass auch Robbies Ausstieg für mich frei von Dramatik war. Ich gestand auch freimütig, keine große Ahnung von ihm zu haben, nur eben die Songs kannte, die jeder kennt, und dass ich ihn und sie irgendwie auch mochte und respektierte, aber nicht als bedeutsamer Teil meines Lebens erachtete.

Doch weder er noch ich hielten das für wichtig. Wir redeten über andere Dinge. Ich bewunderte seinen sauber ausrasierten Bart, und er empfahl mir mit überzeugender Begeisterung seinen Rasierer, den Osram X72.

Wir befanden uns auf einem riesigen Platz, und an uns gingen Leute vorbei, die Robbie nicht zu erkennen schienen. Sie waren verschwommen, als fehlte ihnen an Tiefenschärfe, als hätte eine Kamera mit kleiner Blendenöffnung ausschließlich uns fokussiert.

Das Gespräch plätscherte dahin. Ich notierte nichts, lauschte Robbies Erzählungen, glaubte wachsende Verbundenheit zu erkennen und gab selbst ein paar unterhaltsame Belanglosigkeiten zum Besten.

Irgendwann verabschiedeten wir uns, wissend, dass dieses Gespräch nichts bedeutete, und ich wachte auf.

Still

Vielleicht stand ich noch immer still.

Die Welt rotierte träge in ihren Bahnen, als wäre sie ein gewaltiger Mühlenstein, der, einmal in Bewegung gebracht, immer größeres Momentum erheischte, sich drehte, beschleunigte und wild wuchernder Unaufhaltsamkeit bemächtigte. Die Welt rotierte, und abseits ihrer Kreise stand ich in meinem, stand still und hielt inne, stand still und entbehrte mich jeder Bewegung, stand still und war.

Momente schlüpften vorüber, entschwanden meinen sehnenden Blicken, fanden sich, paarten sich, krochen ineinander und bildeten Sekunden, bildeten Stunden, labten sich am Ticken der Zeiger, am allgemeinen Schreiten hinfort, ins Dort, formten Tage und Jahre, Erinnerungen und Vergessen. Leben liefen davon, entwichen meinen greifenden Fingern, während ich, in Stillstand gehüllt, jenseits aller Zeiten verweilte, ausharrte, als gäbe es einen Augenblick, der meiner bedurfte.

Orte blinkten, blitzten, flitzten vorüber, befunkelten Horizonte mit Pracht, bemalten Fernen mit lockenden Silhouetten, mit Bauten und Werken, mit Straßen und Wegen, die sich genüsslich unter schreitenden Sohlen streckten, sich krümmten, an murmelnden Bächen vorbei, wo Geschichten plätscherten und darauf warteten, erlebt zu werden. Doch meine Füße blieben stumm, schenkten keinem Kies ein Knirschen, keinem Blatt ein Rascheln, hielten atlasgleich die Schwere aus, die mein stehender Leib gebar.

Und dann gab es dich, gab es deinen Namen, aus tausend Silben geformt, in jedem Atemzug anders, als wüsstest du nicht, welche deiner Münder meiner Lippen bedurfte, welche deiner Einzigartigkeiten meine Sinne gen Verzücken entführen, dem Jetzt entrauben, wollten. Meine Sehnsucht folgte dir, folgte dem wirbelnden Silber deines Lachens, dem schwebenden Duft deines Haars, folgten den Momenten, die du mit streichelnden Fingern webtest, den Welten, die deine flammenden Gedanken ersonnen. Ich fing dich, verfing mich tiefer in deine Nähe, füllte meine Lungen mit dir, die Winkel meines Gesichts mit deinen Küssen, entriss mich allem Wollen hinein in wärmstes Du, hinein in innigstes Jetzt.

Dein Flüstern verblasste längst, Monde waren hinter unseren Landen erblüht, und Zeiten lagen zerbrochen zwischen Kieseln im Staub. Irgendwann hatte ich aufgehört, mich weiterzudrehen, irgendwann hatten meine Füße jeden Laut vergessen. Der Mühlenstein walzte Furchen in die Ferne, und keine Regung, kein Name, bemächtigte sich meiner.

Vielleicht stand ich noch immer still.

Stromausfall

‚Stromausfall!‘ Schlagartig war ich hellwach, sprang aus dem Bett und eilte zum Sicherungskasten.

Zumindest theoretisch. Die Wirklichkeit jedoch sah anders aus.
6.54 Uhr schaute ich auf das Telefon, das gleichzeitig mein Wecker war. Beziehungsweise hätte sein sollen, wenn ich nicht regelmäßig im Halbschlaf jedes Läuten und Klingeln deaktivieren und mich weiterem Schlummer übergeben würde. Eine Stunde hatte das selbst erwirkte Verschlafen diesmal gedauert, bevor ich die Augen öffnete, das Telefon betrachtete und die Informationen über die augenblickliche Uhrzeit langsam in mein Bewusstsein rieseln ließ. Der Stromausfall lauerte noch irgendwo in den Schatten und wartete hämisch darauf, dass ich ihn bemerkte.

