Es war eisig auf meinem Balkon, und der Wetterbericht hatte diverse Zentimeter Schnee angekündigt. „Ich muss was tun!“, sagte ich mir, schnappte mir einen dicken, fettigen Meisenring und montierte ihn fachgerecht am Geländer.
„Damit ihr nicht verhungern müsst.“, sagte ich zu den potentiellen Vögeln, die sich vermutlich alsbald an den Kernen im Meisenring laben würden.
„Danke.“, hörte ich eine Piepsstimme sagen und musste sämtliche Augen zusammenkneifen, um das kleine Wesen zu entdecken, das da vor mir auf dem Balkongeländer saß: ein Insekt!
„Wieso ‚Danke.‘?“, fragte ich verwirrt.
„Danke für den Meisenring.“, sagte das Insekt.
„Gern geschehen.“, antwortete ich reflexartig, bevor mein Denken einsetzte. „Aber der ist für die Vögel bestimmt!“
Das kleine Insekt schüttelte den Kopf, eine Bewegung, die ich mehr erahnte als sah: „Dieser Meisenring ist für uns.“
„Für uns?“, wollte ich fragen, doch bevor ich die Frage ausgesprochen hatte, krabbelten plötzlich auf dem Geländer zahlreiche weitere Insekten herum.
„Der Meisenring ist für Meisen!“, wiederholte ich.
Diesmal nickte das Insekt. „Für alle Arten von Meisen!“, bestätigte es.
Ich schaute mir einem Gesprächspartner und seine Freunde genauer an.
„Ihr seid Ameisen!“, stellte ich verblüfft fest.
„Und das ist ein Meisenring!“, rief ich in plötzlicher Erkenntnis.
Die Ameise nickte erneut. „Für alle Arten von Meisen.“
Verdutzt sah ich den zahlreichen Krabblern zu, wie sie den Meisenring erklommen und bevölkerten.
„Hier soll es hungrige Vögel geben.“, sagte ich leise und verabschiedete mich. „Passt auf euch auf!“