Die Leuchtuhr auf dem Nachttisch schwieg. Keine Ziffer leuchtete verschwommen in meine unbebrillten Augen, nur dämmriges Dunkel hauste in diesem Raum.
‚Stromausfall!‘, dachte ich panisch und rannte zum Sicherungskasten. Zumindest theoretisch.

Die Wirklichkeit jedoch sah anders aus: Noch immer halb in Traumwelten wandelnd vermochte ich zwar, das Fehlen leuchtender Ziffern zu realsieren, doch Hektik in jeder Form lag mir fern. Statt dessen stöpselte ich träge den Stecker der Uhr aus und wieder ein, ohne jedoch eine Zustandsveränderung zu bemerken. Der Uhr fehlte es an willigen Leuchtsegmenten.

Mit mir erwachte allmählich der Forscherdrang. Drei Lichtschalter später, deren Betätigung nur plastenes Klacken, jedoch keinerlei Licht erwirkte, stand ich vor dem Sicherungskasten. Meine Panik schlummerte noch immer tief und fest.

Der fensterlose Korridor wob Dunkel um mich herum, und meine noch immer halbblinden Augen erahnten die Sicherungsschalter eher, als dass sie sie erkannten. Ich legte alle um. Hin und zurück. Schaltete das Licht an. Und stand noch immer im Dunkeln.

Auf dem Nachttisch lag meine Brille bereit, und als sie endlich den Weg in mein Gesicht gefunden hatte, warf ich einen Blick gen Außen. Der Tag näherte sich nur langsam, doch keine Nachbarwohnung schien Licht zu kennen. ‚Stromausfall!‘, nickte ich nun langsam in mich hinein und begab mich ins Bad.

‚Die Kontaktlinsen könnten ein Problem werden.‘, überlegte ich, und würde mir Mühe geben müssen, sie im allgemeinen Dunkel nicht versehentlich dem Boden zuzuführen.
‚Der Fön könnte ein Problem werden.‘, dachte ich, doch verwies mich selbst auf Handtuch und Mütze.
Der Stromausfall versagte darin, mich zu beeindrucken.

Das Wasser war heiß und angenehm. Mich in absoluter Finsternis zu duschen, kümmerte mich nicht. Ob ich nun wegen fehlenden Lichts oder fehlender Sehstärke nichts sah, spielte keine Rolle.
Und auch die Kleidungsstücke, die mir mein gestriges Ich bereitgelegt hatte, hüllten sich problemlos um meinen Leib.

‚Stromausfall.‘, dachte ich, schmunzelte abschätzig und zuckte mit den Schultern.

Im Wohnzimmer leuchtete etwas.
„Strom!“, rief ich überrascht aus. Doch es war nur mein Notebook, das zumindest vorübergehend stromfrei zu arbeiten vermochte. Also kein Strom.

‚Der Tiefkühlschrank könnte ein Problem werden.‘, dachte ich noch, dann erstrahlte das Licht im Korridor.

„Strom!“, rief ich noch einmal, diesmal begeistert. ‚Welchen Schalter sollte ich zuerst probieren?‘, fragte ich mich, aber keiner von ihnen schien große Bedeutung zu besitzen.
‚“Bis auf einen.‘, lächelte ich und kochte mir Tee.

Später, als ich versuchte, mir die Kontaktlinsen in die Augen zu legen, ging mir tatsächlich eine verloren. Für einen Augenblick bedauerte das Fehlen des Stromausfalls.
Er wäre immerhin ein guter Grund gewesen.

Weiß

Wildes Weiß umkreiste mich als Sturmgewand, verschlang des Atems Gewölk und die Klänge meines Lippenschachtes, und jeder meiner Schritte riss eine Kluft in die Wand aus Wirbeln, in den Flockenäther, der mich verbarg.

Mein Außen füllte sich mit Schnee, und bartumrandet öffnete sich ein Spalt des Lächelns in meinem Gesicht, saugte süchtelnd an den Wintern, die ihr frostiges Nahen zelebrierten. Die Himmel waren schwer von Feuchte, und jede Hand, die ich in ins Oben streckte, fing mir Weiß und Lachen. In allem Hier gefror der Tag, und nur mein Schreiten war noch Regung, lief verlangend in die beschwingte Flut verschlingenden Tanzes.

Meine Fußstapfen folgten sich verbergenden Pfaden, gruben sich tiefer ins Jetzt und fanden mich ins Ferne. Dort ließen sie mich gehen, treiben und in die Flockenflut entfliehen.

Winter ward ich, Herz und Lachen, barst in Wind und Wirbel, gebar mich zwischen Liedern wieder, zwischen Stumm und Sturm. Und dann fiel ich nieder, fiel auf Häupter, legte mich still auf Blatt und Nadel, ward zum Mantel der Welt.
Schlafe nun, hauchte ich, und schlummerte selbst, irgendwo, unter Himmeln voller Flocken.